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Der Gebende. Claudio Abbado probt mit den Musikern seines Lucerne Festival Orchestra, hier bei einem Gastspiel in Paris, 2010.
© Lucerne Festival/Fred Toulet

Dirigent Claudio Abbado wird 80: An die Musik will ich mich verschenken

Nach schwerer Krankheit ist der ehemalige Chef der Berliner Philharmoniker auf die Podien der Welt zurückgekehrt - um mit Gleichgesinnten zu musizieren: Dem Dirigenten Claudio Abbado zum 80. Geburtstag.

Wenn die Musikwelt heute Claudio Abbados 80. Geburtstag feiert, muss man unwillkürlich an die jüngste Blutspendekampagne des Deutschen Roten Kreuzes denken. Auf den Plakaten, die monatelang überall in der Stadt zu sehen waren, ist ein und dieselbe Person zweimal abgebildet. Geboren am 26. Juni 1933 heißt es da beispielsweise auf der linken Seite. Und daneben: neu geboren am 1. Juli 2000. Das trifft so auch auf den italienischen Dirigenten zu. Um die Jahrtausendwende hätte ein tückischer Krebs ihn fast umgebracht, eine Notoperation war unumgänglich, er verlor große Teile seines Magens. Viele Auftritte musste Abbado absagen, ehe er Anfang Oktober 2000 wieder ans Pult der Berliner Philharmoniker treten konnte, abgemagert, von der Krankheit gezeichnet.

Doch ausgerechnet eine Aufführung von Giuseppe Verdis „Requiem“ wurde im Januar 2001 dann zum Wendepunkt: Einen „großen, erschreckend berührenden Abend“ beschrieb Tagesspiegel-Kritikerin Christine Lemke-Matwey damals. „Mit weit aufgerissener Brust“ begegnete der Dirigent dieser Totenmesse, formte sie zur „wild zerklüfteten Lebenslandschaft“ – „in seiner Gestik durchaus kraftvoll, ja emphatisch“. Es war die Musik, die ihm das Leben rettete, sagte er später. Indem er einfach weitermacht, trotz alledem, gewinnt er neuen Lebensmut. In den ersten Jahren sind es nur acht Konzerte, die er sich zumuten kann – und die von seinen zahllosen Fans darum als um so kostbarere Begegnungen empfunden werden. Mittlerweile absolviert Claudio Abbado fast so viele Auftritte wie früher.

Und er hat sogar wieder angefangen, Orchester zu gründen. 1978 initiierte er das European Union Youth Orchestra, 1981 das Chamber Orchestra of Europe. Fünf Jahre später wurde das Gustav Mahler Jugendorchester geboren, 1997 das Mahler Chamber Orchestra. Seine beiden jüngsten „Kinder“ aber sind ihm die liebsten, das Lucerne Festival Orchestra einerseits, das sich ausschließlich aus seinen Musikerfreunden rekrutiert und mit dem er seit 2002 im Sommer am Vierwaldstättersee arbeitet, sowie das kleiner dimensionierte, dafür aber ganzjährig bestehende Orchestra Mozart, das seit 2004 in Bologna beheimatet ist.

Was Abbado an all diesen Ensembles schätzt, ist die unbedingte Hingabe der Instrumentalisten. So wie es nur bei Projekten jenseits aller Institutionsroutine möglich ist. Lange genug hat der Italiener sich am etablierten Musikbusiness und seinen ungeschriebenen Gesetzen abgearbeitet, als Chefdirigent der Mailänder Scala von 1968–86, beim London Symphony Orchestra (79–88), als Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper (86–91) und durchaus auch noch als Karajan-Nachfolger bei den Berliner Philharmonikern von 1989 bis 2002. Erst nach der schweren Erkrankung streifte er alle Verpflichtungen, jede Rücksichtnahme ab. Augenzwinkernd zitiert er den Schriftsteller Gabriel Garcia Marquez, seinen Magenkrebs-Leidensgenossen: „Mein größtes Glück war diese Operation. Jetzt muss ich nie mehr zu Empfängen bei Botschaftern gehen. Ich antworte nur noch Freunden, die ich sehen möchte. So habe ich viel mehr Zeit zu schreiben.“ Oder im Fall von Claudio Abbado: zum Partiturstudium.

Als unermüdlich Lernender, ewig Wissbegieriger nimmt er sich regelmäßig auch jene Stück vor, die er seit Jahrzehnten kennt: „Sich einem Werk zu nähern, ist ein langer Prozess“, sagt er. „Man muss die Demut aufbringen, dass es ein Lernen ohne Ende ist.“ Zudem hat er sich manchen Repertoire-Hit bewusst für ein spätes Debüt aufgespart. 2002 dirigiert er erstmals Debussys „La Mer“, 2005 Mozarts „Zauberflöte“, 2008 „Fidelio“. Wenn es um die konkrete Umsetzung seiner Exegese-Ergebnisse geht, hat der Dirigent allerdings auch eine sanfte Art, kompromisslos zu sein. Seinen gelegentlichen, leisen Hinweise, dieser oder jener Musiker möge doch bitte in der nächsten Probe nicht mehr dabei sein, sollten die Kulturmanager besser nicht überhören.

Wenn Claudio Abbado dann aber beginnt, im Kreise verantwortungsvoller, aufeinander hörender Künstler Musik zu machen, dann ist er niemals der große Zampano, der vom Kollektiv bedingungslose Unterwerfung fordert. Und auch kein derwischhaft tanzender Dampfmacher, der ununterbrochen Energie ins Orchester pumpt. Im Gegenteil. Die Musikpublizistin Julia Spinola hat Abbado jüngst als einen „gebenden Musiker“ charakterisiert: „Die ganze filigrane, sich geschmeidig verströmende Gestalt ist nur darauf ausgerichtet zu beschenken.“ Dadurch entsteht der absolut einmalige Abbado-Magnetismus. Und zwar nur vor Publikum. In den Proben kann der Dirigent die Musiker durch seine wortkarge Art auch schon mal an den Rand der Verzweiflung treiben. Und das gedenkt der Feingeist mit dem doppelten Leben auch über seinen heutigen Geburtstag hinaus noch lange zu tun.

Die Berliner Abbado-Verehrer übrigens haben ihr Jubelfest in diesem Jahr bereits hinter sich. Denn das wird natürlich stets begangen, wenn ihr caro Claudio zum Wiedersehen mit seinen Philharmonikern nach Berlin kommt, also immer im Mai. Eine Vorfeier, die selbst in den Augen der Abergläubischsten kein Unglück bringt – sondern alle beglückt.

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