Doppel-Ausstellung in Bern und Bonn: "Bestandsaufnahme Gurlitt": Jetzt kommen die Bilder zu Wort
NS-Kriminalität, dunkle Geschäfte, viele Fragen: Der Gurlitt-Bilderschatz wird erstmals ausgestellt – zweigeteilt zwischen dem Kunstmuseum Bern und der Bundeskunsthalle Bonn.
Nie hat Cornelius Gurlitt seine Kunstsammlung so gesehen, wie sie jetzt der Öffentlichkeit präsentiert wird: zwar in einer Auswahl von lediglich rund 400 von insgesamt 1566 Objekten – die aber fein aufgereiht an den Wänden des Kunstmuseums Bern sowie der Bundeskunsthalle Bonn. Gerade so, wie es sich für eine Kunstsammlung von Rang gebührt. Was aber den Rang der Sammlung Gurlitt ausmacht, ist nicht deren kunsthistorische Bedeutung, nicht einmal die Namensliste der vertretenen Künstler – es ist allein der Umstand, dass es sich um die Hinterlassenschaft eines Kunsthändlers handelt, der in der Gunst der Nazis stand und mit ihnen Geschäfte gemacht hat. Es geht um Nazi-Raubkunst.
Die Geschichte ist mittlerweile hinlänglich erzählt worden. Jetzt kommen erstmals die Bilder zu Wort. Über sie wird bis zum vorgesehen Schlussdatum Ende dieses Jahres eine eigene „Task Force“ gebrütet haben, 2013 eingesetzt und mit insgesamt 1,88 Millionen Euro finanziert von Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Sie sollte herausfinden, was am Raubkunst-Verdacht dran ist: Der muss nämlich, bei 1039 dafür überhaupt in Frage kommenden Objekten, Bild für Bild akribisch recherchiert werden. Das Ergebnis ist mager. Erst 150 Recherchen sind definitiv abgeschlossen, und lediglich sechs Werke konnten bislang zweifelsfrei als unrechtmäßig erworben ermittelt werden, also nachweislich ihren jüdischen Eigentümern entwendet und, wie im Einzelnen auch immer, in den Besitz des Händlers Hildebrand Gurlitt gelangt.
Überwiegend werden die unbelasteten Werke gezeigt
Nun also sind sie zu betrachten: knapp 160 Arbeiten im Kunstmuseum Bern, von insgesamt 550 Werken, die nach allem Kenntnisstand „unbelastet“ sind und daher vom Museum auf die überraschende Erbschaftsverfügung Gurlitts hin angenommen worden sind, 250 Arbeiten in der Bonner Bundeskunsthalle, bei denen eine abschließende Klärung noch aussteht.
Hildebrands Sohn Cornelius Gurlitt selbst sorgte für eine überraschende Wendung als er kurz vor seinem Tod am 6. Mai 2014 ein Testament aufsetzt und darin das Kunstmuseum Bern zum Erben der nach wie vor ihm gehörenden Sammlung bestimmt, das davon tags darauf erfährt und gehörig konsterniert ist. Erst nach gründlicher Beratung war das widerstrebende Museum bereit, das Erbe anzutreten. In Bern werden nun die aller bisherigen Kenntnis nach unbelasteten Werke gezeigt. Bedeutet das umgekehrt, dass die Glanzstücke des Gurlitt-Schatzes in Bonn zu sehen sind?
Die Sachlage ist nicht immer eindeutig
So einfach liegen die Dinge eben doch nicht. Paul Cézannes „Montagne Sainte-Victoire“ von 1897, dieses mit Sicherheit teuerste Bild des Gurlitt-Bestandes, das man ohne Weiteres als Raubkunst aus dem besetzten Frankreich einzuordnen glaubte, ist nach gegenwärtigem Stand davon frei – freilich bei noch ungeklärter Eigentumshistorie im Detail. In Bonn leuchten mehrere, tatsächlich unbelastete Höhepunkte von den Wänden, etwa in einem Kabinett mit flämischen Kleinformaten eine zauberhafte „Flusslandschaft“ von Jan Brueghel d.J. um 1630. Andererseits ist da die viel publizierte, womöglich belastete „Waterloo Bridge vor grauem Himmel“ Claude Monets von 1903 inmitten weiterer Impressionisten.
In Bonn wird dem Betrachter schlagartig klar, dass von einer „Sammlung“ zu sprechen eigentlich irrig ist. Es ist der Lagerbestand eines Händlers, der zweifellos noch mancherlei Geschäfte im Sinn hatte, als ihn ein Autounfall im Spätherbst 1956 aus dem Leben riss. Was in Bern und Bonn zu sehen ist, entspricht in großen Teilen dem, was im Kunsthandel gängige Ware zu Zeiten Hildebrand Gurlitts war und heute noch ist. Hinzu kommt als kleinerer Teil die familiäre Hinterlassenschaft insbesondere des Großvaters, des Landschafters Louis Gurlitt, und der ebenfalls künstlerisch tätigen Schwester Cornelia, die nach dem Ersten Weltkrieg traumatisiert ihrem Leben ein Ende setzte. Den übergroßen Teil des Gesamtbestandes machen die Grafiken aus, quer durch die Epochen.
