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Abwicklung total. Evgenia Muraveva als Zwangsarbeiterin Aksinja in Dmitri Schostakowitschs Oper.
© Barbara Gindl/APA/dpa

"Lady Macbeth von Mzensk" in Salzburg: Exzess in der Trabantenstadt

Salzburger Festspiele: Andreas Kriegenburg inszeniert Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“

Auch in den Alpen hat es zuletzt viel geregnet. Die Salzach, die an guten Tagen kokett-grünlich schimmert wie die Seine, rauscht als gurgelnder Koloss durch die Stadt und scheint den ganzen Schlamm der Erde mit sich zu tragen. Das Volk stört’s nicht, es lagert wie eh und je in Scharen am Fluss, um zu schauen, zu flirten und Pizza zu verdrücken. Ob an den Ufern oder drinnen in der Altstadt, in der trotz ihrer Enge so prachtvollen Getreidegasse: Salzburg zelebriert sich als Utopie, als heile Welt.

Was man von der Welt, die Dmitri Schostakowitsch in seinem frühen Geniestreich, der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, beim besten Willen nicht behaupten kann. Da wird eine Kaufmannsfrau in der russischen Provinz von ihrem tyrannischen Schwiegervater so lange unterdrückt und gedemütigt, bis sie ihm Rattengift ins Essen mischt und später mit ihrem neuen Liebhaber auch noch den Sohn des Hauses, ihren Ehemann, umbringt. Nein, man kann Markus Hinterhäuser, dem neuen Intendanten der Salzburger Festspiele, nicht vorwerfen, dass er das Festival mit der schmucken Opernwelt des 18. oder 19. Jahrhunderts zukleistern würde. Mit Alban Bergs „Wozzeck“ (inszeniert von William Kentridge) und Aribert Reimanns „Lear“ (inszeniert vom australischen Newcomer Simon Stone) hat er noch zwei weitere wegweisende Opern des 20. Jahrhunderts ins Festivalprogramm geholt.

Also geht’s von der stickigen Schwüle der Getreidegasse direkt ins auch nicht kühlere Große Festspielhaus. Wo sich der Blick trotz der megabreiten Bühne nicht weitet. Er wird gefangen genommen von der Kulisse, die Regisseur Andreas Kriegenburg mit seinem Bühnenbildner Harald B. Thor für diese „Lady Macbeth“ gebaut haben: Turmhohe Wohnsilos aus den 50er Jahren, offenbar in einer Moskauer Vorstadt, genormte Balkone, verrottender Beton, die Atmosphäre so staubig, dass man meint, den Zement auf der Zunge zu schmecken. Es ist nicht das erste Mal, dass Kriegenburg zu solch einem Tableau greift. Bei seiner Berliner „Otello“-Inszenierung an der Deutschen Oper ließ er den Chor in übereinandergeschichteten Schlafzellen agieren wie in Bienenwaben. Es scheint ihm wichtig zu sein, seine Akteure auch in die Vertikale zu kriegen.

Die Trabantenstadt als Kulisse für Musiktheater

In Salzburg befördert dies das Gefühl von Enge und Ausweglosigkeit. Und die Geschichte ist sowieso von solcher Universalität, dass sie problemlos vom Land, wo sie sich im Original abspielt, in die (Vor-)Stadt transferiert werden kann. Schostakowitsch selbst war übrigens der Gedanke nicht fremd, Trabantenstädte als Kulisse für Musiktheater zu benützen – was er in seiner Operette „Moskau, Tscherjomuschki“ von 1959 auch tat.

Seine Meisterleistung in der Oper besteht darin, die Zuhörer anders als bei der Vorlage, der Novelle von Nikolai Leskow, Sympathie und Mitleid für eine Mehrfachmörderin empfinden zu lassen. Von links fährt ein Schlafzimmer in den Raum, ausgeleuchtet in behaglichem Gelb: Der von Kriegenburg selbst so genannte goldene Käfig der Katerina Lwowna Ismailowa. Sie schleicht nervös ums Bett, kann nicht schlafen, öffnet die Kleiderschranktür, schließt sie wieder, mehrmals. Gemartert von der Langeweile, einem essenziellen Motiv der russischen Literatur. Sie singt: „Die Ameisen schleppen Halme, die Kuh gibt Milch ... nur ich habe nichts zu tun.“ Nina Stemme mag für die Rolle der Katerina ein bisschen zu reif sein, aber sie besitzt majestätische Wucht und verausgabt sich nicht, anders als Evelyn Herlitzius vor einigen Jahren an der Deutschen Oper in Berlin, bis aufs Letzte. Vielmehr lässt sie ihren machtvollen Sopran wohldosiert strömen. Die Kraft emaniert bei Stemme gerade aus der Statik und der Ökonomie ihrer Bewegungen.

