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Bayreuth-Debütant: "Meistersinger"-Regisseur Barrie Kosky vor dem Festspielhaus auf dem Grünen Hügel. In Berlin leitet der Australier die Komische Oper.
© Daniel Karmann/dpa

Bayreuther Festspiele: Friede, Freude, Meistersinger

Sonst gibt's gern mal Skandale vor der Eröffnung der Wagner-Festspiele. Diesmal ist alles ruhig in Bayreuth - und mit "Meistersinger"-Regisseur Barrie Kosky inszeniert erstmals ein jüdischer Künstler.

Kein Skandal, nicht mal ein Skandälchen. Kein Regisseur, der ausgeladen wird oder nicht kommt, kein Dirigent, der das Weite sucht, kein Sänger mit hakenkreuzähnlichen Tattoos: Noch sind die Richard- Wagner-Festspiele 2017 nicht eröffnet, aber wenn der Grüne Hügel nicht in letzter Sekunde noch Breaking News absetzt, hat Bayreuth in diesem Jahr schon jetzt ein Alleinstellungsmerkmal. „Der Skandal dieser Saison ist, dass es keinen Skandal gibt“, sagte Regisseur Barrie Kosky schon vor Wochen der „Süddeutschen Zeitung“.

Und es stimmt immer noch: 2016 warf Andris Nelsons vor der „Tristan“-Premiere den Taktstock, 2015 meldete sich der äußerst zurückhaltende Kirill Petrenko nach diversen Sänger-Ausladungen mit herber Kritik, 2014 wurde Jonathan Meese gecancelt... Und diesmal? Friede, Freude, Meistersinger. Dass nächstes Jahr nun doch nicht Anna Netrebko die Elsa im „Lohengrin“ singt, sondern Anja Harteros, wie Festspielchefin Katharina Wagner beim traditionellen Pressegespräch am Montag bekanntgibt – geschenkt.

Die wichtigste News ist Barrie Kosky selbst. Der gefeierte Intendant der Komischen Oper Berlin richtet „Die Meistersinger von Nürnberg“ neu ein; an diesem Dienstag um 16 Uhr hebt sich der Vorhang, in Anwesenheit von Stammgast Angela Merkel, dem schwedischen Königspaar und vielen anderen illustren Gästen.
Dass Barrie Kosky der erste jüdische Regisseur in Bayreuth ist – worauf auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters hinweist –, erinnert an die unrühmliche Geschichte der Festspiele samt Hitler-Besuchen und anderweitiger NS-Verstrickung. Wobei es zunächst seltsam, ja bedenklich anmutet, dass die Religionszugehörigkeit eines Künstlers am Hügel überhaupt erwähnt wird. Aber Kosky selbst spricht in Interviews über seine jüdisch-ungarische Großmutter und deren Wagner-Liebe – nicht zuletzt deshalb, weil er den teils latenten, teils offenen Antisemitismus der „Meistersinger“ auf der Bühne thematisieren wird. Vor allem bei der Figur des Beckmesser, in der sich „gängige Ressentiments gegen die Juden wiederfinden“.

Kosky in Wagner-Land? "Mit seelischem Knoblauch und Davidstern funktioniert das super"

Barrie Kosky, der lange Vorbehalte gegen Bayreuth hatte und eher nicht dort arbeiten wollte, lobt die gute Zusammenarbeit mit Katharina Wagner (in der „Welt am Sonntag“), Dirigent Philippe Jordan berichtet von viel Spaß bei den Proben. Was den „Zauberspuk“ des belasteten Orts angeht, „halte ich meinen seelischen Knoblauch in der einen Hand und meinen Davidstern in der anderen, und das funktioniert super“, so Kosky in der SZ. Monika Grütters, die ebenfalls die Premiere besuchen wird, verweist zudem auf Koskys Beobachtung, dass es sich um Wagners einziges Bühnenwerk handelt, „das nicht aus der Welt der Sagen kommt, sondern in der realen Menschenwelt angesiedelt ist“. Der Regisseur nennt Nürnberg ein „urdeutsches Biotop“, seine Probleme mit der Deutschtümelei des Werks („zuviel C-Dur“) habe er lösen können, indem er sich klarmachte, dass es weniger ums Deutsche geht, als um Wagners Idee davon. Auch die Aktualität des Themas Nationalismus ist Kosky ein Anliegen.

Dirigent Philippe Jordan: Bei den "Meistersingern" geht es um Feinheiten

Und die Musik? Michael Volle singt den Sachs, Klaus Florian Vogt den Stolzing, Anne Schwanewilms die Eva, Johannes Martin Kränzle die heikle Partie des Beckmesser. Philippe Jordan dirigierte in Bayreuth bereits den „Parsifal“, er sagt, die „Meistersinger“ sind schwieriger im „mystischen Abgrund“, dem berühmt-berüchtigten Orchestergraben: „Das ist viel kleinteiliger, es geht Takt für Takt – und rauscht nicht in diesen großen Wagnerschen Wellen.“ Es gehe um die Feinheiten, und um das Theaterhafte des Stücks: „Ich behaupte, es ist die beste deutsche Komödie, die je geschrieben wurde“.
Wer wissen will, ob Kosky und Jordan halten, was sie versprechen, braucht übrigens nicht jahrelang auf ein Ticket zu warten. In Berlin wird die Premiere leicht zeitversetzt mit verkürzten Pausen ab 18 Uhr in den Kinos Delphi und International übertragen, es gibt Restkarten. 100-prozentig live sendet Sky Arts ab 15 Uhr, einschließlich Rotem Teppich und Talks. Über ein Monats-Einsteiger-Abo kann man für nur 1 Euro dabei sein. (mit dpa)

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