"Blue Valentine": Schön, traurig, hinreißend
Glück und zurück: Auf beglückend unverwechselbare Weise erzählt Derek Cianfrances „Blue Valentine“ die Geschichte einer Liebesbeziehung.
In Ang Lees „Brokeback Mountain“ hat sie nur ein paar Szenen, aber mit ihnen hat sich Michelle Williams, damals kaum 24 Jahre alt, in die Filmgeschichte hineingeschrieben. Sie spielt Alma, die Ehefrau von Ennis Del Mar (Heath Ledger), mit dem sie zwei kleine Töchter hat, und nach einer Filmstunde entdeckt sie, dass ihr Mann einen anderen Mann liebt. Es ist ein Blick aus dem Fenster in den Hof, der Blick auf einen wilden Kuss, ein schreckliches Erkennen für immer.
Nach einer weiteren halben Filmstunde, Alma ist längst neu verheiratet, begegnen sich die beiden noch einmal und, unendlich verspätet, kommt es zu einem wütenden Gefühlsausbruch. Ennis ist bei Almas Familie zu Thanksgiving eingeladen, und nach dem Essen konfrontiert Alma ihn mit ihrem Wissen, ihrem Schmerz und ihrem Schweigen. Es ist ein leiser, unaufhaltsamer Anlauf, und wenigstens für diesen Augenblick setzt er das eingekapselte Entsetzen frei.
„Brokeback Mountain“ erzählte davon, wie unauslebbare Liebe die Liebenden aufzehrt. Dabei spiegelte sich die große, schwule Passion des Films in Almas vollendeter Verlorenheit, der Michelle Williams einen fundamental kindlich verletzten Ausdruck gab. Als fiele der Mensch in sein Leben wie ins lebenslang Bodenlose, während er selbst seinem Sturz zusieht aus trauerndem, unbeweglichem Auge.
In Derek Cianfrances „Blue Valentine“ nun, Michelle Williams spielt mit Ryan Gosling das Ende und die Anfänge einer Liebe, übernimmt die Kamera diesen unbestechlichen Blick. Auch er ist einer aus großer Distanz – als sondierte er aus ferner Zukunft, was da war und bleibt. Und funktioniert dabei, scheinbar wahllos zwischen den Zeiten springend, wie Erinnerung selbst, nur der Intensität der gewesenen Augenblicke gehorchend und nicht unterscheidend zwischen Glück und Schmerz. Wer aber als Regisseur die Chronologie einer Liebesgeschichte so planvoll dekonstruiert, löst auch ihre Kausalität auf, und so bleiben Seligkeit und Einsamkeit provozierend selbstverständlich nebeneinander stehen.
Dean und Cindy heißen die Versuchssubjekte dieses filmischen Experiments. Sie haben geheiratet, als Cindy das Kind eines anderen erwartete und dann doch nicht abtreiben ließ, und nach ein paar Jahren ist die Patchwork-Minifamilie irgendwie am Ende. Erst studiert Cindy Medizin, und der lustige Ukulelespieler und Song-Erfinder Dean jobbt als Möbelpacker. Nachher arbeitet sie, sehr nachgeordnet, in einer Geburtsklinik, und er, inzwischen Anstreicher, trinkt schon morgens das erste Bier. Zwischen beiden Frankie, Cindys Tochter: Ja, Dean liebt sie wie seine eigene.
Tausend andere Spielfilme würden jetzt Affären erfinden. „Blue Valentine“ wagt die Implosion. Dean ist bloß ein großes Kind, und Cindy wird bloß sehr erwachsen. Dean macht nichts aus seinem „Potenzial“, wie Cindy einmal meint, als die beiden sich ausnahmsweise im Gespräch über ihre Liebesstörung beugen wie über einen stotternden Motor, aber da sagt Dean schon: „Potenzial – wofür?“ Ihr genügt nicht, was ihm genügt, weshalb er sich gehen lässt. Und nun wird er wohl tatsächlich gehen müssen.
Diese Dutzendschmerzgeschichte erzählt der Clipregisseur und Dokumentarist Derek Cianfrance beglückend unverwechselbar. Deans glühende Jungenhaftigkeit und sein hilfloses Maulheldentum. Cindys Verzaubertsein durch den 20. oder auch 25. Lover ihres jungen Lebens und das Geschwür ihrer Enttäuschung, dessen Wucherungen sie sich selbst und Dean zu verheimlichen sucht. Aber nur keine berechenbare Reihenfolge. Und so schaukelt sich das hin und her und davon, bis die Ereignis- und Erinnerungsschichten sich gänzlich überlagern und ihren Unterschied zu planieren beginnen. Sollte das die wunderfurchtbare ewige Liebe sein?
Ryan Gosling und Michelle Williams spielen diese Szenen einer Liebe und Ehe, als geschähen sie, sehr intim, gerade so in 3D-Echtmenschenzeit vor unseren Augen. Die Nacht der sich betrinkenden Eheleute im schäbigen „Future Room“ eines Sex-Motels. Die Nacht der Frischverliebten mit zauberhaft improvisiertem Stepptanz im Licht irgendwelcher Schaufenster. Verführung. Verzweiflung. Tränen. Gelächter. Bekenntnis. Erkenntnis. Anfang. Ende. Anfang, Ja, noch einmal alles auf Anfang, um jeden Preis.
Ist es wichtig, zu wissen, dass Michelle Williams für ihre Rolle ihre zweite Oscar-Nominierung bekam, nach „Brokeback Mountain“ 2006? Und dass sie nach dem Tod von Heath Ledger, mit dem sie eine kleine Tochter hat, zwei Jahre keinerlei Film drehte – bis eben zu dieser großartigen Rolle in „Blue Valentine“? Und was bedeutet es, dass Derek Cianfrance elf Jahre lang an seinem Herzensprojekt laborierte und schon früh Michelle Williams und Ryan Gosling dafür auswählte? Zum Beispiel, dass es gut sein kann, wenn Zeit vergeht seit der ersten Idee – Hauptsache, nicht zuviel Zeit?
Wer’s braucht. Wie viel schöner aber, sich ohne das Geländer fremder Biografien in so einen fordernden und fesselnden Film zu wagen. Denn „Blue Valentine“ ist – in diesem Sommer der mal groben, mal hübschen Kino-Kindereien – einer für Erwachsene. Für die Erwachsenen, die wir sind.
Cinemaxx, FaF, Kant Kulturbrauerei, Off, OV im Cinestar SonyCenter, OmU in den Hackeschen Höfen und im Odeon.
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