Katerina wünscht sich einen Mann, der ihr gibt, wozu ihr schwacher, in die Buchhaltung verliebter Gatte Sinowi (Maxim Paster) nicht in der Lage ist. Aber alles, was sie bekommt, ist der Schwiegervater, dem sie schutzlos ausgeliefert ist. Sein Kontor rückt regelmäßig von der anderen Seite bedrohlich dicht an Katerinas Schlafzimmer heran: zwei Räume, zwei Antagonismen. Dmitry Ulyanov als dieser Boris Timofejewitsch Ismailow setzt sich auf ihr Bett, ohne zu fragen, streicht sich selbstverliebt durchs Haar, während ihm der Sadismus aus allen Poren dringt. Dass er auch noch Reitpeitsche zum Anzug trägt, ist fast überflüssig.

Überall in den Ecken kopulieren Paare

In den dunklen Ecken dieser Vorstadt kopulieren ständig Paare. Es heißt, in kein anderes Werk der Operngeschichte sei Sexualität so explizit einkomponiert wie in „Lady Macbeth von Mzensk“. Wenn das stimmt, dann bedeutete Sex für Schostakowitsch vor allem Gewalt. In der berühmten Verführungsszene zerfleddert Sergej (Brandon Jovanovich) – der Arbeiter, der Katerinas Wünsche endlich erfüllt – ein Kissen, die umherfliegenden Federn dürfen durchaus als vorweggenommener Samenerguss interpretiert werden. Dazu brüllendes Blech, Pauken, beißende Tutti. Mariss Jansons und die Wiener Philharmoniker tun alles, um die schrillen Partien der Partitur (gespielt wird die Urfassung aus den 30er Jahren) so expressiv wie möglich herauszustellen. Aber sie geben auch der anderen Seite Raum: der verzweifelten Zärtlichkeit, die Schostakowitsch komponiert hat, in einer entrückten Kantilene der Oboe etwa und immer wieder in der Sologeige. Mit unschlagbarer Flexibilität finden sich Orchester und Dirigent in jeder Szene neu, mit sicherem Gespür treffen sie in jedem Augenblick den richtigen Ausdruck. Und machen nachdenklich. Heute, im Jahr 2017, darf man gefahrlos schreiben: Es ist völlig unverständlich, was Stalin an dieser fantastischen Musik so missfallen hat, dass er den berüchtigten Prawda-Verriss „Chaos statt Musik“ in Auftrag gab – oder selbst schrieb. Hätte man das in den 30er Jahren geäußert, hätte bald der NKWD vor der Tür gestanden. Schostakowitsch jedenfalls lebte von da an in Todesangst.

Oder war es der Inhalt, der Stalin übel aufstieß? Schließlich wird die Polizei als korrupt gezeigt und lächerlich gemacht, ein Straflager offen gezeigt. Das grotesk unpassende Kleid im Blau der französischen Könige, das Nina Stemme in dieser von fahlem Grau und Braun geprägten Umgebung trägt, wird sie bald eintauschen gegen eine Häftlingsuniform. Auch das Straflager belässt Kriegenburg in der Betonstadt, der goldene Käfig wird durch einen echten ersetzt. Rätselhaft, dass Katerina sich und ihre Nebenbuhlerin Sonetka (Ksenia Dudnikova) erhängt, während ein Sergeant singt, dass beide in der Wolga ertrunken seien.

Die Puppen, die dabei zum Einsatz kommen, sind dieser Inszenierung fremd: ein blöder Fauxpas kurz vor Schluss. Der aber nicht den Gesamteindruck zerstört: Dass Kriegenburg der Megalomanie des Bühnenbildes zum Trotz sehr intime Szenen zeichnen kann und schlüssige, starke Bilder findet für das, was diese Oper ist: ein einziger Schrei.

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