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Arvo Pärt wird 80.
© Kristian Juul Pedersen/epa

Arvo Pärt zum 80. Geburtstag: Die Suche nach dem Einen

Der Meister des Meditativen: der estnische Komponist Arvo Pärt sagt, das Viele und Vielseitige verwirre ihn nur, bei Erscheinungen von Vollkommenheit falle alles Unwichtige weg. Heute wird er 80 Jahre alt.

Schon als Paul Hillier, einer der besten Interpreten von Arvo Pärts Musik, vor einigen Jahren erklärte, dass sich die beiden großen Schaffensperioden des estnischen Komponisten wie Spiegelbilder gegenüberstünden, musste er zugeben: von einem wirklichen Gleichgewicht könne keine Rede sein. Der spirituelle Pärt, der 1983, mit einer einzigen Platte bei Manfred Eichers Münchner Label ECM, den Kompositionen auf „Tabula rasa“, seinen Weltruhm begründete, ist zwar so etwas wie die Antwort auf die Fragen, die der seriell geschulte Pärt stellte. Doch allein was die Zahl der entstandenen Werke betrifft, hat der neue, immer wieder auf die menschliche Stimme setzende Komponist dem alten, fast ausschließlich instrumentalen, keine Chance gelassen.

Und doch gibt es immer wieder erstaunliche Durchblicke von der einen in die andere Phase – etwa in dem 1964 entstandenen C-Dur-„Solfeggio“ für Vokalensemble, das in seiner atmenden Ruhe und Klarheit nur durch einige kleine Dissonanzen in die serielle Zeit zurückweist. Umgekehrt ist die strukturelle Arbeit mit Tonreihen auch dem durch und durch diatonischen Pärt vertraut. Tintinnabuli heißt der Begriff, den Pärt für sein Komponieren geprägt hat – und der die vielfältigen Strategien, die er dabei entwickelt hat, doch nur andeuten kann. Abgeleitet vom lateinischen Wort für Glocke, hat er seinen Kosmos um die Idee eines Klangs entwickelt, der erst im schweigenden Nachhall zu sich findet.

Die Ufer der ungefährdeten Tonalität

Tatsächlich ist Pärts Musik so nah an der Stille wie nur noch die des Amerikaners Morton Feldman. Doch während Feldman die Moderne in Streichquartetten an der Grenze zur Hörbarkeit verenden ließ, versucht Pärt hinter sie zurückzugelangen, in die Gregorianik, zu liturgischen Formen und Texten, an die Ufer einer ungefährdeten Tonalität, die ihren Ausdruck gerade im Nicht-Expressiven findet. „Vieles und Vielseitiges verwirrt mich nur, ich muss nach dem Einen suchen“, hat Pärt gesagt. „Was ist das, dieses Eine, und wie finde ich Zugang zu ihm? Es gibt viele Erscheinungen von Vollkommenheit: Alles Unwichtige fällt weg. So etwas Ähnliches ist der Tintinnabuli-Stil. Da bin ich alleine mit meinem Schweigen. Ich arbeite mit wenig Material, mit einer Stimme, mit zwei Stimmen. Ich baue aus primitivstem Stoff, aus einem Dreiklang, einer bestimmten Tonalität. Die drei Klänge eines Dreiklangs wirken glockenähnlich.“

Nach Jahren des Pausierens stellte er 1976 das erste Stück im neuen Stil vor. Doch mit ihm war er in seiner Heimat so fremd wie mit dem zuvor. Nach dem endgültigen Zerwürfnis mit dem Sowjetregime konnte er 1980 nach Wien ausreisen, ein Jahr später gelangte er mit einem DAAD-Stipendium nach Berlin. Seit vielen Jahren lebt er nun in Lichterfelde, an einem Ort, den er noch immer als beglückend empfindet: „Man atmet hier sehr frei.“ Wie es um Kontinuität und Diskontinuität in seinem Werk bestellt ist, lässt sich zu seinem 80. Geburtstag am heutigen Freitag nun anhand der preisgünstigen 3-CD-Box „The Sound of Arvo Pärt“ (Parlophone/Warner) überprüfen, die in exzellenten Einspielungen unter Paavo Järvi und Tönu Kaljuste etwa auch seine drei, zwischen 1964 und 1971 entstandenen Sinfonien enthält. Bei ECM hat Manfred Eicher überdies auf zwei CDs eine unchronologische „Sequence“ aus der spirituellen Phase unter dem Titel „Musica Selecta“ ausgewählt.

Schlichtheit und Raffinesse

Den Auftakt macht allerdings ein ganz und gar weltliches, wenn auch seltsam entrückt klingendes Stück nach Clemens Brentanos Gedicht „Der Spinnerin Nachtlied“ mit der Mezzosopranistin Susan Bickley, dem Bratscher Vladimir Mendelssohn und dem Geiger Gidon Kremer. Mit ihm begann Eichers Bekanntschaft mit Pärt. Es gibt in seinem ganzen Werk wohl keinen größeren Ohrwurm als diese Motette im Dreivierteltakt – und kein besseres Beispiel dafür, wie sich die Zeiten in seiner Musik überlagern. Ein romantischer Stoff verbindet sich mit spätrenaissancehafter Monodie und zeitgenössischer Intervallik. Wie Pärt hier aus zwei übereinanderliegenden Quarten einen liebeswehen Septimraum umschließt und die Sehnsucht in Dezim- und Nonsprüngen ausmisst, das ist von unvergesslicher Schlichtheit und Raffinesse: Es sang vor langen Jahren, und es singt noch immerzu.

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