Interview zum Deutschen Filmpreis: „Filme wollen tanzen!“
Heute wird in Berlin der Deutsche Filmpreis Lola verliehen. Drei heiße Kandidaten für die Auszeichnung "Bester Film" – Sebastian Schipper, Burhan Qurbani, Johannes Naber – streiten im Interview übers Kino.
Wenn an diesem Freitag im Berliner Palais am Funkturm die Deutschen Filmpreise in insgesamt 16 Kategorien vergeben werden, konkurrieren unsere drei Gesprächspartner mit drei weiteren Regisseuren in der Königsdisziplin "Bester Film" um die Lola in Gold, Silber und Bronze. Sebastian Schipper ist mit seinem One-Take-Berlinfilm "Victoria" siebenfach nominiert, klarer Favorit. Johannes Naber geht mit seiner Kapitalismus-Farce "Zeit der Kannibalen" ins Rennen, ein Kammerspiel mit Katharina Schüttler, Sebastian Blomberg und Devid Striesow als zynische Investmentbanker. Burhan Qurbani hat für "Wir sind jung, wir sind stark" die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen minutiös rekonstruiert, auch das ein Ensemblefilm. Die übrigen nominierten Filme sind "Im Labyrinth des Schweigens", "Jack" und "Who am I - Kein System ist sicher". Infos zu den Regisseuren finden sich am Ende des Interviews.
Ihr Filmtitel, Burhan Qurbani, „Wir sind jung, wir sind stark“: Könnte der ein gemeinsames Motto sein?
JOHANNES NABER: Ich bin 44. Da fühl ich mich nicht mehr so wahnsinnig jung.
BURHAN QURBANI: Bin zehn Jahre jünger. Ob’s das bringt?
SEBASTIAN SCHIPPER: Ich bin 47. Neulich bin ich gefragt worden, ob „Victoria“ mein erster Film sei. Das war jemand, der mich nur aus dem „Tatort“ kannte. Und das hat mich gefreut. Wir haben den Film ja auch mit viel Naivität und Vollgas gemacht, wie bei einem Erstlingsfilm.
NABER: Man kann effizienter werden, durch Lernen, durch Struktur. Aber die Kraftleistung und schiere Energie des ersten Films ist unvergleichlich.
QURBANI: Man liebt nie wieder so wie beim ersten Mal? Bei mir war's umgekehrt. Beim ersten Film habe ich reinstolpernd ausprobiert, der zweite hat mich fünf Jahre gekostet, das forderte viel mehr Ausdauer und Zähnezusammenbeißen.
SCHIPPER: Der Graben zwischen Machen und Gucken ist unendlich. Es ist wie Kochen und Essen. Den ersten Film macht man noch eher wie jemand, der isst. Je mehr man kocht, desto mehr wird einem der ganze Wahnsinn klar, den diese Küche bedeutet. Das kann einem den Appetit verderben. Über die Erfahrung im Schneideraum hat Ingmar Bergman mal gesagt, er wollte Fred Astaire, und dann liegt da ein toter Wal am Strand. So’n Ding wird dann eher Frankenstein als Fred Astaire. Warum tanzen so wenige Filme?
URBANI: Für mich war es erst mal irre festzustellen, wie das funktioniert: die Idee, das Pitch Paper, man geht zur Produktion, zur Redaktion, man finanziert, dreht, macht die Postproduktion, geht durch Festivals und den Auswertungszyklus, und dann hat man wieder eine Idee.
Erklärt das nicht schon, warum aus Fred Astaire ein Wal wird?
QURBANI: Man kommt in den Schneideraum, sieht das Material und schämt sich total: Oh Gott, was habe ich da angestellt?
SCHIPPER: Es sind Urängste …
NABER: ... genau. Verzweiflung komplett. Der Rohschnitt? Oh mein Gott, scheiße gebaut – das ist ganz normal.
SCHIPPER: Bei „Absolute Giganten“, meinem Debüt, hatte ich nur gehofft, dass da bitte bitte ein Film draus wird, für den ich nicht ausgelacht werde. Bei „Victoria“ haben wir ja nur drei Durchläufe gemacht, die ersten zwei gingen schief. Da begegnest du deinem Abgrund.
QURBANI: Ja, du kannst grandios scheitern. Du fährst ja nicht nur mit deinem Ego gegen die Wand, sondern mit der Arbeit von ein paar Dutzend Menschen, die alles reingesteckt haben. Ich hab im Studium mal einen Film nie fertiggestellt, ich schäme mich bis heute. Ein Praktikant hatte zwei Wochen bei mir gewohnt und sich den Arsch aufgerissen. Dem gehe ich bei Filmpartys immer noch aus dem Weg.
