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Das Team von "Der Boden unter den Füßen". Marie Kreutzer (2. von rechts) ist eine der sieben Regisseurinnen im Wettbewerb.
© AFP/Odd Andersen

Frauen auf dem Filmfestival: Wie hat MeToo die Berlinale verändert?

2018 sprachen auf dem Festival alle über MeToo. Ein Jahr später hat sich einiges getan, mit so vielen Regisseurinnen im Wettbewerb wie nie zuvor.

Während der letztjährigen Berlinale erlebte die MeToo-Debatte in Deutschland gerade einen Höhepunkt. Kurz zuvor waren Vorwürfe gegen den deutschen Regisseur Dieter Wedel bekannt geworden. Auf dem Festival stellten sich Initiativen vor, Arbeitsgruppen bildeten sich, zahlreiche Veranstaltungen fanden statt. Besserung wurde gelobt. Wie aber sieht es ein Jahr später aus? Hat die breite Diskussion bereits Veränderungen für Frauen im Filmgeschäft bewirkt? Und wie begleitet das Festival die anhaltende Debatte?

„Man könnte sagen, dass wir es in diesem Jahr mit einer Frauen-Berlinale zu tun haben“, sagt die Fotografin und Dokumentarfilmerin Barbara Rohm, nicht ohne ein Lachen. Rein numerisch hat sich recht. 37 Prozent der Filme im Programm stammen von Regisseurinnen, im Rennen um die Bären führen bei sieben von 17 Filmen Frauen Regie. Zum Vergleich: 2018 waren von den 18 Wettbewerbsfilmen nur vier von Frauen. Betrachtet man Gewerke wie Kamera oder Produktion, sinkt der Anteil, auch im diesjährigen Wettbewerb. Hier gibt es zum Beispiel nur zwei Kamerafrauen. Dennoch hat sich etwas getan, wenngleich die 50 Prozent, die der Verein ProQuote Film fordert, in dessen Vorstand Rohm sitzt, noch lange nicht erreicht sind.

Einen Kulturwandel herbeiführen

In der Hoffnung, gemeinsam stärker zu sein, hatten sich die ProQuote-Initiativen der einzelnen Berufszweige Anfang 2018 zusammengetan. Das Ziel: eine diverse, gleichberechtigte und innovative Filmbranche, in der Frauen dieselben Chancen haben wie ihre männlichen Kollegen. Das Thema sexuelle Gewalt hänge immer auch mit der Gender-Parität vor und hinter der Kamera zusammen, sagt Rohm. Unausgewogene Machtverhältnisse würden einen Missbrauch fördern. Nachdem sich die Berlinale schon im vergangenen Jahr zu mehr Vielfalt und Transparenz verpflichtet hatte, wurde am Samstag die Charta „50/50 by 2020“ auf Initiative des Schwedischen Filminstituts unterschrieben.

Als Meilenstein bezeichnet Rohm die Themis-Vertrauensstelle, benannt nach der Göttin für Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt, die bereits im Oktober eingerichtet worden war. Hier erhalten Betroffene aus der Filmbranche, denen sexuelle Gewalt oder Belästigung wiederfahren sind, rechtlichen und psychologischen Beistand.

Im Anschluss an die vergangene Berlinale hatten sich 17 Organisationen der Film- und Medienbranche zusammengetan, um die Vertrauensstelle zu ermöglichen. Ende Mai 2018 konnte endlich der Trägerverein gegründet werden. Rohm und der Rechtsanwalt Bernhard Störkmann bilden den Vereinsvorstand. 100 000 Euro soll Themis jährlich vom Bundesministerium für Kultur und Medien erhalten, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen stehen hinter der Initiative. Unterstützer sind unter anderem die ARD und das ZDF.

Die Daten der Betroffenen, die die Vertrauensstelle kontaktieren, bleiben anonym. Auf Wunsch wird auch der Arbeitgeber kontaktiert, der verpflichtet ist, den Fall aufzuklären – selbst dann, wenn die oder der Betroffene nicht festangestellt ist. „Auch Bewerbende, die bei Castings Schlimmes erleben, können sich melden“, sagt Rohm. Täglich würden Betroffene den Kontakt suchen. Zahlen zu nennen, wäre allerdings falsch, so die Regisseurin: Es gehe darum, einen Kulturwandel herbeizuführen. Iris Berben, die gerade als Präsidentin der Deutschen Filmakademie abgelöst wurde, betont, dass sich das Thema nicht erledigt habe. Schon in den Siebzigern hätten die Frauen einmal gedacht, dass ihnen niemand das neu erworbene Selbstbewusstsein würde nehmen können. „Aber offenbar muss jede Generation sich ihre Gleichberechtigung, ihre Power neu erkämpfen“, sagt die Schauspielerin.

