Vladimir Jurowskis Einstand beim RSB: Glänzen, funkeln, pumpen
Er ist jung und temperamentvoll. Der neue Chefdirigent treibt direkt mächtig Energie ins Orchester - und das übertrifft sich selbst.
Auf dem Papier ändern sich zwar nur zwei Buchstaben, tatsächlich aber stellt der Wechsel an der Spitze des Rundfunk-Sinfonieorchesters eine echte Zäsur dar. Denn der 44 Jahre alte designierte Chefdirigent Vladimir Jurowski stammt nicht nur aus einer anderen Generation als sein Vorgänger Marek Janowski, sondern hat auch als Interpret ein völlig anderes Temperament als dieser. An das sich die Musiker des Rundfunk-Sinfonieorchesters erst einmal gewöhnen müssen. Neugier und guter Wille sind am Samstag im Konzerthaus sofort zu spüren, als Vladimir Jurowski den Taktstock zum ersten Konzert mit dem Orchester nach seiner Wahl hebt. Doch mit der provokativen Expressivität von Bohuslav Martinus „Doppelkonzert für zwei Streichorchester, Klavier und Pauken“ fremdeln die Musiker des RSB zunächst noch – sie tun sich schwer mit dieser aggressiven Berserker-Musik.
Die Präzision in Dynamik wie Spieltechnik sind sofort vorhanden, weil sie sich diese Qualitäten mit Marek Janowski erarbeitet haben. Vladimir Jurowski aber muss erst einige Luftsprünge veranstalten, bis die Instrumentalisten auch im Ausdruck einiges mehr wagen und Spaß zeigen an der Scharfkantigkeit des im Jahr 1938 entstandenen Werks: am Dissonanzen-Stanzen, an lauernden Pianissimo-Passagen, die wie tückische Hinterhalte sind, aus denen das Orchester schon bald wieder zur nächsten Attacke hervorstürzt.
Wow-Musik passend für Open-Air-Konzerte
Dass es der neue Chefdirigent schärfer gewürzt mag, wird auch in Sergei Rachmaninows Dritter Sinfonie deutlich. Zunächst lässt Vladimir Jurowski die berühmte „Vocalise“ des russischen Pianisten, Komponisten und Dirigenten spielen, als Beispiel für den bekannten, melancholisch-schwelgerischen Rachmaninow – ein schöner Kunstgriff, damit anschließend der brillante, kosmopolitische Sound der im amerikanischen Exil entstandenen Sinfonie noch viel kontrastreicher hervortreten kann.
Wow-Musik ist das, passend für Open-Air-Konzerte in der Hollywood-Bowl von Los Angeles, abwechslungsreich und handwerklich meisterhaft gemacht wie die besten Film-Soundtracks der dreißiger Jahre. Als gewiefter Maître de Plaisir pumpt Vladimir Jurowski mächtig Energie ins Orchester, und das RSB übertrifft sich selbst, glänzt und funkelt in allen Instrumentengruppen, zelebriert dieses Kaleidoskop unterschiedlichster ästhetischer Einflüsse mit maximaler Klangpracht.
Wie ein Mauerblümchen zwischen zwei Orchideen wirkt da Paul Hindemiths Violinkonzert in diesem Programm: herb und spröde, ohne einen Hauch von Charme. Obwohl der Solopart höllisch schwer ist, verweigert er sich allem, was das Publikum an Virtuosenstücken schätzt. Um so beeindruckender ist die hingebungsvolle Art, mit der Arabella Steinbacher den endlosen Tonketten der Geigenstimme, die sich partout nicht zur sanglichen Melodie formen wollen, dennoch immer wieder zarte, seelenvolle Momente abzulauschen versteht.