Filmfest Venedig (2): Alien, sprich!
Ein Paar auf der Leinwand und auch im Leben: Christiane Peitz berichtet vom zweiten Tag der Filmfestspiele in Venedig.
Die Liebe legt am Lido an, schreiben die Gazetten. Alicia Vikander und Michael Fassbender sind da, die junge Schönheit, der virile Star, ein Paar auf der Leinwand und im wirklichen Leben. Jubelschreie am roten Teppich, das Filmfest Venedig erlebt seinen ersten Glamour-Höhepunkt, auch wenn die Leuchtturmwärter-Schmonzette „The Light Between Oceans“ im Löwen-Wettbewerb wahrlich nichts zu suchen hat. Eine sturmumtoste Felseninsel, ein Drama um Mutterschaft, gestohlene Kinder und die Schuld, die Liebende auf sich laden: Regisseur Derek Cianfrance ertränkt die archaische Tragödie in purer Werbeästhetik.
Wie kommt die Gewalt in die Welt? Es ist dann nicht Vikander, sondern die so unspektakulär wie eindringlich spielende Amy Adams, in deren blassem Gesicht sich die Folgen der Gewalt spiegeln, der Schmerz, die Angst und die Courage, in gleich zwei Filmen am Lido. Im Science-Fiction „Arrival“ verhindert sie als Linguistik-Professorin einen Krieg der Welten durch schier übermenschliches Einfühlungsvermögen, Sie entziffert die Sprache der Aliens, mehr noch, sie findet in letzter Sekunde die richtigen Worte gegenüber dem kriegslüsternen chinesischen Oberbefehlshaber, auf Mandarin! Denis Villeneuves Psycho-Film schillert vor Raffinesse, mit Ufos in Gestalt von wundersamen Landart-Skulpturen und verblüffend ineinander verschlungenen Zeit- und Traumebenen.
Alles changiert: Realität, Fiktion, Identitäten, Genres
Tom Fords „Nocturnal Animals“ steht dem an Eleganz und Wucht in nichts nach. Der US-Modedesigner beweist in Venedig nach „A Single Man“ 2009 zum zweiten Mal, dass er aus dem Stand große Filme zu drehen versteht. Wieder ist es Amy Adams, in deren Gesicht sich der Schock abzeichnet, das Trauma der eigenen Abgründe. Und wieder changieren Realität und Fiktion, Identitäten, Genres, Stile. Ford ist ein Virtuose des Eklektizismus, wenn er Adams zunächst als erfolgreiche Kunsthändlerin namens Susan einführt, in einer Vernissage mit fetten Nudes in weißen Stiefeln vor blutroten Samtvorhängen.
Susan bedient die dekadente Kunstszene und ist ihr zugleich entfremdet, ihr Dressman von Ehemann betrügt sie. Alleingelassen auf ihrem Luxus-Anwesen mit Jeff-Koons-Kitschplastik, liest sie den Roman, den ihr erster Ehemann Edward (Jake Gyllenhaal) ihr geschickt hat. Vor ihren schreckgeweiteten Augen entrollt sich ein rabenschwarzer Thriller im Western-Texas-Ambiente, ein Horrorfilm, wieder mit Jake Gyllenhaal, der nachts von Hooligans überfallen wird und miterleben muss, wie Frau und Tochter in die Wüste entführt und grausam ermordet werden. Sein Leben wird zum Rachefeldzug, mit einem lungenkrebskranken Sheriff an seiner Seite. Und Edwards Roman entpuppt sich als bittersüße Rache an Susan, an ihrem Liebesverrat.
Kino ist eine Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wir müssen nicht verstehen, was wir sehen, wir müssen es nur glauben. Dann haben auch Aliens ein Recht auf Untertitel, wenn sie sich äußern. Und dann geben die Nackten in der Kunst und die Toten in der Wüste das gleiche verstörende Bild ab.