Mehr Filme von Frauen fördern

In ihrer jüngsten Publikation bezieht sich ProQuote Film auf eine Studie von Martha M. Lauzen. Die Professorin an der San Diego State University hat untersucht, inwieweit sich die Anteile von Frauen und Männern hinter den Kulissen Hollywoods während der vergangenen zehn Jahren verändert haben. Das Ergebnis ist verheerend. Während 1998 17 Prozent aller Mitarbeiter weiblich waren, waren es 2018 20 Prozent – ein Zuwachs von gerade mal drei Prozent. „Wir brauchen mehr Diversität hinter der Kamera, erst dann ist auch vor der Kamera mehr Diversität sichtbar", sagte Anna Serner, Geschäftsführerin des Schwedischen Filminstituts, am Freitag bei einer Diskussionsrunde im Auswärtigen Amt zum Thema Frauen in der Filmbranche.

Allerdings gelinge es im Vergleich mit den männlichen Kollegen wesentlich weniger Filmhochulabsolventinnen, später auch in ihrem Beruf zu arbeiten. Nur ein Beispiel: Zehn Prozent der Frauen, die eine Ausbildung im Kamerafach machen, finden später regelmäßig Jobs – bei einer Absolventinnenquote von auch nur 22 Prozent. Warum? Wie in jeder Branche, würden Männer bei Bewerbungen nach ihrem Potenzial gefragt werden, Frauen hingegen nach ihren Erfahrungen, weiß Rohm. Die Folge: Frauen erhalten von Vorneherein weniger Chancen. Es entsteht ein Teufelkreis.

Das Medienboard Berlin-Brandenburg will sich künftig dafür einsetzen, dass mehr Filme von Frauen gefördert werden. In den vergangenen zwei Jahren spiegelte sich das Verhältnis der eingereichten Filmen auch bei den geförderten Filmen wieder: Etwa ein Drittel war von Regisseurinnen. Bei den 18 Medienboard-Filmen, die derzeit im Programm der Berlinale laufen, waren Frauen allerdings mehrheitlich federführend. Das passt zu dem, was ProQuote Film feststellt: Die Filme, die von Frauen inszeniert werden, erhalten mehr Filmpreise und nehmen häufiger an Festivals teil.

Warum gibt es die Schweigekultur?

Die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) ist 2019 mit vier Filmemacherinnen auf der Berlinale vertreten, etwa mit Susanne Heinrich und ihrem Debüt „Das melancholische Mädchen“ Die Komödie über die Existenzkrise einer jungen Frau zwischen politischer Depression und serieller Monogamie gewann gerade den Max Ophüls Preis.

Eine Quote sei hilfreich, auch um Missbrauch weniger Nährboden zu bieten, sagt Rohm. Außerdem müsse eine Antwort auf die Frage her, wie Führung gestaltet werden soll. Angesichts des Zeitdrucks, der in der Filmbranche existiert, und ständig wechselnden Teams, bestehen hier starke Hierarchien. Das sei ein Problem. „Und warum gibt es diese Schweigekultur?“ Auch dieser Frage müsse man nachgehen, meint Rohm.

Die Themen Gleichstellung und Diversität seien auf der Berlinale stärker als in den Vorjahren vertreten, findet die Regisseurin: „Festivals kommen nicht mehr drum herum, genauer hinzusehen.“ Die MeToo-Debatte kann also durchaus erste Erfolge verzeichnen. Ab dem nächsten Jahr müssen nun die Nachfolger von Dieter Kosslick das Thema anpacken und zeigen, dass die Anregungen Früchte tragen. Ein gutes Zeichen: Mit der Doppelspitze Carlos Chatrian und Mariette Rissenbeek hat die Berlinale die Vorgabe „50/50 by 2020“ schon mal erfüllt.

Helena Davenport

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