Das Mega-Melodram "The Light Between Oceans": Gefühlskino aus Hollywood
Seit "Blue Valentine" ist Regisseur Derek Cianfrance Experte für feine Seelendramen. „The Light Between Oceans“ geht aufs große Ganze - mit Hollywoods neuem Traumpaar Michael Fassbender und Alicia Vikander.
Wer auf Google Maps eine Virtualreise zum Leuchtturm von Cape Campbell bucht, stellt schnell fest, dass der nicht gar so weit am Ende der Welt steht, wie sich das romantische Gemüt gewöhnlich den Standort von Leuchttürmen wünscht. Sondern, um genau zu sein, im äußersten Nordosten der Südinsel Neuseelands, und damit nur rund 27 Seemeilen von Neuseelands im äußersten Südwesten der Nordinsel gelegener Hauptstadt Wellington entfernt. Auf den dazugehörigen Fotos jenes Traumreisebüros ist die dem Leuchtturm gegenüberliegende bergige Küste der Nachbarinsel jedenfalls durchaus zu erkennen.
Hier also, an der Spitze einer langgestreckten Halbinsel, deren schwarz-weiß gestrichener Leuchtturm nur über einen „Lighthouse Road“ genannten Feldweg zu erreichen ist, hat Derek Cianfrance „The Light Between Oceans" gedreht. Hier also hat er das sogleich nach dem Erscheinen 2012 zum internationalen Bestseller avancierte Romandebüt der Australierin M. L Stedham verfilmt, hier hat er, fernab von Handyempfang und insofern doch am Ende der Welt, mit seinem Team für sechs lange Wochen den drehüblichen Trailerpark aufgeschlagen. Und hier haben sich, die Welt weiß es, die Hauptdarsteller Michael Fassbender und Alicia Vikander, dienstlich als fiktives Leuchtturmwärterpaar Tom und Isabel und darüber hinaus im sogenannten echten Leben, ineinander verliebt und gelten seitdem – bye-bye, Brangelina! – als das neue Traumpaar Hollywoods.
Zauberhaftes Spiel der Hauptdarsteller
Muss man diese (liebes-)geografischen Details wissen, um die ohnehin auf Überwältigung zielende Geschichte zu goutieren, die Cianfrance hier für die ganz breite Leinwand erfindet? Natürlich nicht. Aber sie deuten darauf hin, dass es meist besondere Resultate zeitigt, wenn ein Regisseur für besondere Drehbedingungen sorgt – und die Etablierung eines Kreativdorfs abseits der zivilisatorischen Zerstreuungsmechanismen gehört unbedingt dazu. Auch der bezwingende Zauber des Spiels der beiden Hauptdarsteller, immerhin die solitäre Stärke des Films, lässt sich so vergleichsweise bodenständig erklären.
Tatsächlich stürzt „The Light Between Oceans“ (die Buchautorin meint das Ineinanderfließen von Indischem und Pazifischem Ozean nahe Australien) in diesen öden Kinosommer wie eine Gefühlsbombe, eine Überdosis aus Melodrama und Einladung zu extremem Eskapismus zugleich; gerade so, als wollte der 42-jährige amerikanische Regisseur, nach seinen differenzierten und diffizilen Seelenstudien „Blue Valentine“ (2010) und „The Place Beyond the Pines“ (2012) zumindest einmal im Filmemacherleben auf das allergrößte Ganze setzen.
Doppeltes Leid vervielfachtes Glück
Also kommt, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, der so hoch dekorierte wie traumatisierte Offizier Tom Sherbourne in das Romanstädtchen Partageuse und findet sofort eine Stelle als Leuchtturmwärter auf dem Inselchen Janus Rock – seinVorgänger hatte sich, geistig verwirrt, von den Klippen gestürzt. Und schon bei Toms erstem Besuch in Partageuse verliebt sich Isabel, die ihre beiden Brüder im Krieg verloren hat, in den wortkargen Fremdling. Im Kino muss dann minus mal minus Plus ergeben, doppeltes Leid vervielfachtes Glück. Zumindest anfangs.