NABER: Seine Ecken und Kanten zu behalten in Deutschland, ist gar nicht so einfach. Wenn es heißt, die Deutschen drehen keine innovativen Filme, platzt mir der Kragen. Wir alle drei haben unsere Filme in einer prekären Situation gemacht. Wir haben unsere Crews nicht angemessen bezahlt und Leute gesucht, die mit Enthusiasmus das machen, wofür sie sonst mehr Geld kriegen. Wir müssen endlich mal unter normalen Bedingungen arbeiten können!
Geht es ums Auskommen oder darum, wie gute Filme entstehen?
NABER: Ginge es mir ums Auskommen, würde ich einen anderen Beruf suchen.
SCHIPPER: Es heißt ja nicht: Viele schlechte Köche verderben den Brei, sondern viele Köche ... In deine Küche musst du dauernd Leute reinlassen, die sagen, das ist zu scharf, das will keiner essen. Der langwierige Prozess des Filmemachens ist besonders anfällig für Verschlimmbesserung. Die Ratschläge, wie wir unser Drehbuch bearbeiten, wie wir den Film besetzen, wie er geschnitten werden soll: Das ist doch Gift.
QURBANI: Aber wir sind doch keine Regisseure von Gottes Gnaden. Mein Film ist keine Einzelleistung. Ich versuche, einen roten Faden beizubehalten, während mein tolles Team seinen Input gibt …
SCHIPPER: ... von Gottes Gnaden, das ist aber jetzt ’ne unnötige Rhetorik.
NABER: Dieses „Niemand darf in die Küche“ ist auch nicht meine Methode. Ich würde nur gerne die Kontrolle haben, wer da reinkommt und wie lange.
Burhan Qurbani fragt: Bremsen wir uns selber aus?
SCHIPPER: Warum werden bestimmte Filme denn zu unseren Lieblingsfilmen? Ich denke an „Apocalypse Now“, an die ersten Filme von Godard, die haben alle nahe am Wahnsinn agiert. Gruppen tendieren zur Risikovermeidung.
NABER: Vielleicht wäre der Film noch besser geworden, wenn Coppola auf ein paar Leute gehört hätte.
SCHIPPER: „Apocalypse Now“ noch besser?
NABER: Ich finde den Schluss verkackt, Entschuldigung!
QURBANI: Der Film handelt vom Wahnsinn des Kriegs, deshalb musste er auf wahnsinnige Art gemacht werden. Es gibt brillante Filmemacher, Coppola damals, Kubrick durchgehend, ich könnte euch jeden Pixar-Film nennen.
SCHIPPER: Mann, ich arbeite doch auch im Team. Wenn ich mich als Regisseur von Gottes Gnaden fühlen würde, würde ich meinen Kameramann nicht 2 Stunden 14 Minuten ohne Knopf im Ohr losschicken, über den ich ihm dauernd sage, wohin er schwenken soll. Verleiher und Sender sollten nicht ständig in die Küche kommen, sondern klar sagen, ich mach deinen Film oder ich mache ihn nicht.
NABER: Bei „Zeit der Kannibalen“ habe ich diese Leute durchaus als Partner empfunden. Die haben mich nicht gestoppt, vor allem nicht in Radikalität. Vielleicht ist das nur so beim ersten oder zweiten Film, da sind die Verantwortlichen noch nicht dem Feuer der Hauptabend-Sendeplätze ausgesetzt. In Deutschland fehlt es an einem Bekenntnis zum kulturellen Film. Die Finanzierungsmodelle achten nur auf Wirtschaftlichkeit, es geht um Ländereffekte, föderale Subventionen, auch die Filmförderungsanstalt setzt nicht auf Kultur, allenfalls auf Qualität.
QURBANI: Andererseits: Bremsen wir uns selber aus? Können wir es nicht gut genug? Haben wir nicht die richtigen Ideen?
SCHIPPER: Also, das find ich total neocon-mäßig, dieses „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Vielleicht ist Film – anders als Literatur, Theater, klassische Musik – einfach nicht in die deutsche Kultur-DNA eingeschrieben.
