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Protest per Papier. Nancy Pelosi zerreißt eine Kopie der Trump-Rede.
© Mandel Ngan/AFP

Kolumne „Spiegelstrich“: Eine Geste sagt mehr als tausend Lügen

In Zeiten der Radikalisierung werden klare Gesten wichtiger, meint unser Kolumnist. Manche zeugen von demokratischem Mut. Andere von zynischer Macht.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer.

Dass drei Frauen in den wesentlichen Momenten dieser Woche schweigend kommunizierten, während viele Männer viel redeten, dies war wohl Zufall.

Auf der europäischen Seite des winterlichen Atlantischen Ozeans ließ Susanne Hennig-Wellsow von der Linken dem von der AfD gewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) ihren Blumenstrauß vor die Füße fallen, es war ja nicht einmal ein Wurf, eher ein zu Bewegung gewordener Würgereiz, der pure Ekel.

Thüringer Blumengruß. Die Füße gehören Thomas Kemmerich (FDP), dem Linken-Politikerin Hennig-Wellsow die Blumen aus Protest vor die Füße warf.
Thüringer Blumengruß. Die Füße gehören Thomas Kemmerich (FDP), dem Linken-Politikerin Hennig-Wellsow die Blumen aus Protest vor die Füße warf.
© Martin Schutt/dpa

Auf der anderen Seite des eisigen Meeres griff die Demokratin Nancy Pelosi am Ende der „State of the Union“-Rede Donald Trumps nach ihrer Kopie des Textes und zerriss ihn; spontan sei's gewesen, das sagte Pelosi am Morgen danach, auf jeder Seite hätten so unerträglich viele Lügen gestanden.

Es waren zwei wortlose Gesten demokratischen Widerstands.

Dort auch auf der anderen Seite des Ozeans legte Melania Trump, Ehefrau des wüsten Präsidenten, dem Radiomoderator Rush Limbaugh die „Medal of Freedom“ um den Hals, jenem Limbaugh, der Schwarze im Allgemeinen verachtet und Barack Obama im Besonderen unterstellte, nicht in den USA geboren zu sein.

Es war eine zynische Geste der Macht.

Denn oben stand der Präsident der USA und sprach von Verbrechen durch Migranten, die es nicht gibt, sprach von Amerikas Wirtschaft, die er gerettet habe, was falsch ist; Trump ließ ein alternatives Amerika entstehen, und obwohl ihn diese altmodische Sache namens Wahrheit widerlegt, standen und klatschten seine Republikaner und riefen „Vier weitere Jahre!“. Es war ein monarchistischer, wenn nicht fast schon faschistisch wirkender Moment.

Wir wissen es längst: Unsere Demokratien sind nicht sicher, sind nicht robust, aus mehreren Gründen.

Die Welt wandelt sich rasant, verunsichert Menschen, die Schuldige und Rettung suchen. Sie zweifeln demokratische Ergebnisse an, untergraben Institutionen, erklären demokratische Gegner zu „Abschaum“ und „Volksverrätern“. Es geschieht in den USA, in Polen, Ungarn oder Brasilien, es geschieht in Deutschland.

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
© Tobias Everke

Björn Höcke schreibt, die „Schutthalden der Moderne“ seien zu beseitigen; sagt, das Holocaust-Mahnmal sei ein „Denkmal der Schande“; sagt, „die sogenannte Einwanderungspolitik“ ziele auf „die Abschaffung des deutschen Volkes“.

Am Tag nach dem Freispruch im Amtsenthebungsverfahren stand Donald Trump im Weißen Haus und nannte die Politiker der Opposition „die betrügerischsten, unehrlichsten, schmutzigsten Menschen, die ich je erlebt habe“, und dann noch einmal: „fies“, „Unmenschen“, „verrückt“, „korrupt“, „Abschaum“, „teuflisch“, „krank“, „minderwertiges Leben“. „It was all bullshit“, Bullenscheiße, auch das sagte Trump, nie zuvor hat ein Präsident in einer Rede ans amerikanische Volk dieses Wort verwendet.

Sprache untergräbt die Demokratie

Sprache wirkt, sie kann stärken und zaubern, aber sie schwächt auch. Sprache untergräbt die Demokratie nicht nur dröhnend, sondern gleichfalls, wenn sie unbedarft, wehrlos ist: Annegret Kramp-Karrenbauers „Empfehlungen“ und „Bitten“ der Bundes-CDU an die Thüringer CDU wirkten so lieblich wie Christian Lindners Erklärung, Thomas Kemmerich sei „offensichtlich übermannt“ gewesen.

Darum ist es kostbar, wenn jemand wie der republikanische Senator Mitt Romney in den USA nicht mitmacht, als Einziger einer Partei, die sich unterworfen hat. Wenn er zwar nervös ist und Angst vor dem Hass hat, von dem er weiß, dass er kommen wird (und der Minuten später losbricht), und doch die allein passenden Worte findet: „Der Präsident hat sich eines entsetzlichen Missbrauchs des öffentlichen Vertrauens schuldig gemacht.“ Manchmal können Worte ein Ergebnis nicht ändern. Aber solange sie gesagt werden, exakt so lange lebt die Demokratie.

Klaus Brinkbäumer

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