Das ist, sieht man von einer gewissen Schwäche des Kameramanns Adam Arkapaw für zwischengeschnittene Sonnenuntergänge und des Komponisten Alexandre Desplat für mächtig anbrandenden Tonschmodder ab, erst mal klar und zügig in Szene gesetzt: Zwei verlieben sich, heiraten und wagen das Leben in vollendeter Menscheneinsamkeit. Doch als Isabel zwei Fehlgeburten durchmachen muss, sickert Leid auch in dieses von der Welt abgeschirmte Glück hinein. Andererseits scheint sich, als – sehr rätselhafterweise – ein Ruderboot angespült wird, mit einem Säugling und einer Männerleiche an Bord, alles zum Gottesgeschenk zu fügen: Isabel hat plötzlich eine Tochter, die sie bald beim nächsten Festlandgang als ihre leibliche ausgeben kann, und für den Toten findet sich eine schnell auszuhebende Grube. Nur: Kann es Glück geben, wenn es, selbst für die Glücklichen unsichtbar, auf anderweitigem Unglück gründet?
Auch gute Menschen können sich schuldig machen
Niemand ist böse in „The Light Between Oceans“, aber von Schuld befreien selbst die anrührendsten Motive nicht. Zunächst martert sich Tom, als er eines Tages von der Trauer der leiblichen Mutter Hannah Roennfeldt (Rachel Weisz) um ihr totgeglaubtes Kind erfährt und dieses Wissen zunächst gegenüber Isabel für sich behält; als er den ehelich-elterlichen Schwindel auffliegen lässt, erträgt er stumm sogar den polizeilichen Verdacht, damals den Kindsvater ermordet zu haben – aus Liebe zu seiner Frau, die von ihrer inzwischen vierjährigen Lucy nicht mehr lassen kann. Nur dass Isabel nun ihn, den Geheimnisverräter und Glückszerstörer, zu hassen beginnt – welch tragische Kettenreaktion!
Beim Festival in Venedig, wo der Film vergangene Woche Premiere feierte, haben die Kritiker „The Light Between Oceans“ ziemlich unisono als „weepie“, als Tränenzieher, abgehakt. Und dabei doch nicht nur, wie die „New York Times“, das „umwerfendste Kinoliebespaar seit Jahren“ entdeckt, sondern sogar, wie „Variety“, den „bergmanesken Zugriff“ auf den „seifenopernhaften Stoff“ gewürdigt. Tatsächlich fällt es schwer, jene subtilen Erschütterungen von Liebes- und Familienstrukturen, die Cianfrances Vorgängerfilme auszeichneten, zu den emotionalen Breitseiten dieses Mainstreamprodukts in Beziehung zu setzen. Aus feinem, leisem Beginn wird „The Light Between Oceans“ immer lauter – und dabei kleiner und kleiner, als wollte der Film noch vor den zwangsverweinten Augen seiner Zuschauer schamhaft in ein eigentümliches Nirwana entschwinden.
Was bleibt, vor allem aus der zweiten Hälfte? Immerhin eine Rede, zu der Tom aus Anlass des 40-jährigen Bestehens des Leuchtturms überraschend aufgefordert wird. Da steht der Leuchtturmwärter vor der versammelten Provinzgesellschaft, stammelt und stottert. „Ich versuch nur“, bringt er schließlich heraus, „das Licht am Leben zu erhalten für die, die's brauchen“. Und für einen Augenblick ist alles vergessen: dass da ein Oscar-Nominierter (Fassbender) mit Oscar-Bekrönten (Vikander und Weisz) spielt; dass es da die schöne Love Story im realen Leben gibt und so weiter. Nur ein schüchterner, menschenscheuer Mensch steht da vor Leuten, so was von allein und wunderbar fremd.
In Berlin in diesen Kinos: Astor Film Lounge, Blauer Stern Pankow, Cubix, Cinemaxx, Filmkunst 66, Kulturbrauerei, Rollberg
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