Tagesspiegel-Tipps zum Musikfest: Frederik Hanssen empfiehlt ...
Auch Kritiker kennen Vorfreude: Hier verrät Kultur-Redakteur Frederik Hanssen auf welche Konzerte, Orchester, Dirigenten und Solisten er beim Musikfest Berlin besonders neugierig ist.
Teodor Currentzis und das Mahler Chamber Orchestra
Von diesem Dirigenten erzählt man sich ja wahre Wunderdinge: Obwohl Teodor Currentzis als eines der größten Talente seiner Generation gilt - und entsprechend von den Musikmetropolen umworben wird – hat sich der 1972 geborene Grieche für die russische Provinz entschieden. Mit einem Häufchen Gleichgesinnter zog er sich zunächst nach Nowosibirsk zurück, um dort konsequent und kompromisslos Kunstarbeit zu betreiben, so wie er sie versteht: Jenseits aller Zwänge des internationalen Klassik-Jetset mit straffen Probenzeiten und gewerkschaftlichen Reglementierungen. Mittlerweile ist Currentzis mit seinen Musikern nach Perm übersiedelt, in die Millionenstadt am Ural, die im Westen kaum jemand kennt. Hier lässt man ihm freie Hand für seine Experimente, vor allem mit der historischen Aufführungspraxis.
Wenn der 41-Jährige jetzt im Rahmen des Musikfests endlich in Berlin debütiert, dann lasse ich mir das natürlich nicht entgehen. Zumal er mit dem frei finanzierten, autonom organisierten Mahler Chamber Orchestra dabei einen musikalischen Partner hat, der seinen Vorstellungen von ernsthaftem Musizieren wohl am nächsten kommt. Mal sehen, ob er am 2. September tatsächlich hält, was jene versprechen, die ihn schon gehört haben.
Tugan Sokhiev und das Deutsche Symphonie-Orchester
Den umgekehrten Weg - aus dem russischen Hinterland gen Westen – hat Tugan Sokhiev zurückgelegt. Er ist erst Musikchef im südfranzösischen Toulouse geworden und hat sich vor einem Jahr dann auch noch nach Berlin locken lassen, auf den Chefsessel des Deutschen Symphonie-Orchesters. In seiner ersten Saison erarbeitete sich Sokhiev vor allem als raffinierter Klangfarbenmaler und Meister des Atmosphärischen Anerkennung beim Publikum.
Da eine der Grundideen des Musikfests ja darin besteht, dass hier die heimischen Orchester den internationalen Spitzenensembles auf Augenhöhe begegnen, bin ich gespannt, wie sich das DSO und sein Chef im direkten Hörvergleich schlagen werden. Das Programm vom 11. September mit Werken von Janáček, Martinu und Bartók jedenfalls kommt Tugan Sokhievs Vorlieben für das slawische Repertoire einerseits und die Musik der Jahrhundertwende zwischen Spätromantik und klassischer Moderne andererseits sehr entgegen.
James Wood und der RIAS-Kammerchor
Ziemlich skurril dagegen mutet der Gedanke an, Igor Strawinskys Ballett „Les Noces“ in einer Frühfassung für mechanische Instrumente aufzuführen. Bei der Programmpräsentation des Musikfests allerdings fand James Wood, der Dirigent des Konzerts am 14. September, so flammende Worte für dieses Projekt, dass ich dann doch neugierig wurde. Zwei der drei Tabelaux hat Strawinsky selber für mechanische Cymbalons, also ungarische Hackbretter, Pianola und Schlagwerk gesetzt. Weil sich aber die Entwicklung der Cymbalon-Instrumente aber ewig hinzog und sein Auftraggeber Diaghilev drängelte, schreib Strawinsky schließlich die heute gebräuchliche (und sehr geschätzte!) Version für vier Klaviere. Was James Wood an der von Theo Verbey jetzt vervollständigten Frühfassung besonders schätzt, ist die kleine Besetzung. Weil dadurch der Chorklang lichter wird, die Musik tanzen kann, wie er sich ausdrückte. Und da ein Spitzenensemble wie der RIAS-Kammerchor beteiligt ist, will ich das dann doch unbedingt hören!
Chamber Orchestra of Europe
Immer ein gern gesehener Gast in Berlin ist das Chamber Orchestra of Europe. Die 1981 auf Anregung von Claudio Abbado gegründete Formation greift gemeinsam mit dem Pianisten Pierre-Laurent Aimard am 1. September eine Idee auf, die Winrich Hopp, dem künstlerischen Leiter des Musikfests, sehr am Herzen liegt: nämlich geistige Beweglichkeit dadurch zu demonstrieren, dass sich die Instrumentalisten im Laufe des Abends in verschiedenen Besetzungen zusammenfinden, von einem Trio über verschiedene Kammerensemblebesetzungen bis hin zur vollen Orchesterstärke bei Mozarts Klavierkonzert KV 453.
Martha Argerich und die Staatskapelle
Und dann ist da natürlich noch Martha Argerichs Auftritt mit der Staatskapelle am 15. und 16. September. Auf die grande dame des Klavierspiels, auf die Argentinierin mit dem vulkanischen Temperament freut man sich natürlich immer. Vor allem, wenn sie, die berüchtigte Konzertabsagerin, dann tatsächlich auch kommt!
Frederik Hanssen
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