Rhetorik angesichts des Virus: Welche Worte sind in der Coronakrise passend?
Politiker ringen um das richtige Vokabular – Angela Merkels Ansprache zeichnet sich durch Zivilität aus, Franzosen und Amerikaner üben sich in Kriegsrhetorik.
Beim Wiederhören, in der Wiederholung erkennt man es besser: Angela Merkel hat eine ruhige, differenzierte Corona-Rede im Fernsehen gehalten. Es war ihr erster Auftritt dieser Art, schon das zeigt die Dramatik, mit ihren Worten: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“ Später spricht sie noch einmal von einer „ernsten und offenen Situation“.
Der Appell an vernünftig denkende und handelnde, solidarische Bürgerinnen und Bürger trifft ins Mark. Doch warum stellt sich bei der Ansprache der Bundeskanzlerin auch das Gefühl ein, dass hier etwas nicht stimmt? Dass Ton und Inhalt der Rede nicht immer zusammenpassen?
Das beschreibt zunächst und auch zuletzt Angela Merkels Charakter. Sie wägt ab, sie strahlt eine Gefasstheit aus, die ihr schon häufiger als Indolenz angekreidet wurde. Hier und jetzt wirkt ihre ja nicht gespielte, sondern wesensverhaftete Besonnenheit wie die richtige Reaktion auf so viele Fragen, die im Moment niemand verantwortungsvoll beantworten kann.
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Kühl kam Angela Merkels Rede nicht über den Bildschirm, im Gegenteil. Hinter ihrer Maskenhaftigkeit ist Erschütterung zu spüren. Und zwischen den Sätzen kündigen sich noch härtere Maßnahmen an.
Man kann die gesamte Redezeit von knapp 13 Minuten auch als letzte Warnung an die Unvernünftigen und Sorglosen auffassen. Vor einer Ausgangssperre! Merkel übt strikte Disziplin, verbirgt Emotionen. Andernfalls gilt eine Frau schnell als hysterisch.
Etwas Pastorales vor der Kamera
Bei der Gelegenheit kann endlich das Klischee von der nüchtern beobachtenden und ihre Schlüsse ziehenden Wissenschaftlerin verabschiedet werden. Vielmehr bekam die Erscheinung der Kanzlerin vor der Kamera etwas Pastorales. Verständnisvoll, fest an das Gute im Menschen glaubend – wie das „Wort zum Sonntag“ leicht verhallt. Ihr ist das nicht vorzuwerfen. Wie alle erlebt Angela Merkel eine solche umfassende Krise zum ersten Mal, was sich dann in ihrem schiefen und beunruhigenden Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg zeigt. Corona ist in unseren Lebensspannen ohne Beispiel.
Auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat bei seinem Fernsehauftritt nach Worten gesucht, um die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu begründen. „Nous sommes en guerre“. Wir sind im Krieg. Das saß. Das prägt sich ein wie Merkels Satz, als 2015 die Grenzen für die Flüchtenden geöffnet wurden: „Wir schaffen das“. Jetzt hatte sie keine ähnlich prägnante Formel parat, am ehesten noch: „Es kommt auf jeden an“. Und auch bei Macron fielen Botschaft und Performance auseinander. Die Nation muss in einen Krieg, aber ganz ohne sympathische Wackler brachte das ihr junger – und von vielen Franzosen verachteter – Anführer nun nicht heraus.
Macrons und Merkels Reden lassen sich nur schwer vergleichen. Der eine ist ein Charismatiker, in einem Land, dessen Rhetorik ohnehin traditionell die Emphase pflegt, ein mit weitreichenden Machtbefugnissen ausgestatteter Staatspräsident. Die andere regiert seit über einem Dutzend Jahren mit oft schon aufreizend ruhiger Hand, frei von Pathos. Im Übrigen schert sich ein Virus weder um nationale Eigenheiten noch um Eigenschaften von Spitzenpolitikern.
Trump liefert erstklassigen Anschauungsunterricht
„Ein Virus kennt keine Moral“ nannte Rosa von Praunheim 1986 seine makabre Aids-Komödie. Corona überspringt jede Grenze und widerspricht sämtlichen Parolen, die große Grenzzieher wie Donald Trump ausgeben. Der US-Präsident spricht vom „chinesischen Virus“ und verteidigt seine Wortwahl so: Das sei nicht rassistisch, er wolle nur präzise sein. Das Virus komme nun einmal aus China. Trump sieht die Corona-Katastrophe als Verlängerung des amerikanisch-chinesischen Handelskriegs, er will aus der Krise politisches Kapital schlagen.
Geht es um Corona und Rhetorik, liefert Trump erstklassigen Anschauungsunterricht. Wie alle Politiker weltweit muss er sich auf eine vollkommen neue Lage einstellen. Erst macht Trump blöde Bemerkungen über das Virus, hält völlig wirre Reden, verspricht, den Feind schnell zu besiegen. Und als er wie ein Vollidiot dasteht und die Situation ihm zu entgleiten droht, packt er den Krisenmanager aus, schickt Lazarettschiffe der Navy auf den Weg und holt kriegsrechtliche Bestimmungen hervor, um die landeseigene Produktion von Schutzausrüstung anzukurbeln. In den USA ist Wahlkampf. Ohne militärische Sprache kommt auch Joe Biden, der wahrscheinliche demokratische Trump-Herausforderer, jetzt nicht aus. Er wählte in einer Fernsehdebatte die Formel „Wir befinden uns in einem neuartigen Krieg“.
Besteht eine offene Gesellschaft in einer Pandemie?
„Wir stehen vor der größten Herausforderung in Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg“. Das hat am vergangenen Wochenende der österreichische Bundesknazler Sebastian Kurz gesagt, von dem man noch nicht genau weiß, ob er mehr Populist oder Pragmatiker ist. Angela Merkel hat es am Mittwoch wiederholt. Nun, den Zweiten Weltkrieg haben Deutsche und auch ein paar Österreicher angefangen. Diese Mahnung führt ins Dunkle, beweist bloß die Unsicherheit der Redner.
Bedeutsam für die nächsten Monate bleibt in Merkels Text das Menschliche, Mitbürgerliche, das sie mit Demokratie und transparenter Politik verbindet. Dahinter steckt die harte Frage, ob eine offene Gesellschaft in einer Pandemie besteht. Ein Novum: Die Pest wütete im Mittealalter und der Renaissance, die Spanische Grippe brach gegen Ende des Ersten Weltkrieg aus. Damals hatte Deutschland noch einen verrückten Kaiser.