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Poet der Bilder. Der Kunsthistoriker Max J. Friedländer, 1867–1958.
© ullstein bild

Biografie über Max J. Friedländer: Der Kunstkenner mit absolutem Blick

Max J. Friedländer war ein großer Berliner Museumsdirektor und Kunstschriftsteller Anfang des 20. Jhr. Während der NS-Zeit rettete ihm seine Kunstkenntnis das Leben. Eine Biografie würdigt ihn nun.

Max J. Friedländer gehört einer anderen Epoche an – der großen Zeit der Berliner Preußischen Museen. „Immerhin war er gut 22 Jahre Direktor des Kupferstichkabinetts und fast gleichzeitig Erster oder Zweiter Direktor der Gemäldegalerie.“ Doch er „verschwindet hinter seinem Dauervorgesetzten Bode“ – Wilhelm von Bode, dem berühmten „Museums-General“. Aus diesem Schatten lässt ihn Simon Elson in seiner Biografie heraustreten, die gefördert wurde unter anderem durch den (Neu-)Berliner Kunstsammler und Mäzen Christoph Müller.

Was Max J. Friedländer war, was ihn ausmachte und wie er sich selbst sah, verrät die Biografie von Elson bereits im Titel: „Der Kunstkenner“. Deutlich wird das im Vergleich des 1867 geborenen Friedländer mit dem eine Generation jüngeren Erwin Panofsky. „Friedländer hat von sich selbst behauptet, kaum kunsthistorische Literatur rezipiert zu haben“, berichtet Elson. Panofsky hingegen hatte seine „Freude an extensiven Fußnoten“. Beide haben Bücher zur altniederländischen Malerei verfasst, der Ältere schreibt in „klarer, poetischer Sprache“, beim Jüngeren – so Elson – wäre es schwierig, „von Poesie zu sprechen“.

Er tritt auch als Kunstschriftsteller hervor

Zugleich rehabilitiert Elson einen im heutigen Kunstbetrieb vergessenen Typus: den Kenner mit dem absoluten Blick. Immerhin hat Friedländers Spätwerk und Lebensbilanz, „Von Kunst und Kennerschaft“, 1942 im Exil auf Englisch erschienen, mehrere Übersetzungen erfahren.

Elsons Biografie ist zugleich eine Geschichte der jüdischen Emanzipation in Preußen, wo die Familie im Juwelier- und später auch Bankgeschäft tätig ist und im Kaiserreich zu Hoflieferanten aufsteigt. Max J. Friedländer selbst „verkörpert einen wichtigen Teil der Emanzipationsgeschichte. Trotz seiner jüdischen Herkunft wird er nicht nur preußischer Beamter, was auch um 1900 eine Besonderheit ist, er wird sogar Museumsdirektor“. Doch als „jüdisch“ versteht er selbst sich nicht, und als 1929 ein Jüdisches Museum auf private Initiative berühmter jüdischer Kunstfreunde hin gegründet werden soll, äußert er „Bedenken“: Elson bezeichnet es als „heikle Reaktion eines preußischen Beamten jüdischer Herkunft, der öffentlich nicht mit ,politischem Judentum‘ in Verbindung gebracht werden will“.

Friedländer tritt auch als Kunstschriftsteller hervor, vor allem mit seiner „Altniederländischen Malerei“. Als Autor macht sich Friedländer über trockene Wissenschaftlichkeit lustig, weil sie den Genuss am Kunstwerk unterdrückt: „Die Kunstgelehrten, die den ganzen Tag lesen, gleichen Leuten, die Kochbücher studieren und dadurch satt zu werden glauben“, bemerkt er bissig. Er selbst schreibt in einer anderen Sprache, wie Elson erläutert: „Diese Klarheit erreicht Friedländer, indem er nüchterne historische Beschreibungen mit poetischen Stilbetrachtungen schmückt, die auch in Lesern, die nicht alle besprochenen Gemälde auswendig kennen, ein Bild erzeugen.“ Der englischen Übersetzung seines magnum opus wurden 2000 Abbildungen hinzugefügt!

Seine Kunstkenntnis schützt ihn vor der Deportation

Friedländers Kennerschaft wird gerühmt, sein Urteil lässt den Preis eines Kunstwerkes auf dem Markt in die Höhe steigen. Elson zieht den Vergleich zu Bernard Berenson – allerdings zu dessen Ungunsten, denn Berenson ist stets auf sein eigenes Renommee bedacht, und Friedländer bemängelt seine „Scharlatanerie“. Friedländer selbst sieht sich zuerst als Kenner und dann erst als Historiker.

Friedländers ruhiges Beamtenleben wird in der Nazi-Zeit dramatisch. Er muss emigrieren, geht aber in die Niederlande; vor der Verhaftung und Deportation schützt ihn die Anweisung des führenden NS-Politikers und großen Kunsträubers Göring, „der Jude Friedländer soll nicht belästigt werden“. Denn seine Kennerschaft ist weiterhin gefragt, für die Nazis tätige Kunsthändler suchen ihn regelmäßig in Amsterdam auf. Er überlebt mit viel Glück, ohne die Dramatik seiner Situation jemals zu betonen.

Nach dem Krieg schreibt er lakonisch: „Während der Besatzung mit ungehöriger Rasse, nach der Besatzung mit ungehöriger Nationalität in Gefahr, wurde ich durch günstige Zufälle vor Schlimmem bewahrt.“ Er bleibt in Amsterdam und stirbt dort 1958. Max J. Friedländer war, um das berühmte Wort von Ernst Bloch auf ihn zu übertragen, ein „deutscher Gelehrter ohne Misere“.

Simon Elson: Der Kunstkenner. Max J. Friedländer. Biografische Skizzen. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2016, 527 S., 48 €.

Bernhard Schulz

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