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Fritz Bauer im Interview bei der Ausstellung "Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht".
© dpa

Deutungskampf um das Werk von Fritz Bauer: Die Nestbeschützer

Fritz Bauer leitete die Frankfurter Auschwitz-Prozesse in die Wege – nun gibt es einen Deutungskampf um sein Werk, vor allem innerhalb des Fritz-Bauer-Instituts selbst.

Als ich das Begleitbuch zu der Frankfurter Ausstellung „Fritz Bauer. Der Staatsanwalt“ las, traute ich meinen Augen nicht. Der von den Nationalsozialisten verfolgte Initiator des Auschwitz-Prozesses sollte ein Treuebekenntnis gegenüber den NS-Machthabern abgelegt haben? So stand es jedenfalls in dem faksimilierten Artikel einer Zeitung aus dem Jahr 1933. Fritz Bauer hat so etwas nie unterschrieben. Gäbe es eine solche Unterschrift, hätten die Nazis sie veröffentlicht. Vergeblich bat ich die Verantwortlichen, das offensichtlich gefälschte Bekenntnis aus dem Begleitbuch und aus der Ausstellung zu entfernen. Inzwischen ist die gemeinsam vom Fritz-Bauer-Institut und vom Jüdischen Museum gestaltete Ausstellung in Frankfurt am Main nicht mehr zu sehen – sie wird nun vom 9. Dezember an im Thüringischen Landtag gezeigt. Unverändert.

2014 wurde bundesweit an Bauer erinnert, fünfzig Jahre nach den Auschwitz-Prozessen. Der Spielfilm „Im Labyrinth des Schweigens“ widmete sich Bauers Wirken, Diskussionen befassten sich mit dem couragierten Pionier der Aufarbeitung von NS-Verbrechen, Publikationen zeichneten den Lebensweg des verfolgten Sozialdemokraten nach.

Ausgerechnet dem Institut aber, das seinen Namen trägt, scheint es an Respekt vor Bauer zu fehlen; vor einem Mann, der an der deutschen Geschichte mitgeschrieben und sie zum Guten hin beeinflusst hat, wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Vosskuhle gesagt hat.

Fritz Bauer: ein zerrissener Homosexueller

Gefördert hat das Fritz-Bauer-Institut unter anderem ein Buch, „Fritz Bauer. Oder Auschwitz vor Gericht“, dessen Verfasser, der „SZ“-Journalist Ronen Steinke den 1968 verstorben hessischen Generalstaatsanwalt Bauer nicht primär als den verfolgten Sozialdemokraten darstellt, der er war, sondern als Opportunisten, der Überzeugungen nach Bedarf gewechselt habe. Steinke zeichnet Bauer als innerlich zerrissenen Homosexuellen, der seine Freilassung aus Nazi-Haft mit ebenjenem „Treuebekenntnis“ zu Hitler erkauft und nach 1945 seine jüdische Herkunft verleugnet habe. Ihm sei zum Antisemitismus der Nachkriegszeit nie ein öffentliches Wort über die Lippen gekommen, ja, er habe nicht einmal gewusst, ob Auschwitz-Opfer ihre Häftlingstätowierung auf dem rechten oder linken Unterarm trugen.

Der brandenburgische Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg, zurzeit dienstältester Generalstaatsanwalt der Bundesrepublik, nennt Steinkes Biografie, in Anspielung auf ihren Boulevardstil, „das am besten geschriebene schlechte Buch“, das er je gelesen habe. Da werde ein Zerrbild von Bauer gezeichnet, urteilt Rautenberg in seinem Essay „Die Demontage des Generalstaatsanwalts Dr. Fritz Bauer“ in der September-Ausgabe der Zeitschrift „Neue Justiz“. Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin glaubt, mit Behauptungen über eine angebliche Homosexualität Bauers solle „von den politischen Gründen für die Kritik und die üble Behandlung des hessischen Generalstaatsanwalts abgelenkt und eine Art Verständnis für seine damalige Isolierung geweckt werden“. Warum wird das Bild von einem ganz anderen Fritz Bauer konstruiert, werden Zweifel an seinem Lebenswerk gesät? Die Causa hat ihre historischen Gründe, und es mag am Klima einer Restauration liegen, dass diese aktuell neu auftauchen.

1995 wurde das Fritz-Bauer-Institut gegründet

Blicken wir zurück. Volker Hauff hatte 1989 als SPD-Oberbürgermeister von Frankfurt am Main die Idee, ein wissenschaftliches Institut zur Erforschung des Holocaust ins Leben zu rufen und nach Bauer zu benennen. Gegründet wurde das Institut 1995. Dem von den Nationalsozialisten verfolgten Fritz Bauer war es weniger darum gegangen, möglichst viele NS-Verbrecher zu verurteilen. Wichtiger war ihm, der Gesellschaft die Augen zu öffnen für „die Wurzeln des Bösen“, wie er sagte. Millionen Deutsche hatten geschwiegen, Hunderttausende das Böse aktiv unterstützt – darunter fast die gesamte deutsche Richterschaft. Sie fühlte sich am stärksten von einem juristischen Kollegen bedroht, der als Solitär seiner Zunft das bessere Deutschland verkörperte. Er störte ihr Gewissen, viele verachteten ihn als Nestbeschmutzer. All das, so scheint es, wirkt nun wieder nach.

