Der Dirigent Vladimir Jurowski: Einladung zum Mitdenken
Vladimir Jurowski und das Ensemble United stellen in einem beeindruckenden Konzert russische Musik des 20. und 21. Jahrhunderts vor.
Es spricht für Vladimir Jurowski, den designierten Chefdirigenten des Radio-Sinfonieorchesters Berlin, dass er auch als Artistic Advisor des ganz der zeitgenössischen Musik verpflichteten Ensemble United firmiert. Man übernimmt ein solches Amt nur, wenn einem diese Musik wirklich am Herzen liegt. Im Werner-Otto-Saal des Konzerthauses erklingen Stücke aus sowjetischer und postsowjetischer Zeit. Den Auftakt macht Edison Denissows außergewöhnlich dicht konzipierte 2. Kammersymphonie, eine der letzten Kompositionen des Schostakowitsch-Schülers.
Das Gegenstück zu dieser in ihrer Komplexität an die zweite Wiener Schule und Pierre Boulez erinnernde Musik markiert das aus einfachsten, unablässig wiederholten und dabei nur leicht variierten Motiven zusammengesetzte Oktett von Galina Ustwolskaja. Von Ustwolskaja stammt die furchterregende Feststellung, sie sei in ihrer Klangsprache von überhaupt niemandem beeinflusst worden. Ihr 1950 entstandenes Oktett nimmt die Untröstlichkeit der Spätwerke ihres Lehrers Schostakowitsch vorweg, wirkt aber in seiner bohrenden Intensität unbarmherziger. Dass hier kein Loblied auf den kommunistischen Menschen gesungen wird, hat die sowjetische Kulturbürokratie zurecht vermutet. Solidarität kommt in dieser Musik nur als Drohung vor: Am unerbittlichsten klingt sie, wenn alle Instrumente im Gleichschritt marschieren.
Die Konzentration der Musiker überträgt sich unmittelbar aufs Publikum
Dass es russischen Komponisten auch heute leichter als ihren westeuropäischen Kollegen zu fallen scheint, welthaltige Musik zu schreiben, legen die jüngeren Werke nahe. Anton Safronovs „Chronos ... - Traum“ verlangt dem Ensemble äußerste Virtuosität ab und verfügt über eine Dramaturgie, die sich überzeugend vermittelt. Das „Adagio molto“ des 2013 mit 29 Jahren verstorbenen Georgy Dorokhov ist ein Cellokonzert ohne einen einzigen konventionell produzierten Ton. Man hört und sieht eine Choreografie von Geräuschen und Nicht-Geräuschen, wenn Einsätze der Posaune mit großem gestischen Aufwand vorbereitet werden, um dann doch auszubleiben, oder Jurowski am Ende zehn Schläge ins Nichts zählt – als auskomponierte Stille nach dem Schluss gewissermaßen. Der Dirigent und sein souveränes Ensemble musizieren durchgehend mit einer Konzentration, die sich unmittelbar aufs Publikum überträgt.