Kunst von Alfred Hrdlicka in Berlin: Nach dem Attentat
Der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka schuf 1974 einen 53-teiligen Radierzyklus zum missglückten Hitler-Attentat am 20. Juli 1944. "Wie ein Totentanz" ist jetzt im Willy-Brandt-Haus zu sehen.
Vor fast 70 Jahren, am 20. Juli 1944, scheiterten Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Mitverschwörer bei dem Versuch, Adolf Hitler mit einem Sprengsatz zu beseitigen und das Nazi-Regime zu stürzen. Seit den Fünfzigerjahren wird dieser Revolte offiziell als vorbildlich gedacht: Längst ist der 20. Juli zum Symbol für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus geworden. Er gilbt als Leitbild für die Bundeswehr, er ist ein fester Bestandteil der Erinnerungskultur.
Anders sieht es der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka. 1974 schuf er zu dem missglückten Attentat den 53-teiligen Radierzyklus „Wie ein Totentanz“, der jetzt im Berliner Willy-Brandt-Haus gezeigt wird. Für Hrdlicka sind Stauffenberg und seine Mitstreiter, bei allem Respekt vor deren Tat, keine Helden, sondern vor allem eins: „brillante Militaristen“. Für den Künstler, der den Faschismus als Kind selbst erlebt hat, sind Macht, Ordnungssucht, Disziplin und Gewalt die Wurzel des deutschen Faschismus. Das führt er in seinem Bilderzyklus in weitem Bogen aus.
Das Böse im Menschen
Das erste Blatt zeigt Friedrich II. 1764, wie er bei einer Kaserneninspektion einen Soldaten demütigt. Schriftsteller und „Erzzivilist“ Giacomo Casanova wohnt als Gast des Königs der Szenerie bei und flüchtet danach angewidert vom Hof. Ungehört, desillusioniert, instrumentalisiert, wie die Expressionisten, wie Kleist, wie Wagner, wie weitere Individualisten, die in den folgenden Blättern auftauchen.
Hrdlicka, der 2009 verstarb, eckte mit seiner Kunst oft an, viele haben ihn auch deshalb nicht ertragen, weil er nie aufhörte, in aller Deutlichkeit zu zeigen, wie böse der Mensch sein kann. In seinem Zyklus nutzt er eine Vielzahl an Drucktechniken, um eine Szene noch spitzer, polemischer, grauenhafter zu gestalten. Mal zeichnet er die Personen mit nebligen Strichen auf schwarzem Grund, als würde er mit Röntgenblick die deutsche Psyche durchleuchten. Ein anderes Mal begräbt er das Unsagbare in düsteren Aquatinta-Gründen, geschult an Goya, der Krieg und Widerstandskampf ebenfalls in düsteren mehrteiligen Radierzyklen verarbeitete.
Delinquent am Fleischerhaken
Man kann nur ehrfruchtsvoll staunen angesichts der Tatsache, dass Hrdlicka diese Blätter in nur drei Monaten gezeichnet hat. Der Mann muss gearbeitet haben wie ein Wilder. Er wollte senden, auf allen Kanälen, deshalb auch die umfangreichen Texttafeln zu jedem Bild. Hrdlicka war ein ausgemachter Feind der abstrakten Nachkriegskunst, die den menschlichen Körper aussparte. Auch bei den Nationalsozialisten erkannte er Freude an unmenschlichen Formen, an Strukturen und Geometrie. In dem Bild „Der Schönheitsstaat“ spielt er das wunderbar aus: Embleme, viereckige Uniformen, und die Frau gibt es nur ins Rhönrad gespannt.
Bei der Szene, in der Stauffenberg und seine Freunde nach dem Attentatsversuch in den Bendlerblock zurückkehren und die Revolte wegen der Unentschlossenheit der verbündeten Offiziere nicht in Gang kommt, wird Hrdlicka zum Karikaturisten. In anderen Blättern konzentriert er sich auf das Notwendigste. In „Acht Zigaretten pro Hinrichtung“ hängt ein Delinquent am Fleischerhaken. Hrdlicka bezieht sich hier auf die Strangulierungen im ehemaligen NS-Gefängnis in Berlin-Plötzensee, wo auch viele der Widerständler des 20. Juli hingerichtet wurden. Traurige Wahrheit: Jede Exekution wurde mit acht Zigaretten entlohnt. Hrdlicka wählt nicht immer die Realität, er dichtet auch hinzu. Seine Bilder sind trotzdem extrem informativ und dürften, besonders für manch junges Auge, aufwühlender sein als ein Geschichtsbuch.
Bis 29. August, Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28, Di-So 12-18 Uhr
Birgit Rieger
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