Schaubühne Berlin: "Fear" siegt über die Angst von AfD und Pegida
Ein Gerichtstermin wie ein Dramolett: Die Schaubühne wehrt eine Einstweilige Verfügung gegen Falk Richters Polit-Stück „Fear“ ab. Das Stück darf unverändert gespielt werden.
Das hat die Trutzburg des alten Berliner Kammergerichts am Tegeler Weg wohl lange nicht mehr erlebt. In den viel zu kleinen Sitzungssaal 143 im ersten Stock drängeln Theaterleute, Juristen, Journalisten und in Schulklassenstärke junge Leute, vornehmlich Studenten, die zwei Stuhlreihen reichen bei weitem nicht aus. So lagert sich das zunächst stehend gequetschte Publikum bald auch am Boden. Und staunt.
„Völliger Unsinn!“ – „Schämen Sie sich! – „Das ist ja unerhört!“: Unter den Protagonisten herrscht in der stickigen Atmosphäre schnell ein gereizter Ton, ab und an auch ein Zug von restsouveränem Sarkasmus. Mittags, als sich das Gericht zur Entscheidungsfindung zurückzieht, erscheint der Ausgang ziemlich offen.
Kein Krieg der Sterne. Aber ein Scharmützel der Stars. In der Saalmitte um einen runden Tisch gruppiert die Direktion der Berliner Schaubühne, Friedrich Barner, der Verwaltungschef, und als künstlerischer Leiter Thomas Ostermeier, dazu der Hausautor und Regisseur Falk Richter. Der Vorsitzende Richter am Landgericht Michael Mauck kennt die Herren erstmal nicht, und man spürt sofort: andere Welten. Für die Theaterleute auch ein Stück Realitätsberührung.
Was unter den Geschäftszeichen 27 O 638/15 und 658/15 verhandelt wird, sind die gleichlautenden Begehren von Hedwig von Beverfoerde, fernsehbekannte Hausfrau und Sprecherin der konservativen familienpolitischen Bewegung „Demo für alle“, sowie der Europa-Abgeordneten und Vizevorsitzenden der AfD Beatrix von Storch. Die beiden wollen, dass in der seit Oktober an der Schaubühne gezeigten Uraufführungsinszenierung von Falk Richters Stück „Fear“ keine Fotos mehr von ihnen gezeigt werden. Im Fall von Beverfoerde hatte das Gericht bereits eine entsprechende Einstweilige Verfügung gegen die Schaubühne erlassen. Nun wird der Widerspruch dagegen verhandelt. Beatrix von Storch, gleichfalls familienpolitisch und in Genderfragen rechtskonservativ exponiert, zieht hier nach.
Tatsächlich ist „Fear“ eine zweistündige Collage aus Schauspiel und Tanz, Musik, Toneinspielungen, Fotos und Videoprojektionen von Pegida-Demonstrationen, rechtsextremen Reden und Randalen. „Fear“ meint die Phobien einiger Berliner Hipster: angesichts dessen, was im Internet und in der Realität auf sie einbricht an neuem und altem Populismus, an Fremdenfeindlichkeit und dem Fremden, Panischen auch bei ihnen selbst. Bei den Betrachtern dies- und jenseits der Bühne.
Seltsam. Wenn das Abdrucken von Karikaturen von Mohammed unterbunden werden soll, weilsich Muslime provoziert fühlen könnten, dann sind doch gerade AfD, Pegida und Co. die größten Verfechter der Kunstfreiheit.
schreibt NutzerIn roque
Den Akteuren, die ihre eigenen Schauspieler-Namen tragen, erscheinen die aus der Realität genommenen Gesichter und Ideen als Ausgeburten von Zombies, und zum Kreis der möglichen Untoten gehören auf Abbildungen Marie Le Pen, Ungarns Orbán, Horst Seehofer, Beate Zschäpe, Frauke Petry, Pegidas Bachmann, der Massenmörder Breivik und viele andere. Eine wilde Mischung, darunter auch die beiden Antragstellerinnen.
Am 3. November, kurz nach der Premiere, war es in einer „Fear“-Vorstellung bereits zu einem Eklat gekommen, als der AfD-Sprecher Christian Lüth im Publikum ohne Genehmigung Videoaufnahmen machte, bis ihm ein Schauspieler mit dem Rausschmiss drohte. Worauf Lüth eine Prüfung juristischer Schritte ankündigte.
Kaum hat die Verhandlung begonnen, muss sie unterbrochen werden
Persönlichkeitsrechte stehen also vor Gericht gegen die Freiheit der Kunst. Diese verteidigen Johannes (in der Branche: „Johnny“) Eisenberg und seine Kollegin Stefanie Schork. Eisenberg verweist sogleich auf einen Schriftsatz, den „habe ich gestern morgen um 7 Uhr 30 auf dem Weg zum Flughafen hier in der Geschäftsstelle abgegeben“. Der Vorsitzende und zwei richterliche Beisitzerinnen erfahren davon erst jetzt. Kaum hat die Verhandlung begonnen, muss sie unterbrochen werden, eine Justizangestellte wird gebeten, den Schriftsatz zu suchen, Rechtsanwalt Eisenberg bietet als überbrückende Lektüre eine Kopie aus seiner Handakte an. Im Publikum murmelt jemand die Stichworte Lageso, BER.
