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Papa hat Obama gewählt. Für Chris (Daniel Kaluuya) entpuppt sich der Besuch bei den Eltern seiner Freundin Rose (Allison Williams) als Albtraum.
© Universal

Horrorkomödie "Get Out": Falsche Abfahrt

In der weißen Vorstadthölle: Jordan Peeles Horrorsatire „Get Out“ hält dem liberalen Amerika seinen Rassismus vor und spielt kunstvoll mit verschiedenen Genres.

Was macht ein schwarzer brother in der Suburbia? Für den Flughafenpolizisten Rod ist die Sache klar: Es kann sich nur um einen Sexsklaven weißer Perverslinge handeln. Was sollte ein Afroamerikaner schon freiwillig in einer reichen Nachbarschaft zu suchen haben? Sein Kumpel Chris (Daniel Kaluuya), der sich mit seiner Freundin Rose (Allison Williams) gerade auf dem Weg zu ihren Eltern befindet, schlägt die absurde Warnung in den Wind. Ihn beschleicht aus ganz anderen Gründen ein ungutes Gefühl.

Rose hat den Eltern, die in einem beschaulichen Städtchen nördlich von New York leben, einer liberalen Enklave umgeben von „roten“ Staaten, noch nicht erzählt, dass ihr neuer Freund schwarz ist. Vor der Abfahrt beruhigt sie Chris, dass ihr Vater natürlich auch ein drittes Mal für Obama gestimmt hätte. Rob, der sich derweil um Chris’ Hund kümmert, hält trotzdem unbeirrt an seiner Sexsklaven-Theorie fest. Der Paranoiker übernimmt damit in Jordan Peeles Regiedebüt „Get Out“ eine Doppelfunktion: als komischer Sidekick, der mit seiner ganzen Erfahrung als Heimatschützer argumentiert – das nächste 9/11, lautet eine andere Theorie, gehe auf das Konto militanter Rentner –, sowie als Stimme der Vernunft. Denn die Feststellung, dass es in den USA Gegenden gibt, von denen man sich als Schwarzer besser fernhält, ist auch im vermeintlich postrassistischen Amerika die Ultima Ratio.

Jordan Peele spielt in „Get Out“ auf hintergründige Weise mit zwei altbewährten Genretropen: der aus dem Horrorfilm bekannten Warnung, abseits der Großstädte bloß nicht die falsche Abzweigung zu nehmen (siehe „Texas Chainsaw Massacre“), sowie dem sozialen Bewusstsein der Komödie, dass die Figur des Idioten über eine intuitive, alltagstaugliche Intelligenz verfügt (eine Rolle, die Jerry Lewis zum Star machte). Auf diesen beiden Prämissen beruht der grundlegende Witz von „Get Out“, der sich seit seinem US-Start im Februar innerhalb weniger Wochen als Überraschungserfolg des bisherigen Kinojahrs entpuppt hat. In den USA wurde Peeles Komödie schon als erster Film der „Post-Obama-Ära“ bejubelt, was natürlich nur weißen Kritikern einfallen kann. Denn „Get Out“ ist im Gegenteil ein exemplarisches Produkt der Obama-Jahre, in denen sich das liberale Amerika einreden konnte, den Rassismus endgültig überwunden zu haben.

Wohldosierte Schockmomente

Diese Autosuggestion, auf die spätestens mit der Wahl Trumps ein böses Erwachen folgte, kontert Peele mit einer Horrorkomödie. Der Rassismus des liberalen Amerika ist unterschwelliger, unbewusster: ein sublimierter Ausdruck weißer Überlegenheit. Das beginnt mit der gedankenlosen Aneignung afroamerikanischer Redeweisen und Codes und reicht bis zum whitesplaining der Black-Lives-Matter-Bewegung. Roses Eltern erweisen sich dann tatsächlich als Stereotypen einer liberalen Weltanschauung. Vater Dean (Bradley Whitford) begrüßt Chris lässig mit my man und erklärt wie angekündigt, dass er Obama ein drittes Mal gewählt hätte. Die Haushälterin und der Gärtner der Armitages sind auffallend schwarz, aber gehören natürlich fast schon zur Familie.

Für einen Comedian besitzt Peele, der durch die Sketch-Show „Key & Peele“ mit seinem Partner Keegan-Michael Key – Barack Obamas anger translator – bekannt wurde, ein erstaunliches Gespür für die Mechanik des Horrorfilms. „Get Out“ gibt sich lange den Anschein einer Komödie, in die nur ganz allmählich Mystery- Motive in Form einer Hommage an den dystopischen Suburbia-Klassiker „Die Frauen von Stepford“ einsickern. Roses Eltern fallen erst durch kryptische Bemerkungen aus der Rolle, später hypnotisiert Mutter Missy (Catherine Keener) Chris gegen seinen Willen und auch die Hausangestellten, in denen Chris in der weißen Vorstadthölle seine einzigen Verbündeten vermutet, verhalten sich hochgradig psychopathisch.

Peele bedient sich sehr ökonomisch solcher bizarrer Konfrontationen und wohldosierter Schockmomente, um die böse Vorahnung, dass auf dem Armitage-Anwesen etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, zu panischem Unbehagen anwachsen lassen. Höhepunkt des Wochenendbesuchs ist die jährliche Sommerparty, zu der ein bedrohlicher Konvoi schwarzer Limousinen vorfährt. Die Nachbarn zeigen dann sehr schnell ihr wahres Gesicht. Mit lüsternen Blicken taxieren sie den athletischen Körper des Neuankömmlings, ihre bewundernden Kommentare über seine sexuellen Leistungsfähigkeit und die Hipness schwarzer Kultur rufen alle rassistischen Klischees ab, mit denen die weiße Werbung jahrzehntelang arbeitete.

Peele zeigt ein sicheres Händchen für die feisten Physiognomien der feinen Gesellschaft. Wie ein Hofmaler der Renaissance fängt er die speckigen Nacken, rosafarbenen Bäckchen und aufgedunsenen Körper der weißen Gäste ein, die sich sektenartig um ihr Opferlamm drängen. „Get Out“ beherrscht dabei souverän die wechselnden Tonlagen zwischen Komödie und Horror, der Showdown ist nichts für Zartbesaitete. Die eigentliche Stärke des Films aber liegt darin, dass er für reale Ängste im gegenwärtigen Amerika die einleuchtendste Genre-Metapher seit George Romeros Zombies findet – und dabei seine Kritik schon in der Form kommentiert. Denn der Horrorfilm ist im Grunde die einzige Möglichkeit, von einer black experience zu erzählen, solange junge Afroamerikaner durch Polizeikugeln sterben.

In 23 Berliner Kinos, OV: 3 Kinos, OmU: 3 Kinos

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