Hitler in Bayreuth: Filmdose gefunden: Wolfgang Wagner filmte Hitler privat
Vergessen, verdrängt? Die Filmrolle lag jahrelang im Festspielhaus: Wagner-Enkel Wolfgang filmte Hitler im Garten von Haus Wahnfried. Nun ist das verschollene Zehn-Minuten-Dokument wieder aufgetaucht.
Wolfgang Wagner war 16, als Hitler in Haus Wahnfried zu Besuch kam. Dass die Wagners dem NS-Diktator freundschaftlich verbunden waren, ist wahrlich nicht neu. Aber nun wird es noch einmal augenfällig, in einem bislang unbekannten Dokument: Der Komponistenenkel, später Prinzipal der Bayreuther Festspiele über Jahrzehnte, filmte den Gast 1936, schwarzweiß, ohne Ton. Hitler „ungeschützt familiär“, heißt es in der „Zeit“: „Hitler im Garten von Haus Wahnfried ... Hitler lauschend, lächelnd, Hitler unerhört bescheiden, ja devot“. Man scherzt, plaudert, und die Wagner-Familie himmelt ihn an, vor allem Winifred, Schwiegertochter von Richard und Mutter von Wolfgang.
Die Schmalfilmrolle ist zehn Minuten und 40 Sekunden lang. Jahrelang lagen die Agfa-Filmdosen – vergessen, verdrängt, verschollen? – auf dem Grünen Hügel, im zweiten Stock des Festspielhauses, mit 26 weiteren Zelluloid-Jugendwerken von Wolfgang W. Die „Zeit“-Musikredakteurin Christine Lemke-Matwey begann im Herbst 2015, danach zu fahnden, denn der Filmemacher Hans-Jürgen Syberberg hatte ihr abfotografierte Szenen daraus gezeigt.
Während der Arbeit an seiner Dokumentation über die bis ins hohe Alter glühende Hitler-Verehrerin Winifred Wagner in den Siebzigerjahren hatte Wagners Urenkel Gottfried ihm den Film überlassen wollen. Aus Gründen der Redlichkeit wollte Syberberg das Material jedoch nicht behalten und lichtete es stattdessen ab, Bild für Bild.
Erst auf explizite Nachfrage wurden die Filme dem Staatsarchiv übergeben
Die heutige Festspielchefin Katharina Wagner hatte den Nachlass ihres Vaters Wolfgang 2013 dem Bayerischen Staatsarchiv vermacht. Die Filme waren nicht dabei. Archivdirektorin und Sylvia Krauss hakte aufgrund der „Zeit“-Recherchen nach, im Dezember 2015 konnte die Nachlassverwalterin die Dosen nach München holen. „Dass Hitler für die Kinder ein Vaterersatz war, das weiß man“, sagt Krauss. „Aber jetzt sieht man es lebendig.“
Der Öffentlichkeit die Dokumente erst auf Nachfrage überlassen: Sieht so die Aufarbeitung der Familiengeschichte aus? Die Wagner-Nachfahren hatten die Auseinandersetzung mit der eigenen familiären NS-Verstrickung vielfach versprochen, auch Katharina Wagner nach ihrem Amtsantritt.
"Wagners abscheulicher Antisemitismus und die Aufarbeitung der NS-Geschichte bei den Festspielen sind nach wie vor brisante und insofern brennende Themen", sagte Katharina Wagner 2013 im "Tagesspiegel"-Interview und verwies darauf, dass sie den gesamten Wolfgang-Nachlass bereits 2010 an den Journalisten Peter Siebenmorgen und den Historiker Wolfram Pyta übergeben habe. Nach Aussagen der beiden sei aber nichts Unbekanntes zu entdecken gewesen. Auch sie hatten den 16-Millimeter-Film offenbar nicht bekommen.
Hitler privat bei den Wagners: Forscher können das Material einsehen, mit Genehmigung
Inzwischen wurde der Film digitalisiert; bald soll er Forschern auf CD zur Verfügung stehen. Damit die unheimliche Nähe zwischen Politik und Kultur noch genauer erkundet werden kann, vielleicht ja auch das Psychogramm von „Dr. Jekyll und Mr. Hyde im oberfränkischen Großfamilienidyll“, wie es in der „Zeit“ heißt. Die CD bekommt jedoch nur zu sehen, wer Forschungszwecke nachweist und eine entsprechende Genehmigung erhält. Denn, so die Historikerin Krauss, mit Verena Lafferentz - der jüngsten Schwester Wolfgang Wagners - taucht vor der Kamera auch eine noch lebende Person auf. Folglich greifen Persönlichkeitsrechte.
Wer ist noch zu sehen auf dem Film? Der Dirigent Heinz Tietjen, ebenfalls ein Freund der Familie. Auch ein offizieller Festspiel-Besuch Hitlers, Hermann Görings und Joseph Goebbels jeweils mit Ehefrau finden sich auf den nun wiederentdeckten Materialien, ebenso ein Dinner mit Hitlers Architekt Albert Speer. Ausschnitte aus den Dokumenten waren Krauss zufolge vereinzelt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen. „Ach, die Bilder kennen wir doch schon“, sollen Wagner-Familienmitglieder Krauss zufolge gesagt haben. Wie gesagt, Aufarbeitung sieht anders aus. (mit dpa)