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Eine Hoffnung namens Familie. Seit kurzem weiß Luke (Ryan Gosling), dass er mit Romina (Eva Mendes) ein Kind hat. Höchste Zeit, ein irgendwie geregeltes Leben zu führen. Der Film „The Place Beyond the Pines“ läuft ab Donnerstag in 21 Berliner Kinos.
©  Studiocanal

Kino-Epos "The Place Beyond the Pines": Es muss nicht immer Action sein

Männer, Motorräder, Moneten: Davon kann man auch sensibel erzählen. "Blue Valentine"-Regisseur Derek Cianfrance holt für "The Place Beyond the Pines" Ryan Gosling und Bradley Cooper vor die Kamera. Und erweist sich mit seinem Kino-Epos über Väter und Söhne selber als großer Autorenfilmer Amerikas.

Nur drei Filme hat Derek Cianfrance – „See-in-France“ lautet die angelsächsische Aussprachehilfe der „New York Times“ – bisher gedreht, und schon der erste, 1998 auf dem Festival von Sundance präsentiert, gilt als Legende. Jeder, der „Brother Tied“ damals sah, rühmt die in Schwarzweiß gefilmte, finstere Rivalitätsgeschichte unter Geschwistern, seither aber ist das Werk nirgends erhältlich. Cianfrance selber steuert in Interviews dazu nicht viel mehr bei, als dass er damals, mit knapp 24, vor allem mit dem Schnittrekord von Sam Peckinpahs „The Wild Bunch“ wetteifern wollte – „you know what I mean?“

Zwölf Jahre, wohl ein Warteschleifenrekord unter Nachwuchsregisseuren, gingen dahin, bis er „Blue Valentine“ fertigstellen konnte, dabei hatte er sein Darstellerpaar Michelle Williams und Ryan Gosling schon früh gecastet. Die aber waren damals noch keineswegs Stars, der Geldfluss stockte, und zudem hatte Cianfrance inzwischen kaum mehr als MusikDokus gedreht. Diesmal aber gab es in Sundance gleich den Großen Preis der Jury. Also: Ruhm. Heute gilt „Blue Valentine“, die Tiefensondierung einer zarten, schönen, grässlich zerbröselnden Liebe, längst selber als Legende.

Und nun der dritte Wurf. Ein Epos in drei Teilen um Väter und Söhne, Wahrheit und Lüge, Schuld und Sühne – und darum, dass es feste Wurzeln braucht, damit ein Lebensbaum frei in den Himmel wachsen kann. Ein Triptychon, kompiliert aus Genre-Elementen des Heist-Movies, des Cop-Thrillers, der Coming-ofAge-Geschichte, und zugleich viel mehr. Ein Brocken, 140 Kinominuten schwer, und doch von elegant zu fassender Kohärenz. „The Place Beyond the Pines“ ist Derek Cianfrances Ritterschlag zum großen amerikanischen Autorenfilmer.

Das Städtchen Schenectady, 160 Meilen nördlich von New York, ist Schauplatz des Films – und gibt ihm auch seinen Titel. „Der Ort hinter den Kiefern“ heißt es in der Sprache der Mohawk-Indianer, und in einem Wald abseits der Stadt spielen denn auch einige Schlüsselszenen. Wie überhaupt in den eine ganze Generation überspannenden Handlungsbogen immer wieder szenische Parallelen – eine Geldübergabe, eine Flucht auf dem Zweirad, ein Erwachen im Krankenhaus – eingeflochten sind: Die Protagonisten der drei Episoden mögen jeweils verschiedene sein, doch tragen sie gemeinsam eine große Erzählung.