NABER: Warum kommen aus einem Land wie Österreich, das zehnmal kleiner ist als Deutschland, so viele innovative, kulturell interessante Filme? Weil der Staat dort Filme nur aus kulturellen Erwägungen initiativ fördert. Bevor irgendein Sender oder sonst wer im Boot ist. In Deutschland brauchst du ohne Sender gar nicht erst bei der Förderung anzufragen. Da hast du von vornherein die Schere im Kopf. Und dass der Erfolg von Filmen nur an ihrer Wirtschaftlichkeit gemessen wird, ist doch ein Offenbarungseid für eine Kulturnation.
Als Nächstes drehen Sie „Das kalte Herz“, einen kommerziellen Fantasy-Film nach dem Märchen von Wilhelm Hauff.
NABER: Das ist ein Spagat, eine Riesenaufgabe. Ich hätte „Der Albaner“ und wohl auch „Zeit der Kannibalen“ nicht machen können, wenn ich nicht 15 Jahre lang als Oberbeleuchter mein Brot verdient hätte. Das war die entscheidende Filmschule, ich konnte Regisseuren bei der Arbeit zusehen, da lernt man irre viel. Inzwischen sage ich mir: Ich mache lieber drei gute Filme als 30 ordentliche. Ich habe keinen Anspruch, dass das Fördersystem mich ernährt, ich mache das aus Berufung.
QURBANI: Ich arbeite als Aushilfe in einer Videothek, für 8.50 Euro die Stunde. So was geht nur in einer Stadt wie Berlin, wo ich mit 700 Euro im Monat alleine durchkomme. Aber so kann ich es mir auch leisten, mich aus den Strukturen auszuklinken. Ich muss nicht mal eben einen Fernsehfilm machen oder Werbung.
Ihre drei Filme wollen Radikalität in der Form. „Wir sind jung, wir sind stark“ wechselt von Schwarz-Weiß zu Farbe, in „Zeit der Kannibalen“ ist die Außenwelt nur Theaterkulisse, und „Victoria“ ist in einem Take gedreht.
QURBANI: Wenn man bloß auf einen radikalen Film aus ist, dann hat man schon verloren. Wir wollten gegen das Vergessen angehen, gegen das Versickern der Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen im kollektiven Unterbewusstsein. Der Beginn in Schwarz-Weiß ästhetisiert, historisiert, schiebt das Thema erst mal in eine Comfort Zone. Und dann sagen wir plötzlich, das ist echt, das ist deine Realität, das kann jederzeit wieder passieren. Wir wollten dem Zuschauer auf den Kopf hauen. Manchmal reicht es nicht, ihm bloß auf die Schulter zu tippen.
Und Sie, Herr Naber, warum zeigen Sie das Draußen nur mit Pappkartons?
NABER: Wegen unserer finanziellen Limits konnten wir andere Wege gehen: Wie stellen wir dar, dass die Welt vorm Fenster für diese Unternehmensberater eine abstrakte ist? Und dass sie die Realität auch gar nicht kennenlernen wollen, weil sie das bei ihrer Arbeit nur behindern würde?
SCHIPPER: Bei „Victoria“ hatten wir nur zwölf Seiten Treatment, und ohne Schnitt fielen die Optimierungsmöglichkeiten des Kinos weg, die Versuchung zur Verschlimmbesserei. Es ist doch so: Erst ist eine Filmidee wie ein wildes Pferd, und alle sagen: Wow! Dann wird es eingefangen, zugeritten, domestiziert, voltigiert, und alle Kinder können sich draufstellen. So ist unser Kino: Neunzig Prozent aller Filme sind Kinderfilme.
QURBANI: Meine ersten Ideen sind aber oft furchtbar. Wie peinlich, wenn ich das hätte so verfilmen dürfen.
SCHIPPER: Umgekehrt! Genau das würde ich gerne sehen.
QURBANI: Wir haben drei Jahre am Drehbuch gearbeitet. Dieser Gärungsprozess war das Beste, was dem Film passieren konnte.
Wenn Sie Kulturstaatsminister wären, wie würden Sie Filme fördern?
Stellen Sie sich vor, Sie sind Kulturstaatsminister und hätten 500 Millionen Euro pro Jahr für den Film. Wie geben Sie die aus?
NABER: 50 Prozent für Wirtschaftsförderung, 50 Prozent für Kultur.
QURBANI: Man kann nicht einfach Geld auf das Problem werfen, das Bewusstsein muss sich ändern. In Frankreich gehört Filmanalyse im Schulunterricht genauso dazu wie Gedichtinterpretation. Wir lernen von klein auf, das Buch wertzuschätzen, aber Film ist kein Kulturgut, sondern etwas zum Chillen.
