"Fear" in der Schaubühne am Lehniner Platz: Angst essen Europas Seele auf
Zur Wiederkehr der rechten Geister: Falk Richters „Fear“ in der Berliner Schaubühne.
Hass und Furcht gehen kopfunter meist Hand in Hand. Falk Richters neuestes Stück „Fear“, das er in seiner eigenen Inszenierung jetzt an der Berliner Schaubühne uraufgeführt hat, könnte auch „Hate“ heißen. Denn Furchthass treibt die Fremdenfeinde von heute an – und die Hasser sind selber Getriebene. Aus Sorge, Dummheit oder Wahn. Das ist die eine Seite, die eine These zu Pegida und dem neuen alten Umfeld in Europa.
Fotos und Fernsehbilder von den Pegida-Demos und ihren Anführern kleben oder laufen an den Bühnenwänden. Der Bachmann und die Petry, aber auch Marine Le Pen, Herr Orban, Beate Zschäpe, der Holländer Geert Wilders und der Bayer Horst Seehofer, eine manchmal wilde, manchmal wohlfeile Mischung. Feuerblitze, Schüsse, aus dem Off die O-Töne vom rechten Rand der verwirrten oder verlorenen Mitte: dass uns die Ausländer Krankheiten einschleppen und mehr Kriminalität, dass Deutschland aufpassen müsse, um Deutschland zu bleiben. Das schöne alte Wort Heimat kommt kaum noch vor, von eigener Identität ist kaum die Rede.
Ähnlich wie in seinem zum Saisonbeginn in der Schaubühne präsentierten Performance-Stück „Never Forever“, wo es noch mehr um die privaten Liebes(un)glücksbeziehungen und die zerbrechenden Identitäten im Intimen ging, mixt Richter als wacher Zeitgeistsampler drei Tänzer und fünf Schauspieler. Wobei die kurzen Tanzeinlagen den Texten nicht viel hinzufügen. Sie illustrieren und verdoppeln meist nur die schon klare Einsicht: dass die Verhältnisse verworren sind und verrenkt, zum Niederkriechen oder Andiedeckegehen.
Mit einem Mal aber wird es richtig frech. Und ziemlich komisch. Da hängt auf der einen Szenenseite ein Glaskasten halb hoch im Raum (Bühne: Katrin Hoffmann). Darin versammelt sich das Ensemble bisweilen an einem Laptop und hinter Mikros – man kann hier auch an das gläserner Rundfunkstudio in Milo Raus Ruanda-Genozid-Stück „Hate Radio“ denken. Plötzlich springt der Schauspieler Kay Bartholomäus Schulze auf oder herein, und es geht um Ausländer und die Gentrifizierung in Berlin.
Wer schaut sich hässlich hassende Frauen an?
Schulze aber mimt nicht den armen, bedrohten Sozialmieter. Ihm werden wegen der „reichen Scheißnorweger und Russen“ die Berliner Immobilienpreise zu teuer – als Käufer. Er fordert „Deutsche Wohnungen an Deutsche zuerst“, für weniger als 3200 Euro pro Quadratmeter! Das trifft nun nicht nur im bürgerlichen Schaubühnenpublikum besser zu. Es entstellt vielmehr auch zur Kenntlichkeit: die längst vor Pegida im Berliner Juste Milieu grassierenden Affekte gegen Touristen, Schwaben, Skandinavier, Russen, Israelis. Gegen Investoren als generell Fremde. Links und Rechts verbünden sich dabei durchaus auch in einem gleichsam national-sozialistischen Ressentiment. An solch neuralgischen Punkten hätte „Fear“ freilich noch viel öfter und schärfer ansetzen können.
Gerne stellen die politisch korrekten deutschen Stadttheater nun echte Flüchtlinge oder nachgemachte Fremdenfeinde auf die Bühne. Wer den Abend dann nicht als politische, solidarische, kritische Diskurs-Veranstaltung annonciert, sondern als normales (zeitgenössisches) Theater, läuft jedoch allzu leicht in die Falle des nur Gutgemeinten. Oder tut, was Adorno einst „mit dem Stachel löcken“ genannt hat.
