Kinder, Küche, Corona: Die Krise ist die Bühne des Patriarchats
Der Mann als Wissenschaftler, die Frau als Kinderbetreuerin: Die Krise offenbart, dass patriarchale Alltagsmuster nach wie vor das Denken und Handeln der Menschen prägen.
Carolin Wiedemann ist Soziologin und Publizistin. In Kürze erscheint ihr Buch "Zart und frei. Von der Beharrlichkeit des Patriarchats und wie es trotzdem überwunden wird“ im Verlag Matthes&Seitz.
In der Woche vor Ostern gingen in Berlin 332 Notrufe wegen häuslicher Gewalt ein, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. In China, wo die Ausgangssperre wegen Corona strenger war als hier, verdreifachten sich die Fälle. In Italien hingegen meldete die Hotline für Opfer häuslicher Gewalt deutlich weniger Anrufe als vor dem Covid-Lockdown – die Opfer könnten sich nicht mehr melden, weil ihre gewalttätigen Partner permanent in ihrer Nähe seien, so die Expertinnen. Wie oft Frauen in heterosexuellen Beziehungen dieser Tage zu Hause tatsächlich geschlagen, geschubst oder zum Sex gedrängt werden, ist unklar. Hier und an allen anderen Orten patriarchaler Herrschaft.
Patriarchale Herrschaft? Weder in Deutschland, noch in Italien oder in China gibt es das Patriarchat noch im juristischen Sinne. Vor dem Gesetz sind schließlich alle Menschen gleich. Doch hält sich die Männerherrschaft im Alltag, im Denken der Menschen und in ihrem Handeln – und das offenbart die Corona-Krise einmal mehr. Es heißt, in Krisenzeiten zeigen sich Probleme wie unter dem Brennglas. Angesichts der Covid-19-Pandemie wird neben der nationalistischen Ausrichtung der deutschen Politik (Grenzen werden hochgezogen, die Aufnahme von Geflüchteten wird ausgesetzt) die patriarchale Grundstruktur unserer Gesellschaft noch deutlicher als zuvor.
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Es gerät ins allgemeine Blickfeld, was Feministinnen schon lange anprangern: Dass all die Berufe, in denen sich Menschen um andere kümmern, sie versorgen, pflegen und erziehen, nicht angemessen vergütet werden. Und dass in diesen Berufen vor allem Frauen arbeiten. Der zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zeigte schon 2017, dass Frauen 87 Prozent des Personals in Pflegediensten und 85 Prozent des Personals in Pflegeheimen stellen. Ähnlich sah es in der Kindererziehung und -betreuung aus. Dringend wurde schon da die Aufwertung der Sorge- und Reproduktionsarbeit angemahnt.
Frauen verrichten mehr Hausarbeit als Männer
Der Bericht der Bundesregierung demonstrierte auch, dass die unbezahlte Arbeit zuhause immer noch patriarchal verteilt ist. Schichtübergreifend sind es in heterosexuellen Paar- und Familienhaushalten – die gerade in Corona-Zeiten als normale und ideale Basis des Zusammenlebens präsentiert werden – die Frauen, die im Durchschnitt das Wäschewaschen, die Kindererziehung und die Pflege der Alten übernehmen. Selbst wenn sie berufstätig sind und mehr verdienen als ihre Partner. Erwachsene Frauen in Deutschland verrichten gemäß der Erhebung von 2017 täglich 87 Minuten mehr Care-Arbeit als Männer, sie wenden also immer noch gut anderthalbmal so viel Zeit für unbezahlte Betreuungs- und Hausarbeit auf.
Am krassesten zeigt sich dieser Unterschied in heterosexuellen Paarhaushalten mit Kindern, also in der Kleinfamilie. Dazu, wie sich diese Situation in Zeiten von Corona und Kita-Schließungen verschärft, gibt es noch keine Studien. Doch Herausgeberinnen wissenschaftlicher Zeitschriften vermelden, dass Einreichungen von Männern in den vergangenen Wochen um 50 Prozent gestiegen sind, während Wissenschaftlerinnen quasi überhaupt keine Texte mehr vorlegen. Das erklärt sich wohl auch dadurch, dass letztere zu Hause mit den Kindern beschäftigt sind – egal in welchem Fach sie sich habilitiert haben. Männer denken hingegen offensichtlich eher, sie müssten anderen die Welt erklären.
