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Der Hass normaler Leute: Tabor (Jakob Bieber), Robbie (Joel Basmann), Sandro (David Schütter) und Goldhahn (Paul Gäbler) in "Wir sind jung. Wir sind stark."
© Yoshi Heimrath/Zorro

Spielfilm "Wir sind jung. Wir sind stark.": Deutsches Versäumnis

Wie Hass entsteht: Burhan Qurbani zeichnet mit seinem Film „Wir sind jung. Wir sind stark.“ die Rostocker Pogrome von 1992 nach - und hat beunruhigende Botschaften für die Gegenwart.

Das Fernsehen war live dabei, als der Mob im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen rassistische Sprüche brüllte und schließlich Brandsätze in den Plattenbau mit der Sonnenblumenfassade schleuderte. Feuer brach aus – und Polizei und Feuerwehr kamen den in dem Haus eingekesselten vietnamesischen Bewohnern viel zu lange nicht zu Hilfe.

Burhan Qurbani gingen die Bilder jener gewalttätigen Sommertage unter die Haut. Der Filmemacher, damals zwölf Jahre alt, sah sie auf den permanent laufenden Fernsehschirmen des kleinen Hotels, das seine 1979 aus Afghanistan nach Süddeutschland geflüchteten Eltern führten. Der Hass „normaler Leute, die nach ihrem Gewaltausbruch wieder in ihr normales Leben zurückkehren“, lässt den Regisseur nicht los. Fremdenfeindlichkeit und Gewalt setzten damals der Euphorie über den Fall der DDR ein Ende, sagt er heute im Gespräch. Und hält es für ein großes Versäumnis, dass die ost- und westdeutschen ausländerfeindlichen Krawalle jener frühen Jahre nach der Wiedervereinigung in den Jubelreden anlässlich des Gedenkens an den Fall der DDR vor 25 Jahren ausgelassen wurden.

Burhan Qurbani beschäftigt sich mit Zeitzeugnissen

Sein Spielfilm „Wir sind jung. Wir sind stark.“, mehr als zwanzig Jahre nach dem Rostocker Gewaltausbruch entstanden, fußt auf Qurbanis intensiver Beschäftigung mit den Zeitzeugnissen. Er erzählt das 24-Stunden-Drama der Eskalation aus der Sicht einer Handvoll Menschen beiderseits der abgrundtiefen Gräben.

Die Clique um den verschlossenen Stefan (Jonas Nay), Sohn eines Lokalpolitikers, und seinen extrovertierten Kumpel Robbie (Joel Basman) langweilt sich in den Tagen nach den ersten Krawallen in der Plattenbausiedlung frustriert und aufgeputscht im Dunstkreis des Neonazis Sandro (David Schütte). Sie sind stets bereit, die Provokation ihrer „Stasi raus“-Rufe mit dem Hitlergruß zu überbieten. Die Leere steigert sich. Einer aus der Clique setzt seinem Leben ein Ende.

Die Jugendlichen warten auf die Konfrontation mit der Polizei, ihre Parolen zielen darauf, die von der Landesregierung in der Siedlung untergebrachten Sinti und Roma zu vertreiben. Neonazi Sandro brüllt die „völkische Revolution“ herbei, prallt aber an den Jugendlichen ab, nachdem er Robbies anarchische Veralberung eines Neonazi-Songs brutal mundtot zu machen versucht.

Devid Striesow als Bürgerrechtler

Parallel schildert „Wir sind jung. Wir sind stark“ bestürzend welthaltig, wie es am 24. und 25. August 1992 zu der katastrophalen Untätigkeit der Politik kommen konnte. Devid Striesow verkörpert Stefans Vater, einen Bürgerrechtsbewegten, der für die demokratische Umwandlung der Stadt eintreten wollte. Ins Amt gespült, klammert er sich aber am Programm „Wir sind das Volk“ fest, der Dynamik des Mobs hat er nichts entgegenzusetzen. Statt vor Ort die Polizei zu koordinieren, zieht er sich in sein Haus zurück. Und wäscht den Fleck aus seinem weißen Hemd, ein Symbol seines Versagens – eine authentische Szene, die sich ähnlich hinter den Kulissen der damaligen Katastrophe abgespielt hat.

