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Spider-Woman auf Zeitreise: Eine Seite aus dem aktuellen Band.
© Panini

Comicserie „Spider-Woman“: Frauenhaus der Ideen

Thor und Iron Man sind bereits weiblich, Hawkeye folgt – bei Marvel wechseln immer mehr Superhelden das Geschlecht. Ein Blick auf die Gender-Frage im Comic am Beispiel von Spider-Woman.

„Mehr Heldinnenpower“ oder „Die neue Girl-Power“ versprechen Anzeigen in aktuellen Panini-Publikationen – während beim Marvel-Verlag, dessen Comics auf Deutsch bei Panini verlegt werden, nach Thor und Iron-Man nun mit Hawkeye eine weitere weibliche Version eines vormals männlichen und zuletzt recht umsatzträchtigen Superhelden auftaucht.

Spider-Woman alias Jessica Drew gibt es bei Marvel hingegen schon seit 1977: Erdacht wurde die Figur aus Gründen des Titelschutzes, denn im US-Superheldengeschäft werden Namen, auf die der Verlag kein Copyright besitzt, schnell von der Konkurrenz genutzt. Es existiert übrigens noch eine weitere Spider Woman, jedoch ohne das bei Copyright-Streitigkeiten oftmals nicht ganz unwichtige Detail des Bindestrichs. Diese tauchte 1944 in der ersten Ausgabe von „Major Victory“ von Harry A. Cheslers Dynamic Publications auf und hörte auf den Namen Helen Goddard.

Marvels Jessica Drew hingegen haftete ob ihrer offensichtlichen Anlehnung an den wesentlich erfolgreicheren Spider-Man stets der Status einer C-Prominenz-Superheldin an. Trotzdem brachte ihre Serie es auf immerhin fünfzig Ausgaben, dann wurde die Reihe vorerst eingestellt. 

Mit Netz und doppeltem Hoden

Sporadisch trat Spider-Woman immer mal wieder im Marvel-Universum auf. In den neunziger Jahren sogar in zwei Serien, die diesen Titel trugen. Doch nicht immer waren es Jessica Drew oder ihr altvertrautes Kostüm, welche hier zum Einsatz kamen. Diese Neubearbeitungen sind im Genre der Superheldencomics das tägliche Brot; entweder, um nachwachsende Leser zu interessieren oder um den Anschein neuer Ideen zu erwecken.

Frauen- und Girlpower in den neuen Werbemitteln von Panini Deutschland und Marvel USA.
Frauen- und Girlpower in den neuen Werbemitteln von Panini Deutschland und Marvel USA.
© Ristau

Die gegenwärtige Version der Heldin heißt nun wieder Jessica Drew, und das Farbdesign ihres Kostüms erinnert enfernt an die ursprüngliche Inkarnation der Figur. Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied: In der neuen Serie ist Drew hochschwanger, womit ein entscheidendes Charakteristikum weiblicher Natur in den Mittelpunkt der Serie rückt und den Kern der Handlung des seit kurzem auf Deutsch vorliegenden Sammelbandes der ersten Hefte bildet.

Diese Ausrichtung hat denn gleichwohl eine andere Note als die des in letzter Zeit bei Marvel zu beobachtenden schlichten Transformierens ehedem männlicher Charaktere in weibliche Pendants. Der einzige Haken hierbei: Geschrieben und gezeichnet wird die aktuelle Version von zwei Männern, Dennis Hopeless und Javier Rodriguez. Was mehrere Fragen aufwirft: Können Männer etwas derart außerhalb ihres eigenen Erfahrungsbereiches liegendes wie eine Schwangerschaft glaubhaft darstellen? Sollten Charaktere ihrer Ethnizität oder ihres Geschlechtes entsprechend nur von Kreativen mit den gleichen Identitätsmerkmalen gestaltetet werden? Und sollte diese Rezension nicht besser von einer Frau geschrieben werden?

Alle drei Fragen sind mit „Ja“ zu beantworten, und genau das macht die Sache kompliziert. Denn Hopeless und Rodriguez erledigen ihren Job ziemlich gut. Hopeless, der 2011 bei der hierzulande leider nicht veröffentlichten und mit Juan Doe gestalteten Serie „Legion Of Monsters“ überzeugend das tragische und komische Potenzial von im gesellschaftlichen Abseits stehenden Protagonisten auszuschöpfen wusste, beweist ein gutes Einfühlungsvermögen in die Sorgen und Nöte einer schwangeren Frau, die mitten im Superhelden-Berufsleben steht und deswegen möglichst wenig Schonung in Anspruch nehmen will.

Besser als Zierfische: Spider-Woman im Aquarium.
Besser als Zierfische: Spider-Woman im Aquarium.
© Panini

Die von Rodriguez mit Unterstützung von Álvaro López ausgeführte visuelle Gestaltung – unter Assistenz durch die einzige an diesem Projekt beteiligten Frau Rachelle Rosenberg bei der von Rodriguez sonst selbst vorgenommenen Kolorierung – ist ansehnlich. Man bewegt sich auf dem Niveau artverwandter Titel wie „Hawkeye“ von Matt Fraction und David Aja; Letzterer legte seinen an David Mazzucchelli erinnernden Stil gerne mal in von Chris Ware-Layouts inspirierten Seiten an.

