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Margarethe von Trotta mit ihrem Tagebuch aus den Siebzigern . 1977 lernte die Filmemacherin Christiane Ensslin bei der Beerdigung von deren Schwester kennen, der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin – und drehte dann das Schwesterndrama „Die bleierne Zeit“.
© Börres Weiffenbach /NFP

Der Dokumentarfilm "Sympathisanten": „Es ist eine zerrissene Generation“

Felix Moeller über seinen Dokumentarfilm "Sympathisanten" und über seine Mutter, die Filmemacherin Margarethe von Trotta, im Deutschen Herbst.

Felix Moeller nennt seinen Dokumentarfilm "Sympathisanten" eine „persönliche Annäherung an den Deutschen Herbst“. Moeller, Historiker und Dokumentarist („Harlan“ 2009, „Bergman“ 2018), erlebte die zwischen Konservativen, RAF und der Neuen Linken polarisierte Bundesrepublik als Kind. 1977, im Jahr der Schleyer-Ermordung und der RAF-Toten in Stammheim, war er zwölf Jahre alt. Sein Film führt mit zahlreichen Bilddokumenten die Stimmung jener Zeit vor Augen. Moeller befragt außerdem seine Mutter, die Regisseurin Margarethe von Trotta, die damals ein politisches Tagebuch führte, und seinen Stiefvater Volker Schlöndorff sowie Freunde der Eltern wie Peter Schneider und Marius Müller-Westernhagen. Auch René Böll und der frühere RAFler Karl-Heinz Dellwo kommen zu Wort

Herr Moeller, Ihre Mutter Margarethe von Trotta und Ihr Stiefvater Volker Schlöndorff sind Protagonisten Ihres Dokumentarfilms „Sympathisanten“. Die beiden engagierten sich in den 70ern in der Linken und gerieten als sogenannte RAF-Sympathisanten ins Visier des Staats. Zeitgeschichte als Familiengeschichte: Was hat Sie zu diesem Film bewogen?

Ich war es ein wenig müde, mich mit NS-Familienkonstellationen zu befassen, wie etwa bei „Harlan“. An die 70er Jahre habe ich starke persönliche Erinnerungen, es war eine aufwühlende Zeit. Im Deutschen Herbst 1977 war ich zwölf, vieles verstand ich nicht, manches empfand ich als bedrohlich. Gleichzeitig entstanden starke Filme meiner Mutter und meines Stiefvaters. Beim Begräbnis von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Stuttgart traf Margarethe die Schwester von Ensslin – es war die Geburtsstunde von „Die bleierne Zeit“.

1981 wurde sie dafür in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Die Gewaltfrage war damals entscheidend: Im Film erwähnen Sie, dass Sie als Junge mit einer Pistole auf Tontauben schossen ...

… im Ferienhaus in der Toskana. Als die Pistole bei einer Razzia gefunden wurde, stand dann in der Zeitung: „Waffenfund in Villa Schlöndorff“. Vieles habe ich hautnah miterlebt. In unserer Wohnung in der Münchner Obermaierstraße wurde das Telefon abgehört – sagten jedenfalls die Erwachsenen.

Welche Vor- und Nachteile hat es, wenn man die eigene Familie und die Freunde der Eltern vor der Kamera befragt, Daniel Cohn-Bendit, Peter Schneider, Marius Müller-Westernhagen, Christoph Wackernagel oder den RAFler Karl-Heinz Dellwo?

Es ist eine Gratwanderung, ein Spagat zwischen Nähe und Distanz. Bei den Tagebüchern von Margarethe stand ich vor der Frage, was ich zitieren kann. Voraussetzung für den Film war das Grundvertrauen, dass mich nicht der Furor der Abrechnung antreibt. Aber es gab auch Spannungen. Wobei Volker Schlöndorff eher von außen auf die Geschehnisse schaut, während Margarethe etwas emotionaler ist und noch einmal mittendrin steckt.

Peter Schneider verweigert mitunter eine Antwort, auch die anderen möchten bestimmte Namen nicht nennen …

Es gab Grenzen des Erzählbaren, die wollte ich markieren. Zum Beispiel der Koffer, der bei meinen Eltern abgestellt worden war. Zu erzählen, was drin war, hätte zu viele Missverständnisse nach sich gezogen. Und ich wollte es nie ins rein Persönliche abgleiten lassen: Nicht jede meiner Erinnerungen ist relevant für die Geschichte des Deutschen Herbsts. Aber wir vergessen leicht, dass es damals nicht so viele Medien gab. Wenn etwas im ZDF lief, hatte das eine enorme Wirkung, das merkte ich auch in der Schule. Manchmal ließ sich gar nicht trennen, welchen Hut ich gerade aufhabe, den als Historiker oder den als Sohn. Verstehen wollen, heißt ja nicht, alles nachzuvollziehen oder zu rechtfertigen, mit mancher Position meiner Eltern habe ich Probleme.

Deckt sich Ihre Kindheitserinnerung denn mit den Ergebnissen der Archivrecherche?

Mein Erleben war ausschnitthaft. 1977 war mein schwerstes Schuljahr, da hielten die Eltern einiges von mir fern. Über die Recherchen vervollständigt sich das Bild. Zum Beispiel die Zerrissenheit von Margarethe, die zum linksliberalen Establishment gehörte und bei Willy Brandt am Tisch saß und gleichzeitig sogenannte politische Häftlinge im Gefängnis besuchte. Oder die öffentliche Stimmung, in der die Todesstrafe für Terroristen diskutiert wurde, nicht nur von Hardlinern wie Franz Josef Strauß. Das Ausmaß, in dem Menschen wie meine Eltern attackiert wurden, war mir nicht klar, ebenso wenig deren damalige Nähe zu zweifelhaften Figuren wie dem Anwalt Klaus Croissant.

