Coronavirus-Tagebuch aus New York: Eine Gemeinheit des Viren-Gotts – Corona fällt in Trumps Amtszeit
Unser Kolumnist erlebt die Coronavirus-Pandemie in den USA. Donald Trump wirkt auch in der Krise nicht souveräner – ganz anders als Angela Merkel.
Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Sie erreichen ihn unter Klaus.Brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer. An dieser Stelle wird er in den kommenden Wochen ein Coronavirus-Tagebuch verfassen mit kurzen Beobachtungen aus dem Alltag und Überlegungen zur Corona-Krise.
– Wenn wir uns nun also im 30. Stock vor New York City verstecken: Wer hat vor uns die Äpfel angefasst? Wer das Brot gebacken?
– Unsere Zeiten waren schnell genug und beschleunigen sich weiter: Die Anweisungen von heute früh sind schon am Abend nichts wert. Wie wird das Leben nach der Krise sein: Kommt sogleich das nächste Virus?
– Wird Europa die Grenzen lieben gelernt haben? Wird die Wirtschaft zu retten sein, oder ist dies das Ende des Finanzsystems? Lässt sich Aufbauhilfe an das noch größere Problem, den Klimaschutz, knüpfen?
– Oder werden Regierende sagen: Bitte mal langsam, zuvor muss alles werden, wie es war. (Die Erfahrung im Kleinen, in der Medienwelt, lässt mich tippen: Die Erschöpfung wird siegen.) Die Erschütterung unserer Welt hatten wir noch Ende 2019 für 2030 erwartet, mit etwas Glück für 2040.
– Sätze, die ich hinschreiben muss, ehe ich sie glauben kann: Der beliebteste deutsche Politiker heißt Markus Söder.
Hintergrund über das Coronavirus:
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– Noch beliebter sind zwei Wissenschaftler, in Deutschland Christian Drosten und in den USA Anthony Fauci. Die Kombination, die zu lernen ist: zu sagen, was man weiß, und zu sagen, was man nicht weiß, beides gleichermaßen selbstbewusst wie zurückhaltend.
– Hingegen: Donald Trump gab nie Pressekonferenzen, jetzt aber täglich. Er will wirken, als habe er das Kommando, ohne das Kommando zu haben. Wieso übertragen Medien Propaganda freiwillig live? Trump-Wähler und Fox-Zuschauer halten Covid-19 für weniger bedrohlich als andere Amerikaner, verhalten sich entsprechend. Der NBC-Reporter Peter Alexander fragt, was Trump dem verängstigten Volk zu sagen habe. Trump: „Ich sage, dass Sie ein schrecklicher Reporter sind, das sage ich. Ich glaube, das ist eine sehr gemeine Frage.“ Dass in die Amtszeit dieses Mannes eine Krise fällt, die Weitsicht, Empathie, Kompetenz verlangt, ist gemein – vom Virengott oder wem auch immer.
– Rehabilitiert hingegen: das Internet, Social Media im Besonderen. FaceTime-Morgenkaffee mit dem besten Freund, Igor Levits Mondscheinsonate, Online-Yoga, die Solisten des American Ballet Theatre, die digital unterrichten: Verbindungen bleiben auf kreative Weise warm und, wie man früher so sagte: erfinden sich neu.
– Zugleich diskreditiert: ebenfalls das Internet. „Infodemie“ ist eines der Wörter der neuen Zeiten – so viele Lügen. „Das Fehlen präziser Informationen in den ersten Wochen war der Sauerstoff für Fehlinformationen“, sagt Cristina Tardáguila, vom International Fact-Checking Network. Melissa Bailey rät Journalisten auf der Webseite der Nieman Foundation fünf Dinge: die Wiederholung klarer Botschaften; das Nutzen von Grafiken und Tabellen; das Vorausahnen der Lösungsverweigerung (also des Ablehnens unbequemer Konsequenzen) durch unser Publikum; darum das Zitieren von Fachleuten; das Offenlegen unserer Arbeitsweise.
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– Weitere Wörter dieser Zeiten: „Virus“ (wird je wieder etwas „viral gehen“?); „Herdenimmunität“; „Ausbruch“; „Basisreproduktionszahl“, kurz: R0. Wie viele Menschen steckt ein infizierter Mensch an? Im Fall „Sars-CoV-2“ bislang zwei bis drei. Solange R0 größer als 1 ist, breitet sich die „Pandemie“ weiter aus.
– Der Kontrollverlust bringt für EU-Bürgerinnen und -Bürger jene Sorgen, die Migranten seit Langem kennen: Wenn in der nun unerreichbaren Ferne den Eltern etwas zustößt … was denn aber dann?
– Angela Merkel („Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“) ist keine gute Rednerin und hält im wichtigsten Moment die beste Rede ihrer Kanzlerinnenzeit. Bismarck konnte überragend reden und fand Reden unseriös. „Ich bin Minister, Diplomat und Staatsmann und würde mich für gekränkt halten, wenn man mich einen Redner nennte“, sagte er.
– Die Wohnung im 30. Stock ist nun der Ort, an dem der Sohn die ersten freien Schritte macht. Das Juchzen des Weltentdeckers.
Klaus Brinkbäumer