In den abgedunkelten Zimmern des Sonnenblumenhauses lebt Lien (Trang Le Hong), eine junge Vietnamesin, die glaubt, in der deutschen Mitte angekommen zu sein. Sie arbeitet in einer Großwäscherei, ist bereit, als Scherz hinzunehmen, wenn das Kind ihrer Kollegin sie als „Schlitzi“ tituliert, und setzt ansonsten darauf, ihre Papiere für die Aufenthaltsgenehmigung zusammenzubekommen.

Auch "Pegida" entsteht aus verdrängten Unterströmen

Qurbani besteht auf der subjektiven Annäherung seines Films an das schwierige Thema, auf der offenen Erzählweise, die andere Fragen stelle als journalistische Kommentare und zeithistorische Analysen. Er und sein Ko-Autor Martin Behnke haben ihre Protagonisten in all ihrer Verlorenheit und Zerstörungslust lieben gelernt. Genau hier sieht Qurbani die Grenze zwischen seiner Haltung als Filmregisseur und seinem Blick als Zeitgenosse, der in der islamfeindlichen „Pegida“-Bewegung dieselben fatalen, immer wieder verdrängten Unterströme gewaltsamer Abgrenzung wirken sieht wie 1992. Dass Neonazis und Rassisten „Wir sind jung. Wir sind stark“ für sich vereinnahmen könnten, befürchtet er aber nicht.

Qurbanis Film montiert die bösen Stimmungsbilder jenes 24. August in tiefenscharfen Schwarz-Weiß-Bildern und chronologisch gegliederten Kapiteln, als sei dies alles eine lang vergangene Geschichte. Die Kamera kreist um das Auto, das der Clique als Rückzugsort dient, sie schwimmt mit hinaus in die Ostsee, wo sich in einer gespannten Ruhepause dieses Sommernachmittags Stefans Verführung durch die frühreife Rosalie anbahnt.

Mitten im Film, wenn Stefans und Robbies Clique zu der Menge stoßen, die nach der Vertreibung der Sinti und Roma nun auch den „Abtransport“ der verbliebenen Vietnamesen fordert, tritt ein Fernsehreporter an die Jugendlichen heran, fragt sie nach ihren Wünschen und Träumen und nimmt in wackligen Bildern Sätze auf, die Burhan Qurbanis Zuneigung zu seinen wüsten Protagonisten offenbaren. Sicherheit wünscht sich einer, Familie und Kinder eine andere. Die Kids reagieren, wenn sie nur einen Moment lang auf ein Klima der Anerkennung stoßen. Die Jugendlichen haben den Ennui satt, sie treiben auf den Exzess zu, die haltlose Wut. In diesem lyrischen Moment wechselt der Film in feurige Farben und kündigt damit an, dass die engsten Freunde der Clique wie im Rausch Angst und Schrecken verbreiten werden.

Burhan Qurbani behielt leider Recht.

Erst zwei große Spielfilme hat Burhan Qurbani inszeniert, beide mutig darauf aus, breit diskutierte Themen in wuchtigen Bildern neu und anders zu erzählen. Sein Debüt „Shahada“, der bei der Berlinale 2011 im Wettbewerb uraufgeführt wurde, setzte sich mit Gewissenskonflikten junger Muslime auseinander, die inmitten der säkularen Alltagsmoderne ihres Geburtslandes Deutschland an den Grundregeln des Korans festhalten.

„Wir sind jung. Wir sind stark“, entstanden nach vier Jahren Vorbereitung und zahlreichen Änderungen der Erzählperspektive, spürt eher dem Versagen der Väter, dem Wertevakuum der Umbruchsituation nach, als dass er als Kampagnenbeitrag zur Diskussion um „Pegida“ und die zunehmende Gewaltbereitschaft fanatisierter Jugendlicher dienen könnte. Aber die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen gibt Anstöße zum Gespräch. Burhan Qurbani findet, dass in der öffentlichen Debatte um Rostock-Lichtenhagen die Schuldfrage zu schnell der Enge ostdeutscher Mentalität zugeschlagen wurde. Die Anschläge in westdeutschen Städten gaben ihm leider recht.

Ab Donnerstag in acht Berliner Kinos

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