Kinder bleiben in neun von zehn Fällen nach der Trennung der Eltern bei der Mutter, auch darum haben viele Frauen als Alleinerziehende in diesen Tagen keine Sekunde mehr für sich. Wenn sie nun ihren Job neben der Kinderbetreuung nicht mehr erledigen können, wenn sie arbeitslos werden, bestätigen sie nur weiter die Statistik: Von Armut waren sie auch vor der Coronakrise schon stärker bedroht. Im Jahr 2015 bekamen Frauen eine um 53 Prozent niedrigere Rente als Männer.
Zweigeschlechtlichkeit wird gesellschaftlich produziert
Für verschiedene Berufsgruppen, wie beispielsweise Zahnärztinnen, plant Gesundheitsminister Jens Spahn gerade einen Rettungsschirm, der ihnen 90 Prozent ihrer Vergütung aus dem Jahr 2019 sichern soll. An die Entschädigung derjenigen, die ihre Kinder zu Hause betreuen, hat er nicht gedacht. Die Grünen schon – sie wollen den Betreuungsaufwand mit einer anteiligen Lohnfortzahlung kompensieren. Angesichts des gegenwärtigen Geschlechterverhältnisses ist das leider keine emanzipatorische Idee: Für Alleinerziehende, aber auch für Frauen, deren Partner eifrig Zoom-Calls betätigen, während sie die Kinder davon abhalten, in sein Homeoffice zu platzen, wäre dieses „Corona-Elterngeld“ nichts anderes als die Neuauflage der sogenannten Herdprämie. Diese honoriert Frauen dafür, ihr Kind nicht in die Kita zu geben.
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All diese patriarchalen Phänomene sind nicht „der Natur“ der Geschlechter zuzuschreiben, sondern der Art, wie Zweigeschlechtlichkeit noch immer gesellschaftlich produziert wird, wie die Menschen noch immer von klein auf zu Männern und zu Frauen gemacht werden. Die beiden etablierten Geschlechterkategorien wurden durch die binär organisierten Arbeitsverhältnisse der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft mitbegründet und untermauert, die zwei Sphären schufen. Den einen wird im Privaten Emotionalität und Beziehungsfähigkeit abverlangt, den anderen, in der Öffentlichkeit und in der Fabrik Rationalität und Härte.
Die Arbeitsverhältnisse haben sich zwar gewandelt, Frauen können Kanzlerin werden, neoliberale Gleichstellungspolitik hat gar Frauen-Quoten in Aufsichtsräten durchgesetzt, doch das binäre Geschlechter-Konstrukt hält sich hartnäckig. Wie das queerfeministische Kollektiv „kitchen politics“ proklamiert, werden diejenigen, die als Mädchen gelten, nach dem Bild der Hausfrau geschaffen und diejenigen, die als Jungen eingeordnet sind, entsprechend nach ihrem Gegenbild, dem Außerhausmann. Sogar das Spielzeug vermittelt den Kleinsten noch immer, sie seien zwei Arten von Menschen, der eine von Natur aus für die Herausforderungen draußen gemacht, die andere fürs Private, für die unwichtigeren Dinge.
Die Hausfrauen sollen den Laden zusammenhalten
Dieses heteronormative und hierarchische Geschlechterverhältnis ist in unseren Staat eingeschrieben, der auch jenseits von Corona noch immer die patriarchal organisierte Kleinfamilie mit dem „Ehegattensplitting“ stärkt. Und sich nun darauf verlässt, dass all die Hausfrauen, die er voraussetzt, den Laden zusammenhalten, dass sie verfügbar sind, sich der Familie, dem Mann und seinem Wohle widmen. Die fehlende gesellschaftliche Wertschätzung der Care-Arbeit und die (häusliche) Gewalt gegen Frauen und andere Geschlechtsidentitäten sind Ergebnisse des gleichen Problems.
Die Gender Studies haben das immer wieder offenbart und materialistische Feministinnen wiederum haben aufgezeigt, warum angesichts kapitalistischer und patriarchaler Leitlinien Reproduktionsarbeit im Verhältnis zur produktiven Arbeit abgewertet wird: mit der Pflege Kranker lässt sich schließlich nicht direkt Profit machen. Daraus gingen in den vergangenen Jahren feministische Kämpfe und Streiks hervor, die neue solidarischere Lebensweisen für alle forderten. Ihre Visionen sind emanzipatorischer und weitsichtiger als die Empfehlungen einer Arbeitsgruppe der Leopoldina etwa, aus der heraus einmal mehr weiße, alte Männer die Welt erklären.
Carolin Wiedemann
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