Dann tritt für die anwesende Frau von Beverfoerde („Ich bin geschockt“) der Anwalt Jan Hegemann aus der Societät des Kunstförderers Peter Raue auf. Eben beginnt er, der gerade vom nunmehr aufgefundenen Schriftsatz der Gegenpartei überrascht wurde, mit seinen Ausführungen, da unterbricht ihn der Kollege: „Herr Professor Hegemann, das stimmt nicht ...“ Es ist wie in dem berühmten Theaterwitz: Der Vorhang geht auf, der Kritiker sagt: „Schon falsch.“ Hegemann rügt: „Herr Kollege Eisenberg, Sie versuchen mir das Wort zu entwinden, bevor ich es richtig ergriffen habe.“
Die Rechtsanwälte Hegemann und Eisenberg sind Branchen-Stars
Nun sollte man wissen: Die Advokaten Hegemann und Eisenberg sind durchaus zwei Stars der Branche, sie duzen sich wohl eigentlich (so in einem weniger beachteten Moment), aber hier treffen zwei hocheloquente Forensiker aufeinander, die schon im Auftreten kaum verschiedener sein könnten: H. aus Mitte elegant, formbewusst im blauen Blazer mit Goldknöpfen und Schlips unter der schwarzen Robe. E. aus Kreuzberg in Jeans, offenem Hemd und Pullover unterm karierten Sakko, keine Robe (das ist in Berlin erlaubt), und im Unterschied zu Hegemann tritt er kaum an den Richtertisch, bleibt bei seinen Mandanten, redet im Sitzen.
Wird hier die Menschenwürde der Klägerin verletzt?
Hegemann, der anklingen lässt, dass er politisch mit seiner Mandantin keineswegs übereinstimme, fährt das größtmögliche Geschütz auf: die Menschenwürde, Artikel 1 Grundgesetz. Frau von B., kein AfD-, sondern CDU-Mitglied, werde im Kern ihrer Würde verletzt, indem ihr reales Konterfei gezeigt werde, etwa neben Zschäpe oder Breivik, darüber hinaus würden ihrem Porträt die „Augen rausgerissen“ und sie mit Terroristen in Zusammenhang gebracht. Auch eine Textstelle, dass man Zombies, um sie auszulöschen, „ins Gehirn schießen“ müsse, belege die Verletzung der Menschenwürde. Hilfsweise könne auch eine Abwägung zwischen dem Recht am eigenen Bild und der Kunstfreiheit stattfinden, aber bei einem Angriff auf die Menschenwürde trete die Kunstfreiheit ohnehin zurück. Dem widersprachen Eisenberg und Stefanie Schork.
Zwar seien „die adligen Damen“ (so Eisenberg) persönlich erkennbar, aber diese mit eigenen Ängsten und allgemeinen Phobien spielende Theateraufführung sei allemal eine legitime künstlerische Reflexion der Wirklichkeit. Es gebe keinen Aufruf, die Zombies als reale Personen (die Zombies nie seien) zu erschießen. Auch steche niemand Augen aus, vielmehr würden die Schauspieler die Porträtfotos in einer Szene wie Masken vorm Gesicht tragen und hätten für sich dabei Augenlöcher gebraucht. Als Hegemann ein Szenenfoto wie zum Gegenbeweis vorlegt, wird die Echtheit und Herkunft bezweifelt. Ostermeier, der wohl das Lüth-Video als Quelle vermutet, ruft da „Urheberrechtsverletzung“. Hegemann kontert, es sei schon lustig, wenn sich heutige Theaterleute ausgerechnet auf das Urheberrecht beriefen.
Im Januar steht "Fear" wieder auf dem Spielplan
Nicht die Szene wird hier zum Tribunal, auch das Gericht gerät zur Szene. Bisweilen zum Dramolett. Als man schon bei fast zwei statt einer halben Stunde Verhandlungsdauer ist, wird vor der Sache „von Storch“ zur allgemeinen Verblüffung noch ein inzwischen überfälliger Erbschaftsstreit als Blitztermin dazwischengeschoben.
Am Nachmittag aber hat das Kammergericht ohne öffentliche Verkündung die erste Einstweilige Verfügung aufgehoben und der Schaubühne in beiden Fällen recht gegeben. So bleibt in den nächsten Vorstellungen vom 8. bis 10. Januar alles wie gehabt. Johannes Eisenberg hatte offenbar überzeugend plädiert: Wenn ein politisches Theaterstück reale politische Personen nicht mehr benennen dürfe, wäre dies eine Absurdität – und ganz anders als im Fall „Esra“, wo der Bundesgerichtshof dem Autor Maxim Biller verwehrt hatte, seine Schwiegermutter als Privatperson erkennbar bloßzustellen.
Abzuwarten bleibt nun die schriftliche richterliche Begründung – und ob die Klägerinnen noch ein zivilrechtliches Hauptverfahren anstreben werden.