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Der künstlerischer Leiter Carlo Chatrian und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek wollen die Berlinale reformieren.
© Imago Images

Reformen bei der Berlinale: Genderneutrale Preise sind ein Bärendienst für Frauen

Die Berlinale schafft die Trennung von männlichen und weiblichen Darstellerpreisen ab. Das geht an den Realitäten in der Branche vorbei.

Statistiken können so oder so interpretiert werden, aber manchmal ist ein Blick auf die Zahlen einfach unmissverständlich. Vor zwei Jahren veröffentlichte die BBC, auf dem Höhepunkt der „Time’s up“-Bewegung, eine kleine Studie der zehn wichtigsten Filmpreise seit 1990, darunter die Oscars, sowie die Festivals in Venedig, Cannes und Berlin.

In nur sechs Prozent aller ausgezeichneten Filme überwog die Zahl der Darstellerinnen in den Hauptrollen, in 89 Prozent der Fälle waren die Hauptdarsteller mehrheitlich männlich.

Diese Zahlen reichen weit zurück in eine dunkle Ära der Filmindustrie, aber sie setzen die Kritik an der jüngsten Ankündigung der Berlinale-Führungsspitze um Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek, im kommenden Jahr genderneutrale Darstellerpreise einzuführen, in Relation. Statt männliche und weibliche Hauptrollen sollen ab 2021 nur noch die besten Haupt- und Nebenrollen ausgezeichnet werden.

Die Reformen sind nicht abgeschlossen

Doch die selbstauferlegten Reformen in der Filmbranche im Zuge von „MeToo“ und „Time’s up“ sind längst nicht abgeschlossen; zu befürchten ist vielmehr, dass die Pandemie die hart erkämpften Errungenschaften für mehr Genderparität wieder zurückgeworfen hat.

Der im Prinzip progressive Vorstoß der Berlinale zielt schlicht an den Realitäten vorbei. Die Kritik von Pro Quote und dem Bundesverband Schauspiel ist durchaus begründet. Verbandschefin Leslie Malton bringt es auf den Punkt: „Um mehr gendergerechtes Bewusstsein in der Branche zu erreichen und ein Signal zu setzen, müssen die derzeit benachteiligten Geschlechter sichtbarer werden.“ Anders gesagt: Die Berlinale nimmt den zweiten Schritt vor dem ersten. Zunächst müssten die Grundlagen geschaffen werden, bevor man über die Abschaffung genderspezifischer Darstellerpreise spricht.

Es gibt zu wenig gute Rollen für Frauen

Die Berlinale tritt hinsichtlich der Genderparität – im Wettbewerb wie auf der Leitungsebene – schon länger vorbildlich auf. Aber der Reformeifer des neuen Führungsduos wirkt zum jetzigen Zeitpunkt, an dem noch niemand die Corona-Folgen für weibliche Filmschaffende abschätzen kann, übertrieben aktionistisch.

Man muss sich da nur die letzten Oscar-Verleihungen ansehen, bei denen die beiden Darstellerinnenpreise die Academy davor bewahrten, dass die wichtigste Filmveranstaltung des Jahres nicht als XY-Chromosom-dominierte sausage party, wie die Amerikaner sagen, endete.

Chatrian und Rissenbeek erklären gegenüber dem Tagesspiegel, dass sie die Kritik ernst nehmen, und betonen die Rolle der Berlinale bei den Veränderungen der Branchenstrukturen. „Doch wir möchten sicherstellen, dass wir auch die Menschen einbeziehen, die sich nicht von einem binären System repräsentiert fühlen.“ Bleibt die Frage, ob sich das nicht für die vielen cis-Frauen als Nachteil erweist, für die es im Weltkino ohnehin schon zu wenig preiswürdige Rolle gibt.

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