Lange Nacht der Ideen: Das Kreuz mit der Kultur
Eine Diskussion im Auswärtigen Amt bei der „Langen Nacht der Ideen“ mit Carolin Emcke, Martin Roth und Bénédicte Savoy.
Auf dem Dach des Außenministeriums sitzen die Besucher mit einem Glas Wein unter einem Himmel, der eine ganze Palette von Blautönen entfaltet. Im Altbau des Auswärtigen Amts in der Kurstraße gibt es seit einiger Zeit eine Galerie. Dort oben ist am Freitag auch das geografische Zentrum der „Langen Nacht der Ideen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik“. Dieser lange Abend unter dem Motto „Menschen bewegen“ fand zum zweiten Mal statt und beschrieb an 17 Orten einen weiten Kreis: von der Kreuzberger DAAD-Galerie bis zu den Uferhallen im Wedding.
In Mitte hat sich noch etwas gezeigt. Es entsteht eine neue Gravitation. Maxim Gorki Theater, Schinkelsche Bauakademie, Parochialkirche und Pergamonmuseum zählten zu den Anlaufstellen der Neugierigen. Aber natürlich hat eine Großbaustelle wie die des Humboldt-Forums einen speziellen Reiz. Höchste Erwartungen treffen hier auf schlimme Befürchtungen, Begeisterung kämpft mit Skepsis. Die Diskussion zum Thema „Neue Unordnung – Was können Politik und Kultur bewirken?“ in Zeiten von Renationalisierung und Populismus hat schon einmal einen kleinen Hinweis darauf gegeben, wie es zugehen könnte, wenn 2019 oder 2020 das Humboldt-Forum eröffnet wird.
Moderator Stephan-Andreas Casdorff stellt Martin Roth zur Rede
Auf dem Podium gibt die Historikerin und Humboldt-Forscherin Bénédicte Savoy die Richtung vor: „Kultur ist etwas, das ständig im Entstehen ist.“ Und fügt nachher hinzu: „Kultur, das Wort kommt von den Bauern. Es wird etwas ausgesät und man sieht zu, was sich daraus entwickelt.“ Das wendet sich also schon einmal gegen Vorstellung von Kanon und Leitkultur und wird von der Publizistin Carolin Emcke unterstützt: „Kultur ist eine dynamische Form, mit der wir uns verständigen. Was aber zählt zur Kultur, was ist kulturelles Erbe und wer entscheidet das?“
Der Moderator Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur des Tagesspiegels, geht sogleich auf Martin Roth zu und fragt, ob in totalitären Staaten mit Kunst und Kultur etwas auszurichten sei. Der frühere Dresdner und Londoner Museumsdirektor hat für die Biennale in Venedig den Pavillon von Aserbeidschan kuratiert und dafür heftige Kritik eingesteckt. Roth ist der Meinung, dass man eben immer miteinander reden müsse, im Übrigen habe er ein persönliches Verhältnis zu dem Land. Emcke verurteilt ihn nicht. Man müsse eben immer abwägen. In Sotschi bei den Olympischen Spielen aber habe sich gezeigt, wie der Sport missbraucht wurde.
Das Interesse ist groß an diesen Fragen zu Politik und Kultur
Schnell stellt sich heraus: Die alte Vorstellung von Zentrum und Peripherie funktioniert nicht mehr. „Wir leben in einer Zeit der intellektuellen Umverteilung“, sagt Roth. Emcke formuliert noch klarer: „Es gibt für moderne Gesellschaften gar keine Option, sich zu verschließen.“ Sie ist beunruhigt, wenn wieder „Eliten“ angegriffen werden. Sie findet aber auch, dass Begriffe wie Rassismus und Sexismus nicht mehr pauschal verfangen. Sie sollten konkret, mit direkten Bildern und Erfahrungen übersetzt werden.
Es ist beeindruckend. An die zweihundert Menschen stehen eine gute Stunde lang in einem kahlen Raum und hören den Diskutanten zu. Gewaltig ist das Interesse an Fragen aus der Schnittstelle von Politik und Kultur; Martin Roth bevorzugt das Wort Zivilisation. Es betrifft uns alle. Zumal Kultur, wie Casdorff betont, von anderen als Kampfbegriff geführt wird und das Überlegenheitsgefühl der westlichen Demokratien problematisch wirkt. Das ist der entscheidende Punkt, auch für das Humboldt-Forum. Es soll mehr sein als ein Museum. Es sieht sich bereits jetzt mit politischen und historischen Komplexen konfrontiert, zum Beispiel der Frage nach der Herkunft der Artefakte. Und es muss mit Widersprüchen leben, die vermeidbar wären.
Das Schloss wird seine Kuppel erhalten - samt christlichem Kreuz
Das Berliner Schloss, in dem das Humboldt-Forum zu Hause sein soll, bekommt seine alte Kuppelform wieder. Mit dem christlichen Kreuz. Das bringt nicht nur Bénédicte Savoy in Rage. Es ist das falsche Symbol. Ein Museum ist keine Kirche. Hier wird die Geschichte der letzten 200 Jahre auf den Kopf gestellt. Die Nacht ist nie lang genug, um Antworten zu finden. Die Fragen zählen. Sie werden wieder grundsätzlich gestellt – nach unserer Kultur, nach Demokratie und dem Verhältnis zu Religionen. Ein Kreuz auf dem Humboldt-Forum dementiert das Werk Alexander von Humboldts. In seinen Schriften gibt es keinen Gott, es gibt die Natur, den Menschen und das, was er „Wechselwirkung“ nennt.