Jurowski dirigiert das RSB: Engel überm Podium
Der kommende Chef: Vladimir Jurowski dirigiert das Rundfunk-Sinfonieorchester im Konzerthaus.
Vladimir Jurowski gebietet über eine Bühnenerscheinung, die in ihrer habituellen Strenge beinahe schon religiöse Heilserwartungen schürt. Zu seinem langen schwarzen Gehrock und den mittig aufblitzenden Hemdkragen kann man sich ohne Schwierigkeiten eine goldene Kette samt Kreuz um den Hals vorstellen. Und auf der druckfrischen Saisonbroschüre des Rundfunk-Sinfonieorchesters, die ihn als Chefdirigenten ab Herbst vorstellt, erinnert sein Foto sehr an einen klassischen Abbé, der sein Publikum virtuos in Bann zu schlagen vermochte.
Jurowski aber ist viel zu aufgeklärt, um fremden Weihrauch im Konzerthaus zu schwenken. Hier dirigiert er an zwei Abenden ein Programm, das auf große Applausnummern verzichtet – zugunsten eines Erlebnisses, zu dem der Weg nur über die Demut führt. Voran stellt er Mozarts „Maurerische Trauermusik“, in deren dunkel-ergebenem Tonfall man sich gerade dann langsam hineinzuhören beginnt, wenn der Siebenminüter am Verklingen ist. Ohr und Seele hängen spürbar in der Luft. Dirigentenkollege Roger Norrington ließ einst die Trauermusik spontan noch einmal spielen. Vladimir Jurowski aber will anders anknüpfen, sein Publikum mit aktuellen Klangmitteln weiter dem Tumult der Welt entziehen – und dirigiert Arvo Pärts 4. Sinfonie.
Ein dramaturgisch bezwingender Zug, der lediglich unter einer Umbaupause zwischen beiden Stücken leidet. Pärt entwickelt in seiner Sinfonie mit dem Beinamen „Los Angeles“ – nach dem Ort der Uraufführung als auch der Zwiesprache mit dem eigenen Schutzengel – eine klingende, bisweilen klingelnde Stille. Mit dem hochkonzentrierten RSB hält Jurowski die Spannung selbst dann, wenn Pärt seine Zuhörer zwischenzeitlich mit dem Verfall aller Gewissheiten konfrontiert. Jurowski bugsiert den 81-jährigen scheuen Komponisten danach auf die Bühne, wo dieser die Demutsgeste seiner Musik ganz still fortführt.
Dann erst erklingt nach der Pause Mozarts Requiem, und es hätte zu Jurowskis klarem Blick gepasst, wenn er lediglich die vom Komponisten hinterlassenen Fragmente aufgeführt hätte. Fest verbunden mit Pärt, ein Echoraum für Fragen, die bleiben, im Angesicht der Endlichkeit. Aber auch so ist es eine Aufführung, die viel von dem verrät, was Jurowski mit dem RSB vor hat: eine Transparenz über die Jahrhunderte hinweg, Vielstimmigkeit, vokales Leuchten. Dabei ist der Rias Kammerchor eine feste Bank. Großes kündigt sich an.