Sie sagen im Film, dass Sie als Zwölfjähriger Helmut Schmidt sehr mochten, nicht nur wegen seiner Frisur ...

Ich nahm ihn als Antipoden der RAF wahr, aber auch als Widerpart der Hardliner. Seine glänzende Rhetorik, das markante Aussehen – den Typus fand ich gut. Für Brandt war ich noch ein bisschen zu klein, mit Schmidt entstand mein politisches Bewusstsein. In den Augen meiner Eltern war er zu militärisch, zu rechts, aber für mich verkörperte er die richtige Seite. Er vermittelte ein Gefühl der Sicherheit.

Und es hat Sie nicht gestört, dass Schmidt Leute wie Ihre Eltern beschimpfte?

Mir wurde erst jetzt klar, mit welcher Schärfe er sich nicht nur von der Gewalt absetzte, sondern auch von den „geistigen Unterstützern“. Er tat dies wohl auch im Namen der gesamten SPD, die Springer-Presse hatte Willy Brandt ja als Sympathisant Nummer eins gebrandmarkt. Helmut Schmidt glaubte, dass die Gesellschaft mit den Gewalttätern schon fertig wird. Aber er hatte Angst, dass die Sympathie für sie breitere Kreise erfassen könnte, die Studentenschaft oder die jungen Arbeitslosen. Deshalb sein scharfer Ton.

Im Tagebuch Ihrer Mutter kommen Sie wenig vor. Der vernachlässigte Sohn?

Die Fixierung auf die Politik ist wohl typisch für diese Generation der Linken. Die Kinder liefen nebenher. Es war nicht unbedingt mangelnde Aufmerksamkeit, es lag an all den Aktivitäten. Als Margarethe 1978 für eine Nacht ins Gefängnis kam, rief eine Freundin mich an und sagte denkbar ungeschickt: Reg dich nicht auf, es ist nicht schlimm, sie kommt bald wieder raus. Ich hatte keine Ahnung, dass sie bei diesem Sympathisantenprozess im Gerichtssaal saß und sich lautstark empörte, deshalb kam sie 24 Stunden in Haft. Ja, für mich blieb oft wenig Zeit, aber es geht mir wie gesagt nicht um Abrechnung. Dass solche Tagebücher heutzutage voll mit Kindergeschichten wären, spricht ja nicht unbedingt für unsere Zeit.

Ihre Mutter sagt gegen Ende selbstkritisch, sie werfe sich schon vor, nicht genug mit ihrem eigenen Kopf gedacht zu haben.

Es war ein besonders emotionaler Moment. Ich empfand ihn als sehr aufrichtig, weniger als Akt der Reue. Über die Instrumentalisierung für die Ziele der RAF denken ja auch die Männer im Film nach. Warum haben sich damals so viele nur mit den Haftbedingungen der Terroristen beschäftigt, ohne einen Gedanken an die RAF-Opfer zu verwenden? Erst mit Mogadischu und der Ermordung von Hanns Martin Schleyer änderte sich das.

Sie sagen, Sie sind konservativer als Ihre Eltern. In welchem Sinne?

„Konservativ“ ist vielleicht das falsche Wort. Ich kann nur schwer nachvollziehen, wie lange sie auch noch beim gewaltsamen Widerstand gedanklich mitgegangen sind. Sympathie kommt aus dem Griechischen und heißt „Mitleiden“. Mitleiden mit einer Ulrike Meinhof, die sagte: „Natürlich kann geschossen werden“? Aber mir sind auch die Leute fremd, die aus der Abgrenzung von den 68er-Eltern ein Geschäftsmodell machten. Ich begrüße die Werte und die Folgen von 68. Meine Mutter wurde noch „schuldig geschieden“; bei der Gleichberechtigung sind wir heute zum Glück etwas weiter.

Felix Moeller /r.) mit seiner Mutter Margarethe von Trotta und seinem Stiefvater Volker Schlöndorff.
Felix Moeller /r.) mit seiner Mutter Margarethe von Trotta und seinem Stiefvater Volker Schlöndorff.
© NFP

Haben Sie bei der Arbeit an „Sympathisanten“ etwas über Ihre Eltern gelernt?

Vor allem, wie sehr diese Generation von der Zerrissenheit zwischen bürgerlich-zivilem Engagement und dem Radikalen, Gewalttätigen geprägt ist. Da werden die gleichen Wurzeln und die linke Solidarität beschworen, gleichzeitig gibt es das Unbehagen und den Ärger darüber, dass man auf Hungerstreik-Propaganda und Ähnliches hereingefallen ist.

Beginnt nach gut 40 Jahren die Historisierung des Deutschen Herbsts?

Auf der Faktenebene ja, aber nicht als kollektive Erinnerung und kollektives Empfinden. Wenn ich damals Beteiligten Filmszenen vorführte, ging es sofort hoch her. Mit Ausnahme der möglichen Involvierung der Geheimdienste ist das meiste historisch klar, selbst der Stammheim-Mythos von der angeblichen Ermordung der Häftlinge ist verblasst. Aber die berühmte Frage: Hätte ich einer Ulrike Meinhof die Tür aufgemacht und sie beherbergt?, löst immer noch Diskussionen aus. Es ist anders als bei der NS-Zeit. Wir haben noch keinen gesellschaftlichen Konsens gefunden, wie diese Jahre zu bewerten sind.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

„Sympathisanten“ läuft in Berlin im Filmtheater am Friedrichshain, im Kant- und im Yorck-Kino.

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