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Spätberlinische Dekadenz. Die Molière-Truppe mit Lars Rudolph, Hanna Hilsdorf, Alexander Scheer und Jeanne Balibar.
© Thomas Aurin

Castorfs jüngster Streich in Berlin: Franks Reich

Fünfeinhalb Stunden-Premiere: Wie sich die Volksbühne in Bulgakow und Molière spiegelt

Bitte lasst Frank Castorf Opern inszenieren, Filme, irgendwas! Es ist nicht mit anzusehen, wie er Texte schreddert, kompiliert, aufeinander loslässt, und nichts passiert. Stundenlang passiert nichts. Er braucht einen stabilen Widerstand, der ihn in seinem fahlen Konsumismus bremst, ein festes Material, das sich gegen seine Unlust und Ungeduld behauptet. Wenn er Molière mit Bulgakow zusammenwirft, das Komödiengenie des Sonnenkönigs und den Spielball Stalins – was anderes steckt dahinter als eine Sehnsucht nach Reibung und Gefahr?

Man hat das Gefühl, dass Castorf sich langweilt im gegenwärtigen politischen System, und nicht einmal sein beschlossener Rauswurf aus der Volksbühne – so sehen es die orthodoxen Frankophilen – erzeugt jetzt noch die Wut, den Witz und den Trotz, der typisch war für die Volksbühne. Das liegt auch am Zeremoniell. „Die Kabale der Scheinheiligen/Das Leben des Herrn de Molière“ ist die letzte Castorf-Premiere in der vorletzten Castorf-Spielzeit. Es folgt noch eine Abschiedssaison, nach dem nun ablaufenden Jahr des Verabschiedungstrainings. Wie im richtigen Leben: Es wird nicht aufgehört, wenn es am schönsten ist, es wird weitergemacht, bis man sich selbst und den anderen nichts mehr zu sagen hat.

Castorf ist ein Serientäter. Oft schon hat er mit Michail Bulgakows (1891-1940) Werk und Biografie gespielt. Am Deutschen Theater inszenierte er 1988 „Paris, Paris“ sehr cool. Man erlebte eine Truppe kontrolliert Verrückter, die von Fernweh sprach und sich im eigenen Chaos hübsch einrichtete. „Der Meister und Margarita“, Castorfs Lesart des großen Teufelsromans von Bulgakow, vermittelte 2002 noch immer das Gefühl des Wartens auf die Weltgeschichte; wir hocken rum, wissen alles besser und zwitschern uns einen.

Castorfs Theater hat diesen Abschottungscharakter, etwas Bayern-Münchnerisches, „mia san mia“. Die Premiere jetzt dauerte fünfeinhalb Stunden, völlig egal, auch wenn Spannung nur für eine Stunde oder höchstens zwei vorhanden ist. An Selbstbewusstsein hat es nie gefehlt.

Von der Zeitverdichtung ist dieses Theater in die Zeitvernichtung gegangen. Anfangs tritt Sophie Rois als Bulgakow auf, das ist gut – denn sie gehört zu den Schauspielerinnen, denen man zuhört, immer, sofort. Bis sie aber wiederkommt, vergehen Stunden; da hätte sie sich das gesamte Finale der Champions League im Fernsehen anschauen können, und das ging auch in die Verlängerung und ins Elfmeterschießen. Alexander Scheer ist ein theatertierischer Molière, tolle Besetzung, er wird immer souveräner, schärfer. Nur das lange Ende des Monsieur de Molière spielt er nicht, da müssen andere ran und schlechte Theatertode sterben. Bloß nichts Konsistentes!

Wie geht es der Souffleuse?

Scheer legt eine nette Henry-Hübchen-Parodie mit Liegestuhl hin, und er sagt ein paar Sätze in eigener Sache, sichere Lacher. Frank sei an der Tragödie gescheitert und das nach 25 Jahren. Höchste Zeit, „dass man mir das Theater wegnimmt“. Molière kämpft mit dem Absolutismus und dem bigotten Katholizismus am Hof Ludwigs XIV., während Bulgakow, dessen Stücke die Moskauer Theater nicht spielen, bei Stalin um Arbeit und Aufmerksamkeit fleht. Aber das ist lange her, jetzt droht in Berlin ja das Ende aller Theaterkunst, doch fast scheint es, als sei Castorf insgeheim doch nicht nur traurig und wütend darüber, dass er 2017, nach einem Vierteljahrhundert, sein Haus aufgeben soll, wer weiß.

Bulgakow hat einen Roman über Molìere geschrieben und ein Stück – Castorf fummelt das zusammen, gibt dramatische Texte von Corneille und Racine dazu, die die hingebungsvolle Jeanne Balibar im hohen französischen Ton deklamiert, und wenn es plötzlich nach Film klingt, dann sind das Teile aus Rainer Werner Fassbinders „Warnung vor einer heiligen Nutte“; da geht es auch um die Möglichkeit und Unmöglichkeit der Produktion von Kunst. Bei Fassbinder hindert die Künstler keine Staatsgewalt und Willkür, sondern der Mangel an Geld. Auch das ist nicht Castorfs Problem.

Er hat kein Problem. Nur das, das alle haben – die Zeit vergeht, man wird älter. Deshalb klingen die Heiner-Müller-Zitate gegen Ende so seltsam leer; das Experiment wird sogleich abgebrochen. Sehr schön die Auftritte von Georg Friedrich als Frankreich-König mit Wiener Fresse und Lars Rudolphs tartuffige Komödienlust; da ist man gern dabei, wird der Text auch nicht gleich weggebrüllt, wie hier üblich. Schön auch das Wiedersehen mit Frank Büttner, der eine ehrliche Haut von Falschspieler spielt, und mit Sir Henry. Wie er da im Halbschatten sitzt und versonnen vor sich hin klimpert, das hat etwas Melancholisches an einem immer länger werdenden Abend der Kulissenschieberei und Videomonologe.

Wie gewohnt live gefilmt und auf die große Fläche übertragen, werden die Akteure durch die Kamera in die Lage versetzt, es sich in einem Zelt bequem zu machen und zugleich die Rampensau rauszulassen. Aleksandar Denic – er hat für Castorf auch in Bayreuth die Bühne gebaut – stellt für Molière einen großen Komödiantenwagen hin und ein paar andere bewegliche Bauten. Die Bühnenarbeiter haben viel zu tun.

Fünfeinhalb Stunden. Breit gelatscht, ohne Rhythmus. Textausstoß bis zur Heiserkeit. Wie gehts der Souffleuse? Lange nichts von ihr gehört. Das sind so die Höhepunkte, dankbar lacht das Publikum, harrt geduldig aus in der Volksbühne, die es immer wieder schafft, die Family zusammenzuholen und die Geister zu beschwören, die man nicht rufen muss. Sie sind immer schon da.

Nächste Vorstellungen am 4., 10. und 11. Juni.

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