"Made in Germany 3"-Ausstellung in Hannover: Für das große Ganze, bitte hier entlang
Die Ausstellung „Made in Germany“ bilanziert alle fünf Jahre, was künstlerisch in Deutschland passiert. Sie positioniert sich als frische und ideologiefreie Documenta-Konkurrenz.
Es erfordert einiges Geschick, um zwischen Julius von Bismarcks „Freedom Table & Democracy Chair“ hindurchzukommen. Die zwei Schreibtische und zwei Stühle aus den Büros des Sprengelmuseums hängen an Schnüren von der Decke des Ausstellungssaales und rotieren per Computersteuerung; jeden Moment könnten sie kollidieren. Eine junge Frau huscht an den schaukelnden Möbeln vorbei, die laut ihres dröhnenden Titels mehr sein wollen als nur ein Museumsspaß oder Handymotiv. Hier sollen Freiheit und Demokratie verhandelt werden, überhaupt das große Ganze. Der Berliner Bildhauer Julius von Bismarck schuf die mobile Skulptur eigens für die Ausstellung „Made in Germany 3“, die zum dritten Mal parallel zur Documenta alle fünf Jahre bilanziert, was künstlerisch in Deutschland gerade geschieht.
Hannover schiebt sich damit in die Reiseroute der Kunsttouristen, die in diesem Sommer zwischen Kassel und Athen, den Skulptur Projekten in Münster und der Biennale in Venedig unterwegs sind. „Made in Germany“ – das hat Gewicht, das zeugt von Qualität, raunt es rüber zu den anderen Destinationen auf der Grand tour, zumal in einer dritten Auflage nach den ersten beiden viel beachteten Ausgaben. Trotz Fortschreibung einer Erfolgsgeschichte quält sich das Veranstaltertrio Sprengelmuseum, Kestner Gesellschaft, Kunstverein mit dem einmal gefundenen Namen „Made in Germany“, schließlich ging es nie um deutsche Kunst, sondern Werke internationaler Künstler, die in Deutschland leben und arbeiten.
Unter welchen Bedingungen entsteht Kunst?
Diesmal ist der Fokus auf das Machen, die Produktionsstätte Deutschland gerichtet, die Entstehung von Kunst in einem Land, das dank seines Föderalismus reich an Ausstellungsorten ist, an Museen, Kunstvereinen, Galerien, off spaces, an Akademien, Atelierhäusern, Netzwerken und technischen Zulieferbetrieben. Und das vor allem ein höchst aufgeschlossenes Publikum besitzt. Da diese Erkenntnis als Konzept für eine Großausstellung noch nicht reicht, untersuchten die von den Ausstellungshäusern entsandten Kuratorenduos das Thema Produktion unter drei verschiedenen Vorzeichen: der Vernetzung, dem prozessualen Vorgehen und der Ortsbezogenheit. Künstler arbeiten heute zunehmend in Netzwerken, Kollektiven. Häufig ist die Produktion fließend. Dingfest wird sie erst durch eine ortsspezifische Installation, eine vorübergehende Fixierung in der globalisierten Kunstwelt, so die These. Geschenkt, dass zwei Drittel der Teilnehmenden in Berlin wohnen, permanent Reisende sind sie alle.
Yorgos Sapountzis zeigt eine komplexe Installation
Diese Prämissen, nach denen die 41 künstlerischen Positionen ausgesucht wurden, haben zwar viel von Kuratorengeklingel. Trotzdem heben sie sich wohltuend etwa von der Documenta ab, deren Konzept sich wie Mehltau über die Ausstellung gelegt hat. Während in Kassel und Athen die Kunst zur Veranschaulichung einer politischen Botschaft dient, wirkt sie in Hannover erstaunlich frisch, als habe sie sich vom Überbau nicht unterkriegen lassen. Wer ideologiefrei eine Idee aktueller Kunst bekommen will, sollte tatsächlich den Schlenker nach Niedersachsen machen. Für Künstler, die auch auf der Documenta, der Biennale, den Skulptur Projekten zu sehen sind, stellt Hannover zwar nur einen Nebenschauplatz des großen Kunstsommers dar, doch machen sie sich hier auf den zweiten Blick mit ihrem sidekick erstaunlich gut, wenn nicht besser.
