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Obskure Verbindung: Dürers Bildnis von Karl dem Großen (1514) kam über einen Strohmann des NS-Kunsthändlers Bruno Lohse ans DHM.
© Deutsches Historisches Museum, Berlin

Provenienzforschung am DHM: Ein Dürer-Krimi im Depot

2017 ist das Jahr der Provenienzforschung. Deutsche Museen zeigen, wie schwer der Umgang mit der NS-Vergangenheit fällt.

Seit 2006 steht die Dauerausstellung im Deutschen Historischen Museum unverändert da, ein Parcours über 1500 Jahre hinweg. Mit dem neuen Präsidenten Raphael Gross soll sie überarbeitet werden. Das dauert seine Zeit. Doch schon wird Bewegung spürbar, neue Erkenntnisse kommen als kuratorische Einschübe ins Spiel. Wer im Erdgeschoss des Zeughauses das 20. Jahrhundert durchwandert, sieht sich überraschend mit zwei Kaiserbildnissen von Albrecht Dürer konfrontiert, die bisher im Obergeschoss zu sehen waren, wo sie in der zeitlichen Abfolge eigentlich hingehören würden. Der Umzug ins Erdgeschoss hat gute Gründe. Mit ihrer Hilfe lässt sich nicht nur deutsche Geschichte des 16., 17. und 18. Jahrhunderts erzählen, sondern auch vom 20. Jahrhundert und seinen Verwerfungen berichten.

Unter dem Titel „Kennerschaft und Kunstraub“ wird hier an einem Beispiel dargestellt, wie politische Verfolgung im „Dritten Reich“, Museumspolitik und Kunsthandel ineinandergreifen, ja bis heute Folgen haben können. Das DHM geriet in diesen Strudel durch den 14 Jahre zurückliegenden Kauf der beiden Dürer-Bildnisse. Der Zufall brachte nun die Hintergründe der bislang als harmlos erachteten Erwerbung zutage.

Die kürzlich eröffnete Ausstellung im DHM stellt mehr als eine Fußnote im Forscheralltag dar, sie ist ein Indikator für eine Bewusstseinsveränderung in den Museen, der gerade 2017 deutlich geworden ist. Man könnte es als das Jahr der Provenienzforschung bezeichnen. Im Frühsommer gab es den Eklat um das Humboldt-Forum, nachdem Bénédicte Savoy mit Aplomb aus dem Beratergremium ausgetreten war. Sie hatte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vorgeworfen, dass sie sich nicht genügend um Aufklärung ihrer ethnologischen Sammlungen kümmern würde: woher die Objekte stammen, „wie viel Blut von einem Kunstwerk tropft“, wie die Kunsthistorikerin es formulierte. Im Herbst eröffneten die beiden Gurlitt-Ausstellungen in Bonn und Bern, mit der die Provenienzforscher eine Zwischenbilanz ihrer Aufarbeitung der Sammlung des NS-Kunsthändlers ziehen.

Ein Schreiben von Bruno Lohse in den Kaufunterlagen

Vermutlich wurden in diesem Jahr in den Museen mehr Erwerbungspapiere denn je durchgesehen auf der Suche nach Verdachtsmomenten. Die Leiterin der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums, Sabine Beneke, hatte sich dagegen eher arglos die Kaufunterlagen der beiden Kaiserbildnisse von Dürer zur Hand genommen und war dabei überraschend auf ein Durchschlagpapier gestoßen, ein Schreiben von Bruno Lohse. Sollte Görings Kunstbeschaffer in Frankreich, der sich 1950 nach seinem Pariser Prozess in München niedergelassen hatte und dort von seiner Wohnung aus unauffällig weiter mit Kunst handelte, etwa hinter dem Verkauf der Dürer-Bildnisse stecken? „Ich war baff“, beschreibt Beneke ihre erste Reaktion.

Aus den beiden Gemälden wurde plötzlich ein Fall für die Provenienzforschung des Hauses, aus den gewonnenen Erkenntnissen entstand am Ende eine eigene Ausstellung, die sich auf grünen Fond als Sonderkapitel zwischen die Präsentation der Dauerausstellung geschoben hat. Denn die Verbindung zu Lohse bestätigte sich, ein Strohmann von ihm hatte den Verkauf eingefädelt und damit die beiden Bilder unauffällig in einem Museum platziert. Auf diese Weise löste Bruno Lohse ein Versprechen ein, das er Max Friedländer kurz vor seinem Tod 1958 gegeben hatte. Der jüdische Kunsthistoriker hatte die beiden Bilder 1938 im Londoner Kunsthandel entdeckt und als Dürers identifiziert. Bis zuletzt hatte er auf ihre offizielle Anerkennung durch einen Museumskauf gehofft.

Wege zwischen England, Amerika und der Schweiz

Mit den beiden Dürer-Gemälden lässt sich bestens illustrieren, wie kompliziert die Gemengelage einer Provenienz sein kann. Eine scharfe Trennung von Schwarz und Weiß, Täter und Opfer lässt sich nicht immer machen. In Gestalt von Max Friedländer, dem Doyen der Berliner Museumsinsel, spielt in diesem Kunstkrimi plötzlich eine Figur eine Rolle, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurde und ihnen durch seine Gutachten doch nutzte. 1933 als Direktor des Kupferstichkabinetts entlassen, lebte er in Holland unter dem Schutz Bruno Lohses im Exil und überlebte.