SCHIPPER: Bei uns gibt es eigentlich nur zwei Kategorien: Arthouse, wofür die Berliner Schule steht, mit vielen guten Filmen, deren Geschichten aber eher literarisch funktionieren. Alles ist vorsichtig, genau, klug, dem puren Erzählen aber misstrauen sie. Und dann gibt es die Komödien – oft reiner Klamauk, der auf den schnellen Effekt setzt. Für mich funktioniert Film aber über das Narrativ und entwickelt seine Schichten aus der Emotionalität. Anders als in Amerika hat dieses Erzählen bei uns, auch in der Literatur, keine Tradition. Damit fremdeln wir.
Welche Geschichten wünschen Sie sich denn im deutschen Kino?
SCHIPPER: Mich interessieren Gewalt, Wut, Verzweiflung, Aggression, der Unterleib. Das klassische Kino lebt von der dunklen Seite des Menschen, von dem, was noch nicht feuilletonistisch-literarisch veredelt ist. Die dunkle Seite der Erotik, da trauen wir uns nicht ran.
QURBANI: Da denke ich sofort an Michael Haneke und Ulrich Seidl, und wir sind wieder bei Österreich. Jede Kultur hat ihr Grundthema. Für die Amerikaner ist es die Suche des Helden nach dem Gelobten Land. Für die Skandinavier ist es das „Die Welt ist ein schrecklicher Ort, wie bin ich bloß hierher gekommen?“ Und für uns Deutsche ist es die Frage der Schuld, die Erbschuld des Holocaust.
NABER: Ich würde es Verantwortung nennen, nicht Schuld.
SCHIPPER: Ich nenne es Scham.
QURBANI: Wenn wir zu dieser dunklen Seite Deutschlands stehen, können wir alle Geschichten erzählen, anders als andere. Egal ob es um NSU geht, um Alzheimer oder eine Liebesgeschichte.
NABER: Dunkelheit ist keine Voraussetzung für einen guten Film.
QURBANI: Was sonst? Film ist Licht!
NABER: Inhaltliche Relevanz, Tiefe.
QURBANI: Es geht um den Kontrast. Und um Rhythmus. In Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ lacht man sich erst kaputt. Und dann, beim Shylock-Monolog „Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften?“, kannst du nichts als heulen.
SCHIPPER: Alles nur eine Rhythmusfrage? Ach, diese deutsche Reduktion aufs Technische, aufs Handwerk! Auf Platz eins steht bei mir die Emotion.
NABER: Meine Top 3: Thema, Thema, Thema. Nur wenn es um etwas geht, bewegt es mich auch.
Was ist denn der aufregendste Moment beim Filmemachen?
NABER: Immer der nächste. Filmen ist eine unentwegte Reihe aufregender Prozesse.
SCHIPPER: Das Härteste ist das Warten, dass es losgeht. Das Warten auf die Finanzierung, das Warten vor dem Dreh. In Deutschland will Film immer so kostbar sein, besonders wertvoll. Weg damit und stattdessen mit Vollgas durch die Wand.
QURBANI: Das Schönste ist für mich: Ich höre Musik, ich rede mit Leuten, ich gehe durch den Alltag – und alles hat mit dem Film zu tun, den ich gerade drehe. Das Wochenende frei haben? Schrecklicher Gedanke.
Das Gespräch führten Christiane Peitz und Jan Schulz-Ojala.
Infos zu den drei Regisseuren:
BURHAN QURBANI, 34, ist als Sohn afghanischer Flüchtlinge in Erkelenz geboren. Er absolvierte die Filmakademie Baden-Württemberg, sein Spielfilmdebüt
„Shahada“ lief 2010 im Wettbewerb der Berlinale.
JOHANNES NABER, 44, geboren in Baden-Baden, studierte ebenfalls an der Filmakademie Baden-Württemberg. Er arbeitet außerdem als Oberbeleuchter („Verfehlung“, „Jack“) und Drehbuchautor („Nordwand“). 2010 legte er sein Regiedebüt „Der Albaner“ vor.
SEBASTIAN SCHIPPER, 47, ist mit "Victoria" siebenfach nominiert. Auch die Hauptdarsteller Laia Costa und Frederick Lau sind dabei, ebenso Kameramann Sturla Brandth Grøvlen. Es ist der vierte Film des gebürtigen Hannoveraners und Autodidakten, nach „Absolute Giganten“, „Ein Freund von mir“ und „Mitte Ende August“. Schipper hat sich auch als Schauspieler einen Namen gemacht, etwa mit „Drei“ von Tom Tykwer oder TV- Filmen wie dem „Tatort“.