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Kamasi Washington.
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Kamasi Washington: Ekstasen des Augenblicks

Furioser Groove, großartiges Konzert, wenn auch ein wenig die Opulenz fehlt: Das Konzert von Kamasi Washington in der Verti Music Hall.

Jazz war mal Pop, aber das ist lange her. Etwa siebzig Jahre, damals tanzten die Menschen zur Musik der Swingorchester, und auf dem Nachhauseweg pfiffen sie die Melodien, die sie gehört hatten. Nun ist der Jazz auf andere Art wieder dabei, zu Pop zu werden, wenigstens ein bisschen. Das hat mit Kamasi Washington zu tun, einem Tenorsaxofonisten aus Los Angeles, der 2015 sein dreistündiges Debütalbum veröffentlichte, das er völlig zu Recht „The Epic“ nannte. Das Großwerk fusionierte Bebop, Soul, Gospel und Funk mit HipHop und wurde weltweit gefeiert. Es war ein spiritueller Aufschrei, ein mit seltsamen Space-Chören unterlegter akustischer Bewusstseinsstrom, der bewies, wie aufregend und neu eine Musik klingen kann, die tief in der Vergangenheit verwurzelt ist.

Bevor der 38-jährige Musiker als Jazzer bekannt wurde, hatte er Snoop Dog auf Tourneen begleitet, mit dem Experimental-DJ Flying Lotus gearbeitet und mit Kendrick Lamar das Album „To Pimp a Butterfly“ aufgenommen, eine der besten HipHop-Platten der letzten Jahre. Seine größten Fans hat Kamasi Washington in Europa. Das 2018 erschienene zweite Album „Heaven and Earth“, wiederum drei Stunden lang, stieg bis auf Platz vier der deutschen Albumcharts, in Großbritannien auf Platz 13. In den USA kam es nicht über Rang 115 hinaus.

Gefeiert wie ein Jazz-Mesias

In der Berliner Verti Music Hall, wo der Saxofonist am Sonntagabend von rund viertausend Zuschauern wie ein Jazz-Messias gefeiert wird, steht er mit sieben weiteren Musikern auf der Bühne, darunter zwei Schlagzeugern und seinem Vater Ricky Washington an der Flöte. Es ist eher eine kleine Besetzung, „The Epic“ war von einer zehnköpfigen Band, einem 32-köpfigen Orchester und einem zehnköpfigen Chor eingespielt worden.

Momentweise monumental ist der Sound trotzdem, die Band, zurückhaltend von ihrem Leader gesteuert, erweist sich als Klangkörper, der einen furiosen Groove zu entfachen vermag. Einmal zerbricht einem Schlagzeuger mitten im Spiel ein Stick, aber er trommelt unbeirrt weiter. Beim leidenschaftlichen „Truth“ schraubt sich Washingtons Saxofon in dramatische Höhen, mit der Ballade „The Rhythm Changes“ öffnet sich ein wunderbarer Augenblick der Leichtigkeit.

Kamasi Washington steht als politisch denkender Mensch in der Tradition der schwarzen Musik, die in den sechziger Jahren die Bürgerrechtsbewegung begleitete. Ziel ist die „Harmony of Difference“, wie der Titel einer seiner EPs lautet. „Wir müssen nicht gleich sein, um eins zu sein“, lautet die Botschaft, die er zwischen den Songs predigt. „Die Vielfalt der Menschen sollte nicht nur toleriert werden, sondern gefeiert.“ So breitet auch Washingtons Musik die Arme aus und integriert Jazz, Soul und HipHop zu einer großen Utopie. Die Vision klingt einleuchtend, auch ein wenig schwammig. Passend dazu fransen einige Stücke an den Rändern aus. Das Konzert ist großartig, auch wenn die Opulenz fehlt. Wer sich auf einen drei- bis vierstündigen Auftritt eingestellt hat, wird enttäuscht. Nach zwei Stunden ist Schluss, es gibt keine Zugabe.

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