Ein kluger Kopf wie Falk Richter, der die zweistündige Text-Collage „Fear“ mit sich und seinem Ensemble erkennbar kurzfristig erarbeitet hat, versucht dieser Falle immer wieder zu entgehen. So schneidet er gegen alles rechte, kotzige Gebrüll auch Selbstkommentare der (mit ihren realen Vornamen auftretenden) Spieler und Tänzer.
So bricht Tilman Strauß einen ohnehin parodistischen Monolog im rückenfreien Strassabendkleid und langer Blondhaarperücke. Es geht vorher und nachher unter anderem um Zitate der AfD-Europa-Abgeordneten Beatrix von Storch. Ihr wird – da spielt man etwas grenzwertig mit einer neuen Sippenhaft – auch der leibliche Großvater Graf Schwerin von Krosigk, der einst Hitlers Finanzminister war, wie ein geistiger Ziehvater vorgehalten. Als reichten Storchs eigene Reden zum deutschen Frauen- und Mutterbild nicht aus. Sie wird dabei in eine Linie mit Frauke Petry, der konservativen „Feministin“ Birgit Kelle oder der Fundamentalistin Gabriele Kuby gestellt (die vor der „Zwangssexualisierung“ deutscher Kinder in heutigen Schulen warnt).
Tilman Strauß merkt dazu an, dass sie überlegt hätten, das Stück statt „Fear“ mal „Hässliche hassende Frauen“ zu nennen, aber „wer hätte sich das angeschaut?“. Oder frei nach Thomas Bernhards „Ritter, Dene, Voss“ einfach: „Kelle, Petry, Storch“. (Lacher, weil Ilse Ritter, die in Richters „Never Forever“ mitspielt, im Premierenpublikum sitzt). Das mit den „hässlichen Frauen“, was natürlich nach Macho klingt, sei ihnen eingefallen, weil Protagonistinnen vom Front National über den NSU bis Pegida eben Frauen seien, „und wir die hässlichen Männer schon bei den originalen Nazis hatten“ (so ungefähr, steht nicht im Textbuch).
Ideen wie Zombies
Es ist eine Schlüsselstelle. Nicht nur Beate Zschäpe oder Marie Le Pen geistern in den Videos von Björn Melhus über die Bühne – sondern schimmelgrün auch Skelette und Zombies. Über alles bloß Kabarettistische oder Angewiderte hinweg gibt es zumindest den Versuch der tieferen Fragestellung. Richters zweite These ist: Es gibt bei der teilweise hysterisch fanatischen oder dumpf verblödeten Abwehr des Fremden noch etwas Schwerbegreifliches. Etwas jenseits der eigenen Hassfurcht, der Aggression aus eigener sozialer und existenzieller Unsicherheit. Es ist das quasi vampirisch eindringende Gestern. Die Wiederkehr der vermeintlich Toten: der Nazis, Nationalisten, Rasseverrückten, Reinheitsfanatiker. Bei Pegida laufen auch die Zombies mit, 70 Jahre nach Kriegsende, Zusammenbruch der NS-Herrschaft, der Nürnberger Prozesse. Tote Ideen leben kannibalistisch auf. „Fear“ – Angst essen Seele auf.
Die Wiederkehr von Hass, Krieg, Rassismus nach der Zeitenwende von 1989/90: erst auf dem Balkan, bald überall. Manchmal wirkt „Fear“, mit Anbiederungen an den jetzt 20 Jahre toten Heiner Müller („ach Heiner“), auch nur wie die platte Selbstbestätigung der moralischen Überlegenheit. Für sich und ein ohnehin einverständiges Publikum. Mitunter aber brechen Zweifel auf, Verzweiflung oder, in Songs und einem Paradiesgärtlein à la Ökolaube, naive Gegensehnsüchte: nach Stille, Frieden, Schönheit. Oder die tolle Lise Risom Olsen als zerrissene Europa und Bernardo Arias Porras als Verschlungener im Internet, sie werden in starken Solonummern zu Rache- und Reuegeistern. Jenseits von Gratismut und Selbstgerechtigkeit. Vielleicht kann „Fear“ so noch zu einem Work in Progress werden. Scheitern, furchtlos besser scheitern.
Wieder am 27., 30., 31. Oktober und am 3., 4., 7., 8. und 11. November.
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