Friedländers kluge Analyse der Dürer- Bildnisse – mit feiner Schrift in Tinte in einer Kladde verfasst – befindet sich nun in einer Ausstellungsvitrine. Die Bilder wurden nach dieser spektakulären Offenbarung von ihrem Eigentümer, dem Kunsthändler Nathan Katz, aus London schleunigst in die USA geschafft, um sie vor einem Zugriff durch die Deutschen zu bewahren und auf dem amerikanischen Mark anzubieten. Wie die Bilder aus den USA in Lohses Besitz gelangten, ist bisher nicht geklärt. Eine Karte an der Ausstellungswand stellt ihre Wege zwischen England, Amerika, zuletzt der Schweiz dar, denn sie dürften aus einem Safe der Zürcher Kantonalbank heraus verkauft worden sein, in dem Lohse heimlich seine Ware aufbewahrte.

Der Kunstraub endete nicht mit dem Jahr 1945

Das zweite Gemälde mit dubioser Provenienz: Dürers Bildnis von Kaiser Sigismund (1514)
Das zweite Gemälde mit dubioser Provenienz: Dürers Bildnis von Kaiser Sigismund (1514)
© Deutsches Historisches Museum, Berlin

Das Depot wurde nach dem Tod des NS-Kunsthändlers 2007 entdeckt, darunter auch Bilder, auf denen Raubkunst-Verdacht lastet. Lohses Hintermann und das Kunstlager waren aufgeflogen, nachdem dieser einen 1933 beschlagnahmter Pissaro den jüdischen Erben gegen „Finderlohn“ angeboten hatte. Eine solche Hypothek lastet auf den Berliner Dürers zwar nicht, doch offenbaren sie die möglichen Verstrickungen. Friedländer verkörpert gewissermaßen Aufstieg und Verfolgung jüdischer Bürger, ihre besondere Kennerschaft in der Kunst, ihre Enteignung durch die Nationalsozialisten. Lohse steht für die perfide Bereicherung einer ganzen Gilde an Kunsthistorikern nach 1933 und ihre auch nach Kriegsende weiter bestehenden Seilschaften. Das Geschäft mit den Museen florierte noch Jahrzehnte später.

Die öffentlichen Häuser haben hier eine Bringschuld. Sie müssen mehr denn je den Nachweis liefern, dass ihre Besitztümer rechtens sind. So fiel der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die vor wenigen Wochen veröffentlichte Dissertation „Kunst durch Kredit“ vor die Füße. Darin werden Erwerbungen der Berliner Museen 1935 über die Dresdner Bank untersucht. Die rund 4000 Kunstwerke stammen zum großen Teil von Schuldnern der Bank, viele jüdischer Herkunft, und stehen damit unter Raubkunst-Verdacht. Rund 1600 Stücke sollen sich noch immer in Museumsbesitz befinden und harren ihrer Aufarbeitung. Der öffentliche Wirbel um das Buch veranlasste die Preußenstiftung zur Ankündigung, sie werde „jetzt weitergehende systematische Untersuchungen zu den Provenienzen der einzelnen Werke machen“. Das kam ziemlich lahm hinterher, hatte die Autorin der Dissertation schon seit 2010 im Hause recherchiert.

Und schon eröffnet sich den Provenienzforschern ein weiteres Feld. Der Kunstraub durch den Staat endete keineswegs mit dem Jahr 1945, in der sowjetischen Besatzungszone und DDR ging er weiter. Das Deutsche Historische Museum selbst lenkte vor Kurzem mit einem Symposium das Augenmerk auf diese nächste große Aufgabe für die Rechercheure: die in öffentliche Museen gelangten Objekte von enteigneten „Junkern“, Republikflüchtigen, privaten Sammlern. Das Thema stellt sich allerdings nicht nur den ostdeutschen Häusern, viele Bilder und Antiquitäten gelangten durch Verkauf über das Außenhandelsministerium der DDR auch in den Westen.

Es sind noch viele Schritte zu gehen

Noch tun sich die Museen schwer, offensiv mit ihren Erkenntnissen aus der Provenienzforschung umzugehen. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe macht es schon lange vor mit einer permanenten Riesenvitrine im Foyer und einem Parcours durch die Dauerausstellung. Auch das Oldenburger Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte geht es seit diesem Herbst offensiv an – mit der Schau „Herkunft verpflichtet!“ zu 60 Objekten der Sammlung (bis 25. 2.).

Das Düsseldorfer Stadtmuseum hat sich nach Intervention des Oberbürgermeisters wiederum selbst ausgebremst und seine Max-Stern-Ausstellung gestrichen. Das Stadtoberhaupt befürchtete, die Geschichte des ins kanadische Exil vertriebenen Kunsthändlers – ein unrühmliches Düsseldorfer Kapitel – könnte zu einseitig dargestellt werden. Ein Symposium soll es nun richten. In Berlin macht das DHM mit seinen beiden Dürer-Bildern den ersten Schritt in Form einer Ausstellung. Es sind noch viele zu gehen. Zumindest das hat 2017 als Jahr der Provenienzforschung gelehrt. Die Ergebnisse verlangen nach Sichtbarkeit, eigentlich eine Kernaufgabe der Museen.

Am 13. 12. hält Bénédicte Savoy im Wissenschaftskolleg (Wallotstr. 19, 20 Uhr) einen Vortrag zur Frage „Warum und zu welchem Zweck studiert man Provenienz?“ Anmeldung erbeten unter: veranstaltungen@mww-forschung.de

Nicola Kuhn

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