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Verschachtelt. Die Räume schieben sich in „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“ genauso ineinander wie Kafkas Texte.
© imago/DRAMA-Berlin.de

Ein Kafka-Abend von Andreas Kriegenburg am Deutschen Theater: Quintett der Spießbürger

Andreas Kriegenburg experimentiert am Deutschen Theater mit Erzählungen von Franz Kafka.

Blumfeld, „ein älterer Junggeselle“, hat ein echtes Problem. Als er eines Abends nach Hause kommt, springen plötzlich zwei handelsübliche Zelluloidbälle in seiner Wohnung auf und ab. Ganz egal, was Blumfeld – im Laufe des Abends zusehends grimmig – gegen sie ersinnt: Die Bälle weichen seinen Fangversuchen lässig aus und hören weder bei der „Schlafrock“-Anlegung auf, ihn zu terrorisieren, noch beim entlastenden Gedanken an den bereitstehenden „Kirschenschnaps“.

Der gebeutelte Kleinbürger Blumfeld entstammt – wie sollte es anders sein – einer Erzählung von Franz Kafka. Andreas Kriegenburg, Regisseur und Bühnenbildner in Personalunion, hat ihm in seiner Inszenierung „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“ eine entsprechende Spießer-Bude ins Berliner Deutsche Theater gebaut: Hellgrünes Sofa trifft biedere Siebziger-Jahre-Stehlampe. Und weil es sich beim gemeinen Kleinbürger ja (leider) eher um ein Kollektivwesen handelt als um einen singulären Unglücksfall, ist dieses Zimmer – genau wie Blumfeld selbst – in mehrfacher Ausführung vertreten.

Kriegenburg hat auf der DT-Bühne vier solcher Junggesellenbuden schräg in- und übereinandergeschichtet. Im Zimmerturm verteilt: fünf Blumfelds (Elias Arens, Moritz Grove, Bernd Moss, Jörg Pose und Natali Seelig) mit identischen mausgrauen Anzügen, Perücken und Kastenbrillen. Wir sehen dem Spießer-Quintett, das unter seinen Kleinbürgermonstermasken wohl mit Absicht kaum voneinander zu unterscheiden ist, wechselweise beim Pellen der Frühstückseier, beim Ausrutschen auf der Bühnenschräge oder beim Zehennägelschneiden unter akrobatischer Höchstverrenkung zu.

Kriegenburg schiebt die Texte von Kafka ineinander wie die Wohnboxen seiner Protagonisten

Genau wie die Wohnboxen schiebt Kriegenburg, der vor sieben Jahren mit seiner Kafka-Inszenierung „Der Prozess“ zum Theatertreffen eingeladen war, in seinem aktuellen Hundertminüter auch verschiedene Kafka-Erzählungen ineinander. Wenn der rahmengebende Junggeselle zwischenzeitlich etwa mal über die Energieleistung sinniert, die es bedeutet, „aus einem elenden Zustand sich zu erheben“, bezieht er sich auf Kafkas Zwanzigzeiler „Entschlüsse“. Und für die Szene, in der alle fünf Blumfelds mit entsprechendem Umständlichkeitsslapstick am individuellen Krawattenbinden scheitern, um sich schließlich in einer Art Kollektiv-Schlips zu verknoten, ist Kafkas Kurzgeschichte „Gemeinschaft“ die Stichwortgeberin. „Er tut uns nichts, aber er ist uns lästig“, wehrt sich das Quintett dort gegen die Aufnahme eines Sechsten: „Wir kennen ihn nicht und wollen ihn nicht bei uns aufnehmen.“

Jawohl: Andreas Kriegenburg und Dramaturgin Juliane Koepp holen aus den Kafka-Erzählungen aus dem frühen 20. Jahrhundert tatsächlich ein tagesaktuelles Pegidisten-Porträt heraus. Als besonders cleverer Schachzug erweist sich dabei die Engführung der berühmten, vielschichtig ausdeutbaren (und wie viele Kafka-Texte unvollendet gebliebenen) Erzählung „Der Bau“ mit der Situation des zwanghaft-rückzugswilligen Blumfeld. „Der Bau“ beschreibt aus der Sicht eines Tieres – Kafka benutzte die Kapitel über den Dachs und über den Maulwurf aus „Brehms Tierleben“ als Vorlage – die unendliche Perfektionierungsarbeit an der ultimativen, allseits gesicherten, quasi wasserdicht gegen sämtliche potenziellen Eindringlinge und Einflüsse abgeschotteten Höhle. Dass Blumfeld, während er also bei Kriegenburg an seiner maulwurfsartigen Einbunkerung arbeitet, zwischendurch sein antiquiertes Radio einschalten muss, um Satzfetzen über „Flüchtlinge“ und sich „bedroht“ fühlende „Christen“ zu hören, wäre zur Erklärung gar nicht nötig gewesen.

Nur: So überzeugend die Lesart und so clever die Textmontage, so entschärfend wirkt der Abend leider auf der Inszenierungsebene. Gerahmt von Nele Rosetz als Erzählerin im Blümchenkostüm ergehen sich die Blumfelds in drolligen Cancan- Choreografien, scheitern beim morgengymnastischen Kniebeugen-Versuch allerputzigst auf dem fünften Bewegungszentimeter oder tänzeln unter neckischen Griffen an die eigene Nase wiederholt zwischen Sofa und Stehlampe hin und her. Manchmal sorgen auch Laura Goldfarb und Lisa Quarg als veritables Horror-Zwillingspaar im unschuldigen rosa Kinderkleidchen für weitere Paranoia-Beschleunigung im Kleinbürger-Kopf.

Klar: Der ungemütliche Abschottungstext, serviert im biederen Opi-Unterhaltungs-Format, das könnte sich theoretisch zur idealen Dialektik aufschaukeln. Nur dürfte der Slapstick dann nicht so wahnsinnig gefahrlos, so uneingeschränkt affirmativ daherkommen; er müsste wohl – im Kafka-Sinne – verschobener, schärfer und ausgestellter sein, marthaleresker. Hier jedoch droht der Text geradezu wegzurutschen unter den netten Nümmerchen in geschlossener Siebziger-Jahre-Optik: Dass hier nach jeder betont schief angesungenen Liedzeile ein Szenenapplaus losbricht, wie man ihn sonst am ehesten aus dem Zirkus kennt, sagt viel über die Inszenierung aus.

wieder am 18.2. und 13. und 16.3.

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