Prekär in New York: "Girls" ist weit mehr als "Sex and the City" 2.0
Die US-Seriensensation „Girls“ zeigt vier junge Frauen auf der Schwelle vom späten Kind zur jungen Erwachsenen.
Der Abspann steigert die Bewunderung auf den Höchstwert. Lena Dunham ist Erfinderin, Autorin, Hauptdarstellerin, sie produziert und inszeniert „Girls“. Aber eines ist die 26-jährige New Yorkerin ganz und gar nicht, sobald sie als Hannah Horvath vor die Kamera tritt – eine strahlende Heldin. Die Zeiten sind nicht danach, es herrscht Rezession in den gelobten Vereinigten Staaten von Amerika, die Umstände sind nicht danach, Hannah gehört zum akademischen Prekariat. Ihr Outfit ist ein schriller Akkord, sie trägt Tattoos, wo andere Make-up und weitere Verschönerungsmittel nutzen, und mit den Tattoos will sie allerlei kaschieren.
„Girls“, die Seriensensation vom US-Pay-TV-Sender HBO, läuft in good old Germany bei glitz und jetzt auch bei ZDFneo. Eine TV-Erzählung von wehleidigen Mittelstandsmitgliedern, mit Mitte 20 fast schon erwachsen und doch noch abhängig von den Monatsschecks der Eltern? Hartz IV auf amerikanisch? „Kalter Entzug“ heißt die erste Folge.
Stimmt alles und ist doch ganz anders. Es sind vier junge Frauen. Hannah Horvath hat das College vor zwei Jahren abgeschlossen, sie arbeitet unbezahlt als Praktikantin in einem Verlag und lebt vom Geld ihrer Eltern. Als diese die Untersützung entziehen, will sie Geld vom Verlagschef, der sie prompt entlässt. Ihre Eltern versucht sie zu überzeugen, dass sie, die kommende Schriftstellerin, nochmals zwei Jahre Unterstützung bis zum Durchbruch braucht. Erstens: „Ich könnte die Stimme einer Generation werden. Oder zumindest eine Stimme. Einer Generation.“ Zweitens: „Ich bin sehr damit beschäftigt, zu werden, wer ich bin.“
Erst mal geht sie zu Adam (Adam Driver), der nie auf ihre SMS antwortet. Sie haben Sex a tergo, es ist Sex, wie Sex in den „Girls“ stattfindet – hart, pragmatisch, unromantisch. „Girls“ lässt wenige Illusionen vom herrlichen Leben von Mitzwanzigern auf der Schwelle vom späten Kind zum frühen Erwachsenen zu. Und weil die Produktion nicht allein das Ich-Girl Hannah zur Gewährsfrau nehmen will, sind sie zu viert: Hannah, Marnie Michaels (Allison Williams), eine Galerieassistentin, die mit Mitte 20 doch nicht heiraten will, obwohl das ihr Lebensplan dringend vorsieht, Jessa Johansson (Jemima Kirke), die sich als weltweit gereiste Bohemienne versteht, schließlich Shoshanna Shapiro (Zosia Momet), die den Frauenzeitschriften-Quatsch in sich vereinigt, bis 25 Jungfrau bleiben will und es mit 22 noch ist. Damit gilt sie als Freak.
Alle vier Girls stehen unter sagenhaftem Druck. Frustrationen, zwei Schritte vor, drei Schritte zurück, meistens herrscht Vollkrise und Sex ist ein Schlachtfeld, auf dem viele dieser Probleme ausgetragen werden. Sex – explizit wird er gezeigt – ist ein Werkzeug, zu sich selbst zu finden und zu anderen, sagte Dunham. Männer sind Masturbationsassistenten, ein Penis ist eine halbe Lösung, kein Sex keine Lösung.
Die Generationenkomödie „Girls“ ist nicht auf Glamour aus. Trotzdem reimt sich frau nicht auf grau. Es ist auch Spaß da. Sie tun, was cool und angesagt und wagemutig ist, richtig wohl ist keiner in ihrer Haut. Es gilt, und dabei greift die Serie weit über New York und ihren soziokulturellen Bezug hinaus, eine eigene Identität zu finden. Zu werden, wer sie sind.
Vier junge Frauen, Mitte 20, New York? Klar, das erinnert an „Sex and the City“, an die Sex-Kolumnistin Carrie Bradshaw und ihre Freundinnen. Die Serie lief von 1998 bis 2004, sie war heiß, die Frauen (sexuell) selbstbestimmt, die tänzelten auf Manolo-Blahnik-Stilettos, der bonbonfarbene Himmel war zum Greifen nah und Mr. Right auch. Abenteuer, Liebe, endlich hatte die Frau ihren Platz auf diesem Planeten gefunden.
„Girls“ setzt da an, setzt fort, es liegt kein Dementi und keine Rache zu „Sex and the City“ vor. Vielleicht ein Update, so wie Shoshanna Fan der Kultserie ist, der Rausch ist vorüber und wahrscheinlich hat die Party, anders als in Manhattan, in Brooklyn niemals stattgefunden. Schaute „Sex and the City“ wie durch ein großes Schaufenster auf einen enthusiastischen Hedonismus, so schaut „Girls“ durch ein Brennglas in die Psyche der Mitte-20-Frauen in der Hipsterwelt. „One mistake at a time“, ein Irrtum nach dem anderen ist der Untertitel der Serie. Hannah und ihre Freundinnen sind nicht ohne Weiteres ins Herz zu schließen. Dazu steckt zu viel Hirn in der Serie, zu vielschichtig ausgearbeitet sind die Figuren.
Was diese Serie groß macht, ist die Serie selbst, die Stimmigkeit in Form und Inhalt, von klug und komisch. Großartige Schauspielerei, nie gesehene Regiekunststücke sind nicht zu bewundern. Muss auch nicht sein, die Serie ist durch Perspektive und Personal aufgeladen genug. Es geht um Wirklichkeit und um die Wahrheit, die dahintersitzt. Wie es sich anfühlt, heute jung zu sein.
„Girls“, ZDFneo, Samstag, 22 Uhr
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