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Der ukrainische Musiker und Produzent Lesik Omodada.
© privat

Yuriy Gurzhys Kriegstagebuch (18): Einer wird fehlen auf der Bühne

Der ukrainische Autor und Musiker Yuriy Gurzhy lebt seit 1995 in Berlin. Wie er von hier aus den Krieg in der Ukraine verfolgt, schreibt er in diesem Tagebuch. 

5. April 2022
Obwohl ich erst vorige Woche in Erfurt war, fühlt es sich an, als ob seitdem ein guter Monat vergangen ist. Aber ich bin wieder hier – diesmal nicht für eine Lesung, sondern mit einem Musikprojekt.

Irgendwas stimmt nicht mit meiner Google-Maps-App, doch ich habe mir sofort gemerkt, wie ich die Pension finde, in der ich untergebracht bin – sie befindet sich genau gegenüber von einem Haus mit einer liebevoll gemalten Flagge der Ukraine im Fenster.

Durch den Krieg ist mein Projekt „Alte Steine, Neue Töne“ jetzt kleiner

Auf dem Weg hierhin telefonierte ich mit einem deutschen DJ-Kollegen, der letztes Jahr in der Ukraine aufgelegt hat und anruft, um seine Fassungslosigkeit und sein Mitleid mit mir zu teilen. Er möchte sagen, wie gut ihm Kiew damals gefallen hat, wie enthusiastisch das Publikum war und wie schrecklich es gerade für „meine Leute dort“ sein dürfte.

Ich bin müde, ich stimme zu, komme jedoch nicht dazu, ihm zu erzählen, dass der Krieg hier ebenfalls angekommen ist und meine deutschen Mitbürger*innen auf direkte Weise betrifft. Das gilt auch für mein Projekt „Alte Steine, Neue Töne“ in Erfurt: Eigentlich hätten wir diese Woche zu sechst daran arbeiten sollen, aber unser Kollege Lesik Omodada aus dem ukrainischen Ternopil kann leider nicht dabei sein.

Lesik spielt beim pop-psychedelischen Trio TikTu – vor drei, vielleicht vier Jahren, jedenfalls noch vor Corona, hat er mich angeschrieben und gefragt, ob ich ihm einen Club in Berlin empfehlen könnte, die Band plante eine Europa-Tour und suchte nach einer Auftrittsmöglichkeit in der deutschen Hauptstadt.

Persönlich sind wir uns nicht begegnet, aber ich kannte TikTu, mochte ihre Musik und habe sofort vermittelt. Die Band hat dann tatsächlich im Panda-Theater gespielt, aber leider habe ich das Konzert verpasst, da ich selber auf Tour war. Der Kontakt mit Lesik blieb bestehen.

Er eröffnete das Aufnahmestudio Shpytal Records im westukrainischen Ternopil und wurde mehr und mehr als Toningenieur und Musikproduzent tätig. Er hat mit einigen der besten ukrainischen Acts gearbeitet, unter anderen mit der ESC-Gewinnerin Jamala, aber auch mit Brat, Love n’ Joy und Zapaska.

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2021 hat er das Album „Foxtroty“, das wir mit Serhij Zhadan aufgenommen haben, abgemischt und gemastert. Ich war sehr glücklich mit dem Ergebnis und lud ihn ein, an meinem neuen Projekt teilzunehmen, als wir uns bei der Live-Premiere von „Foxtroty“ in Kiew endlich trafen.

Jedoch wird Lesik die Bühne des Erfurter Zughafens am 7. April nicht mit uns teilen können. Stattdessen hat er eine Videobotschaft geschickt, die wir auf die Leinwand projizieren werden. Darin zeigt er sein Studio, wo er an unseren Tracks arbeitet, und auch seinen Keller, wo er hinmuss, wenn die Sirenen vor Luftangriffen warnen. Bis vor Kurzem ist Ternopil von russischen Raketen verschont geblieben, aber vor ein paar Tagen wurde auch dort bombardiert.

Lesik Omodada in seinem Tonstudio in Ternopil.
Lesik Omodada in seinem Tonstudio in Ternopil.
© privat

„Wir haben noch Internet und eine Handyverbindung hier, aber jeder Zweite von uns hat aufgehört, mit Verwandten und Freunden aus russland zu kommunizieren. Das liegt daran, dass sie uns nicht glauben – stattdessen vertrauen sie der Propaganda, die die Ukraine als Nation leugnet und ihre sofortige und vollständige Zerstörung anstrebt. Viele Menschen in russland glauben den ukrainischen, aber auch den Weltmedien nicht, dass ihr Land angreift. So sieht es aus. Ukrainer melden sich freiwillig, versorgen, empfangen, ernähren und retten sich gegenseitig – mit dem einzigen Ziel, zu überleben – und das bedeutet, diesen Krieg zu gewinnen. Denn zu verlieren wäre unser Tod.“

Zusammen mit Kollegen hat Lesik gerade die Stiftung „Musicians Defend Ukraine“ gegründet mit einem Spendenaufruf für ukrainische Musiker, die in den letzten Wochen keine Musik machen konnten und ihre Städte verteidigen mussten. Und ich weiß jetzt, wo ich als Nächstes spende.

Lesen Sie hier weitere Teile des Tagebuches:

Yuriy Gurzhy

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