So entwickelte Yorgos Sapountzis nicht nur für das Arsenale in Venedig eine komplexe Installation, sondern auch für das Sprengelmuseum, bei dem er sich in der Sammlung bediente und Skulpturen der zehner bis sechziger Jahre von Kolbe, Lehmbruck, Maillol, Scheibe, Hrdlicka für ein Arrangement auswählte. Die 22 Aktfiguren stehen von bunten Tüchern umhüllt, durch Stoffbahnen miteinander verbunden auf einer Bühne, als könnte im nächsten Moment eine Szene beginnen. In Hannover hat diese Konstellation unter dem Titel „Nacktes Erbe: Wir brauchen Euch alle“ allerdings eine immense Kraft, anders als auf dem Rummelplatz Biennale besitzt sie eine Konzentriertheit. Einen Katzensprung vom Maschsee entfernt, wo das Skulpturenarsenal aus den Dreißigern noch am Ufer steht, wird das Menschenbild neu verhandelt, Geschichte in die Gegenwart geholt.
Politik und Poesie kreuzen sich
Daniel Knorr wiederum, der in Athen mit einer gewaltigen „Müllpresse“ und in Kassel mit seinem Gewölk über dem Fridericianum große Auftritte hat, kommt in Hannover bescheiden daher. Von ihm hängen in verschiedenen Sälen der Kestner Gesellschaft Bodenabgüsse aus farbigem Polyurethan, „Depression Elevations“ genannt, die er in Athen oder von der Expo-Plaza in Hannover abgenommen hat. Das Beziehungsnetz, das sich dadurch zwischen den Orten der Wirtschaft und nationaler Zerwürfnisse angeblich eröffnen soll, erschließt sich zwar nicht. Aber Knorr erscheint wieder als der spielerische Verdichter, in dessen intuitiven Setzungen sich Politik und Poesie kreuzen, mag der Erkenntnisgewinn auch gering ausfallen.
Mit Peles Empire ist wiederum eine Verbindung zu den Skulptur Projekten in Münster hergestellt, wo das Berliner Duo ebenfalls mit einer Interpretation des 1866 in den rumänischen Karpaten errichteten Schlosses Peles vertreten ist, das sie seit über zehn Jahren durch seinen Stilmix fasziniert. Während die beiden Künstlerinnen in Münster das niedersächsische Giebelhaus als äußere Erscheinungsform hinzukombinierten, stülpen sie sich in Hannover nach innen, indem sie eine fotografische Collage ihres Ateliers auf Wand und Boden eines ganzen Saales im Kunstverein applizieren. Selbstverständlich tauchen darin auch Motive von Schloss Peles auf.
Eine Max-Klinger-Skulptur aus den 3D-Drucker
Ähnlich wie ihr griechischer Kollege Yorgos Sapountzis, der ebenfalls in Berlin lebt, entwickeln Katharina Stöver und Barbara Wolff von Peles Empire eine erstaunliche Anhänglichkeit an historische Größen, die sie jedoch medial immer wieder neu aufbereiten, uminterpretieren. Die Künstlergeneration der digital natives arbeitet sich bevorzugt an der Kunstgeschichte ab, als könnte an ihren Gestaden der Bilder-flow für einen Moment innehalten. Diese Sehnsucht kann geradezu komische Formen annehmen wie in Oliver Larics Reproduktion der berühmten Beethoven-Skulptur von Max Klinger, die er per 3-D-Drucker wieder entstehen ließ – allerdings verkleinert, denn das Leipziger Museum der bildenden Künste untersagte eine Kopie in identischer Größe.
Die Künstlergruppe Das Numen steht wiederum für das Arbeiten einer jüngeren Generation im Kollektiv. Die vier Absolventen des Instituts für Raumexperimente von Olafur Eliasson, die auch als Einzelkünstler tätig sind, schufen aus vier von der Decke hängenden gewaltigen Orgelpfeifen eine Soundinstallation. Die von Wetterstationen rund um den Globus aufgezeichneten Daten werden in elektronische Impulse und schließlich Gebläse umgewandelt, die die Orgelpfeifen zum Klingen bringen. Lehrvater Eliasson setzt ebenfalls physikalische Phänomene in Skulpturen um. Das Quartett verbindet Hannover mit der Welt, das Museum mit der Natur. Der Stempel „Made in Germany“ stört da eigentlich nur.
Kestner Gesellschaft, Kunstverein Hannover, Sprengelmuseum, Hannover, bis 3. 9.; Katalog (Snoeck Verlag) 36 €.
Nicola Kuhn
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