Neue Chefdirigenten Berliner Orchester: Vorspiel zur Ouvertüre
Zwei künftige Berliner Musikchefs stellen sich vor: Robin Ticciati mit dem Deutschen Symphonie-Orchester und Vladimir Jurowski mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester.
Es ist eine Verkettung ungewöhnlicher Zufälle: Die Bekanntgabe ihrer Namen erfolgte im Oktober 2015 an ein und demselben Tag, beide werden ihre Chefdirigenten-Jobs im Herbst antreten – und nun absolvieren sie auch noch ihre jeweiligen ersten Auftritte mit ihren künftigen Orchestern an zwei aufeinanderfolgenden Abenden: Robin Ticciati am Freitag mit dem Deutschen Symphonie-Orchester, Vladimir Jurowski am Samstag dann mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester.
Eigentlich hätte der 33-jährige Brite mit italienischen Wurzeln seinen Einstand als designierter künstlerischer Leiter beim DSO bereits Ende Februar 2016 geben sollen – doch dann streckte ein Bandscheibenvorfall den hochgewachsenen Maestro nieder. Neben vielen Konzerten musste er auch beide Produktionen absagen, die er als music director des Opernfestivals im südenglischen Glyndebourne hätte leiten sollen. Seit Ende August aber ist Robin Ticciati wieder fit, mit dem London Symphony Orchestra und Anne-Sophie Mutter gastierte er im November in der Philharmonie.
Jurowski ist offen für zeitgenössische Musik
Für seinen neuen Job hat der 1983 geborene und zunächst als Geiger ausgebildete Ticciati seine Heimatstadt London verlassen und ist nach Berlin gezogen. Dort wohnt sein künftiger Kollege Vladimir Jurowski schon seit Langem. 1990 kam er mit seiner Familie nach Deutschland, damals 18 Jahre alt. Sein Vater, der Dirigent Michail Jurowski, der als jüdischer Künstler sehr unter dem Antisemitismus in Russland gelitten hatte, wollte hier einen beruflichen Neuanfang wagen. Das gelang, und bald schon begann sich auch sein Ältester für den Berufsweg zu interessieren. Sein erstes Festengagement bekam Vladimir 1996 an der Komischen Oper, 2001 wurde er – als Vorgänger von Robin Ticciati – musikalischer Leiter in Glyndebourne, 2007 kam die Chefposition beim London Philharmonic Orchestra hinzu.
Dass er nach 16 Jahren wieder eine Anstellung in seiner Wahlheimat Berlin antreten kann, freut Vladimir Jurowski doppelt. Zum einen aus künstlerischen Gründen, aber auch aus privaten: Weil er künftig mehr mit seinem 2008 geborenen Sohn Jurij zusammen sein kann: „Es wird Zeit, dass er seinen Vater regelmäßig zu Gesicht bekommt“, sagte er jüngst in einem Interview. Auch wenn er „die ganze deutsche Kultur“ durch sich habe „fließen lassen“, sei er „künstlerisch gesehen natürlich Russe“. Welche Akzente Jurowski in seiner ersten Saison mit dem RSB setzen wird, will der Dirigent erst im Frühjahr bekannt geben. Bei seinem Konzert am Samstag mischt er ganz selbstverständlich Musik aus beiden Kulturkreisen, mit Werken von Sergej Rachmaninow und Paul Hindemith.
So wie er es auch für ganz normal hält, offen für zeitgenössische Musik zu sein. Als artistic advisor arbeitet Jurowski regelmäßig mit dem Berliner Ensemble United. Nur einen Tag nach seinem RSB-Einstand wird er mit der Avantgarde-Formation im Konzerthaus auftreten. Unter dem Titel „Italienisches Liederbuch“ ist dann „Psychedelisches von Gesualdo bis zu Jim Morrison“ versprochen.
Ticciati will raus aus der Komfortzone
Stilistisch breit aufgestellt ist auch Robin Ticciati. Er wird am Freitag die deutsche Erstaufführung von „Near Midnight“ dirigieren, einem Werk der 35-jährigen schottischen Komponistin Helen Grime. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Tugan Sokhiev interessiert sich der Brite aber auch intensiv für die deutsche Romantik von Wagner bis Bruckner. Mit dem Scottish Chamber Orchestra, dessen Leitung er nach acht Jahren zugunsten des DSO jetzt aufgeben wird, hat Ticciati jüngst alle Sinfonien von Brahms gespielt sowie einen Schumann-Zyklus auf CD herausgebracht. In Berlin steht neben Edward Elgars Violinkonzert Schumanns „Rheinische“ auf dem Programm.
In den sechs Monaten, die er nach seinem Bandscheibenvorfall unfreiwillig in Ruhestellung verbringen musste, habe er viel über die Musikindustrie und den konventionellen Musikkonsum nachgedacht, berichtete Ticciati im Oktober in der Zeitung „The Herald“ aus Glasgow. Seinen guten Vorsatz, sich bei der Arbeit mit dem Scottish Chamber Orchestra nicht immer nur „wie in einem warmen Bad zu räkeln“, sondern, im Gegenteil, sich „so weit wie möglich aus der Komfortzone zu bewegen“, wird er sicher auch mit nach Berlin bringen.
Konzert mit dem DSO und Ticciati am 13.1. in der Philharmonie, mit dem RSB und Jurowski am 14.1. im Konzerthaus