Emotionaler Mittelpunkt aller Geschichten ist der Motorrad-Stuntfahrer Luke, und Ryan Gosling spielt ihn mit dem aus „Drive“ bekannten Drive – verwegen, wortkarg, verletzlich. Am Anfang funktioniert er, die Kamera folgt ihm in einer faszinierend langen Einstellung, als bloße Jahrmarktsattraktion: Im Innern einer engen „Todeskugel“ sausen drei Fahrer stets knapp aneinander vorbei. Als der Jahrmarkt wieder einmal in Schenectady gastiert, erfährt Luke, dass seine Zufallsfreundin Romina (Eva Mendes) inzwischen ein Kind von ihm hat. Plötzlich spürt er eine Schuld, abzutragen durch Verantwortung – und will fortan für den kleinen Jason sorgen. Er gibt den Job auf und wird, angeheuert und angefeuert von einem Komplizen (Ben Mendelsohn), zum Bankräuber. Ein Zweiradkünstler wie er, so meinen beide, sollte lässig allen Fahndern entwischen.

Eine triviale Konstellation – aber wie bezwingend in Szene gesetzt und wie lakonisch erzählt! In jedem Bild atmet sie pures Kino und könnte doch nebenan geschehen, wie ein erst in den Traum, dann in den Albtraum entrückendes Leben. Teil zwei der Schuldspirale dieses Films ist mit Avery Cross (Bradley Cooper) verknüpft, einem Nachwuchs-Cop; nach einem scheinbar erfolgreichen Einsatz kämpft er mit allgemeiner Heldenverehrung, Selbstvorwürfen und der Verstrickung in einen korrupten Polizeiapparat. Avery hat selber einen kleinen Sohn, aber ihm entfremdet er sich ebenso wie seiner Frau (Rose Byrne). Aus allem heraus – und in eine noch bösere Rolle hinein – führt ihn allenfalls noch der eigene Vater, ein machtbewusster Richter.

Marionettenfiguren, ob junge Väter oder alte Söhne, sind sie beide, der Bankräuber Luke und der Ordnungshüter Avery, und Einsamkeit vereint sie über alle sozialen Gegensätze hinaus. Ihr Antihelden-Solipsismus speist sich aus dem anrührenden Bemühen, mitten in einer defekten Gesellschaft irgendwie integer zu bleiben – so lange, bis man in die Mündung einer Pistole blickt. Der dritte Teil des Films ist als Folge dieser Versuchsanordnung zu verstehen: Lukes und Averys inzwischen halbwüchsige Söhne schlagen sich mit den seelischen Erblasten ihrer abwesenden Väter herum. Der schüchterne Außenseiter Jason (Dane DeHaan) und der Maulheld AJ (Emory Cohen) besuchen dasselbe College, und erst in der Kollision der gleichermaßen verkorksten Jugendlichen treten lang verborgene, schmerzhafte Wahrheiten zutage.

Es sind Wahrheiten, die der Zuschauer längst kennt – und dass die Umstände ihrer Aufdeckung dennoch aufregend und sogar aufwühlend wirken, gehört zu den stillen Stärken von „The Place Beyond the Pines“, an dessen Drehbuch Cianfrance mit zwei Ko-Autoren geradezu besessen gearbeitet hat. Auch gelingt ihm das Kunststück, im Milieu ritueller Machtspiele auf das Obermoralisieren ebenso zu verzichten wie auf geläufige Gewaltverherrlichung. Stattdessen lässt das Geschehen, das Schuld eher mit einer unreligiösen Form von Buße denn mit Strafe verknüpft, schmale Wege zur Wiedergutmachung frei.

Von Muskeln und Motorrädern, von Dollarbündeln und Kanonen erzählt Cianfrance und unterhöhlt zugleich diese Stereotypen amerikanischer Männlichkeit, indem er ganz auf das Leise setzt. Dazu gehört Kraft, ebenso wie dazu, Hoffnung ausgerechnet daraus zu filtern, dass dramatisch misslungene Verhältnisse sich kühl als dramatisch misslungen offenbaren. Sehr viel mehr kann das Kino nicht probieren, als dem Allerweltsleben so abenteuerlustig auf der Spur zu sein.

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