Ganz so toll treibt Rodriguez es nicht, auch ist der Einsatz von Bildsymbolen hier nicht so erdrückend. Dafür pflegt er seinen Hang zu quietschbunten Dioramen, die das Auge des Lesers recht lange zu beschäftigen wissen. Eine Attitüde, die dem Auftauchen von entfernt bekannten Gestalten des Marvel-Universums auf der interplanetarisch genutzten Entbindungsstation Alpha Flight entgegenkommt, welche Spider-Woman anlässlich ihrer bevorstehenden Niederkunft aufsucht. Wie auch den Referenzen, die hier im mittlerweile Standard gewordenen post-postmodernen Handlungsverlauf fallen gelassen werden.

 Wehrhafte Webammen und Shitstürmer

Es kommt, wie es im Superhelden-Geschäft kommen muss: Trotz aller Innovation bilden physische Auseinandersetzungen weiterhin das Grundgerüst der Comics um die hypertrophen Ganzjahreskarnevalisten. Als also böse Außerirdische, hier die Skrulls, bei Alpha Flight einfallen, müssen diese dem Gesetz des Genres folgend natürlich auf die Mütze bekommen.

Setzkastentauglich - Seitenaufteilung im Fluss.
Setzkastentauglich - Seitenaufteilung im Fluss.
© Panini

Wie genau das von einer Gruppe hochschwangerer Frauen unterschiedlichster Herkunft mit Hilfe von einem inzwischen gut integrierten Angehörigen des Invasorenvolkes bewerkstelligt wird, ist mit lockerer Komik inszeniert. Nebenbei bringt Jessica Drew noch eben ihr Kind mittels Kaiserschnitt zur Welt, um sich danach, hurtig wieder zugenäht, ohrbeißend in den Kampf gegen die Skrulls zu werfen. Man kann das natürlich als neoliberale Propaganda zwischen Assimilierungswahn und Mutterkreuz bewerten, aber hallo, das ist nur ein Superheldencomic. Außerdem stehen dem inhaltlich männliche Babysitter und die Entscheidung zur Alleinerziehung gegenüber.

Also alles in Ordnung im neuen, vielfältigen Marvel-Universum?

Nun, nicht ganz. Zwar wird die durch „Ein Sommer am See“ bekannt gewordene Mariko Tamaki demnächst eine explizit nicht mit dem She-Anhängsel betitelte Hulk-Version als Autorin betreuen, und Kelly Thompson einen ebenfalls weiblichen Hawkeye unters Lesevolk bringen, aber gerade erst hat ein Shitstorm auf Twitter wegen eines Covers zur Serie „Mockingbird“ deren Autorin Chelsea Cain vom Kurznachrichtendienst vertrieben. Interessanterweise hat der Wutausbruch antifeministisch eingestellter Knallköpfe übrigens die Umsätze der wegen mangelnder Verkaufszahlen von Einstellung betroffenen Mockingbird-Serie scheinbar kurzzeitig nach oben befördert.

Das unsägliche Verhalten männlicher „Fans“ hat seine Ursache in der jahrzehntelangen Tradition Marvels, Frauen als dekorative Staffage und Brutkästen darzustellen, man denke nur an die Vergewaltigung und anschließende Schwangerschaft von Ms. Marvel. Dieses misogyne Süppchen wurde stets von Männern zusammengekocht; wie sollte es auch anders sein, konnte man doch die kreativ tätigen Frauen bei Marvel in den zurückliegenden Dekaden stets an den Fingern einer Hand abzählen. Von verunglückter Vermarktung wie dem Variant-Cover Milo Manaras für Spider-Woman ganz zu schweigen.

Doch wegsterbende Fanboys und ein demografischer Wandel zwingen nicht nur Marvel zu einer Änderung der bisherigen Geschäftspolitik, hin zu mehr Diversität auf allen Ebenen. Die neue Ms. Marvel ist zum Beispiel Muslima und wird auch von einer geschrieben.

Fortsetzung folgt im Februar: Das Cover des aktuellen Spider-Woman-Sammelbandes.
Fortsetzung folgt im Februar: Das Cover des aktuellen Spider-Woman-Sammelbandes.
© Panini

Das soll nicht heißen, dass jetzt unter dem Schlagwort Authentizität nur noch Künstler mit einschlägigen Erfahrungen sich über die ihnen vertraute Themen auslassen sollten, denn das wäre das Ende der Idee von Kunst, die Aberkennung jeglicher Empathiefähigkeit von Außenstehenden, und eine Art verdrehter Stigmatisierung. Letztendlich sollte immer das Können den entscheidenden Faktor bei derartigen Besetzungsfragen spielen, aber auch nur dann, wenn alle die gleiche Möglichkeit haben, dieses überhaupt entwickeln zu können. Und dazu muss man eine Chance erhalten, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und sonstigem. Denn kreative Prozesse und Entwicklungen sind wie eine Geburt: Es treten dabei eben oft Hindernisse auf, bis ein ansehnliches Ergebnis zu Tage tritt.

Dennis Hopeless / Javier Rodriguez: Spider-Woman 1: Geburt mit Hindernissen, Panini, 124 Seiten, 16,99 Euro

Oliver Ristau

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