Drei Jahre nach seiner Rückkehr aus der Emigration hatte Fritz Bauer 1952 als Vertreter der Anklage die Feststellung des Braunschweiger Landgerichts durchgesetzt, dass der NS-Staat „kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat“ gewesen sei. Damit waren die Widerstandskämpfer des 20. Juli vom Vorwurf des Landesverrats befreit, was keineswegs allen Juristen gefiel. Bauers Absage an blinden Gehorsam gegenüber staatlicher Gewalt galt besonders im Milieu der CDU als suspekt. So torpedierte sie in Rheinland-Pfalz 1960 den Gebrauch einer Broschüre für Schulen mit einem Text Bauers zu den Ursachen des Faschismus. Und 1962 hielt der spätere Bundeskanzler Helmut Kohl Fritz Bauer entgegen, es sei „noch zu früh“ für ein abschließendes Urteil über das „Dritte Reich“. Als Bauer ein Verfahren gegen Hans Globke einleitete, warf man ihm Verbindungen zur DDR vor. Argwohn und Ärger angesichts seines Handelns war Bauer also gewohnt.

Ist die Demontage Fritz Bauers ein Symptom für den aktuellen Umgang mit Zeitgeschichte?

Fritz Bauer 1963 in Frankfurt bei der Gedenkfeier für Anne Frank in Frankfurt am Main
Fritz Bauer 1963 in Frankfurt bei der Gedenkfeier für Anne Frank in Frankfurt am Main
© AdSd Bonn

Aus der Würdigung Bauers durch die Gründung des Instituts erwuchs, so schien es, ein sozialer, historischer Friede. Als 1999 mit Roland Koch ein Ministerpräsident der CDU ins Amt kam, sahen sich die Christdemokraten in der Verantwortung für das öffentlich geförderte Institut. Finanziert haben sie es weiterhin, doch politisch schlug der Wind um. Die alte Anti-Bauer-Stimmung setzte wieder ein. 2005 stellte ein Institutsmitarbeiter sogar den gesamten Auschwitz-Prozess infrage. Unter der Überschrift „Täterexkulpation und Opfergedenken“ schrieb der Leiter des Institutsarchivs, Werner Renz, die Angeklagten seien niedere Chargen gewesen: "Besonders hart traf es niedere Chargen, die so genannten Exzesstäter, nicht nur auf Befehl, sondern auch eigenmächtig gemordet hatten." Man habe sie auch nicht zum Zweck der Vorbeugung bestrafen müssen, da sie ja ähnliche Verbrechen nicht erneut hätten begehen können.

Anders als üblich war der wissenschaftliche Beirat des Instituts zu dem brisanten Aufsatz nicht gehört worden. Die Publikation einer kritischen Erwiderung von Joachim Perels, der dem Beirat vorsaß, vereitelte der damalige Institutsdirektor Dietfried Krause-Vilmar, der den Schritt später bedauerte. Perels wurde, wie er sich ausdrückt, aus dem Beirat „hinausbefördert“, Renz aber blieb und veröffentlichte wieder im selben Tenor. Der ehemalige Untersuchungsrichter im Auschwitz-Verfahren, Heinz Düx, beschwerte sich beim Fritz-Bauer-Institut über Textpassagen, die als „Beginn einer Demontage und Desavouierung Fritz Bauers“ gelesen werden könnten.

Die Demontage Fritz Bauers

Wenig tolerant zeigt sich das Institut gegenüber jenen, die sich sein entpolitisiertes Bauer-Bild nicht zu eigen machen. Die international renommierte Regisseurin Ilona Ziok, deren Fritz-Bauer-Dokumentarfilm „Tod auf Raten“ von der deutschen Filmbewertungsstelle mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ ausgezeichnet wurde, ist beim Institut nicht gelitten. Archivar Renz bezeichnete ihren Film im institutseigenen Publikationsorgan als „medialen Missgriff“. Auf Ungnade stieß auch die Historikerin und ehemalige stellvertretende Direktorin des Fritz-Bauer-Instituts, Irmtrud Wojak. Ihre Biografie über Bauer, mit der sie sich habilitierte, wird, wie Zioks Film, vom Institut boykottiert. Exponate einer von Wojak betreuten Ausstellung über den Auschwitz-Prozess wurden unter Hinweis auf „fehlende Lagerkapazität“ vom Institut entsorgt. Liest man die Demontage Fritz Bauers als Symptom für den aktuellen Umgang mit Zeitgeschichte, dann ist es ein beunruhigendes.

Kurt Nelhiebel, 1927 im nordböhmischen Deutsch-Gabel geboren, berichtete ab 1963 für die Zeitung der Israelitischen Kultusgemeinde Wien vom Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main. Später arbeitete er u.a. als Nachrichtenchef bei Radio Bremen. Unter dem Pseudonym Conrad Taler publizierte er mehrere Bücher, darunter 2012 „Skandal ohne Ende. Deutscher Umgang mit dem Rechtsextremismus“ (PapyRossa-Verlag); 2013 erschien unter seinem bürgerlichen Namen im Peter-Lang-Verlag „Im Wirrwarr der Meinungen – zwei deutsche Antifaschisten und ihre Stimmen“. Nelhiebel wohnt in Bremen.

Kurt Nelhiebel

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