Die Bonner Schau will über die Kunstpolitik der Nazis aufklären
Schon mit dem Titel, „Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen“, lässt die Bonner Übersicht erkennen, dass hier Gurlitts Schatz nur ein Aspekt ist. Gleichberechtigt daneben wird die Nazi-Kunstpolitik dargelegt, in Kunstwerken, die nichts mit Gurlitt zu tun haben, wie Hans Makarts „Falknerin“, die „Reichsmarschall“ Göring dem „Führer“ zu dessen 45. Geburtstag zum Geschenk machte – zuvor ordnungsgemäß im Handel erworben.
Bern allerdings fokussiert und begrenzt seinen Ausstellungsteil gemäß dem Titel, „Entartete Kunst – Beschlagnahmt und verkauft“. Das ist nicht nur durch die gezeigten Werke begründet, sondern stellt den Bezug zu dem neben der Plünderung jüdischen Eigentums zweiten Hauptstrang der NS-Kunstpolitik her, der Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ in sämtlichen öffentlichen Museen Deutschlands. Der Aktion fielen weit über 20.000 Kunstwerke zum Opfer, deren „verwertbare“ Stücke großenteils über vier ausgewählte Kunsthändler ins Ausland – entgegen ausdrücklichen Verbots auch innerhalb des Deutschen Reiches – verkauft wurden. Einer der vier war Hildebrand Gurlitt.
In seiner Person laufen „Entartete Kunst“ und Raubkunst zusammen, handelte er doch ab 1940 auch im besetzten Frankreich, wobei ihm, wie die in Bern ausgestellten Dokumente belegen, Zwischenhändler behilflich waren. In einem Schreiben warnt sogar die Dienststelle des deutschen Militärbefehlshabers vor konkurrierenden Aktivitäten in Frankreich: „Es sind, wie Sie wissen, sehr viele Schweizer Kunsthändler tätig.“
Der Werdegang der "entarteten" Kunst
Die Berner Ausstellung ist sehr sinnvoll in vier Gruppen „Kunstwerke“ und neun Kapitel „Kontexte“ gegliedert, um einerseits die stilistische Bandbreite der von den Nazis als „entartet“ geschmähten Moderne herauszustellen und andererseits die Zusammenhänge, in denen die „Verfallskunst“ ereignisgeschichtlich auftaucht, von der NS-Aktion über die berüchtigte Versteigerung in der Luzerner Galerie Fischer am 30. Juni 1939 bis zur verdrucksten Rehabilitation der Moderne in der frühen Bundesrepublik. Die Gestaltung der Ausstellung ist an beiden Standorten streng schwarz-weiß gehalten, beide sind als Lese- und Lernausstellung angelegt.
Bern kann sich auf knapp 160 Arbeiten stützen, die durchweg qualitätvoll sind, ergänzt um das schöne Porträtbildnis „Mascha“ von Otto Mueller – und ein Selbstporträt von Lovis Corinth, das das Kunstmuseum Bern selbst bei eben der erwähnten Luzerner Auktion von 1939 erworben hat. Das ist nobel, zeigt es doch, wie schmal der Grat zwischen Beschlagnahmung und rechtmäßigem Erwerb verläuft, auch hier an diesem Ort vermeintlich zweifelsfreier Moralität.
Hildebrandt Gurlitt - ein Nutznießer der NS-Politik
Mehr an Geschichte erfährt man also in Bonn, bisweilen verwirrend gegenüber dem, was nun Hildebrand Gurlitts Tätigkeit war. Der Besucher muss sich jedesmal zu den ausführlichen Bildlegenden hinunterbeugen, um zu erfahren, ob das betreffende Werk nun durch Gurlitts Hände ging, bei ihm (und danach dem Sohn Cornelius) verblieb oder allein als Beispiel der NS-Politik dient. Als historische Ausstellung hervorragend und eine Vorfreude darauf, dass eine dann aktualisierte Version im September 2018 im Martin-Gropius-Bau zu sehen sein wird – aber die Person Hildebrand Gurlitts droht immer wieder hinter dem größeren Ganzen zu verschwinden. So umfassend er in die Kunstbeschaffung eingebunden war – denn die war, wie gezeigt, bei weitem nicht nur illegal –, er war ein Nutznießer, kein Antreiber der Nazi-Politik.
„Das ist alles eine große Büberei“, soll Cornelius Gurlitt in einer ersten Aufwallung gesagt haben, als Staatsanwalt und Medien ein wahres Kesseltreiben gegen ihn veranstalteten. Die „Büberei“ ist vorüber. Dem Makel, als ein finaler Nutznießer der NS-Aktion „Entartete Kunst“ mit mehreren hundert aus Museumsbestand beschlagnahmten Arbeiten dazustehen, hat das Berner Kunstmuseum mit seiner im vergangenen Jahr erarbeiteten Ausstellung „Moderne Meister. ,Entartete' Kunst im Kunstmuseum Bern“ entgegengewirkt. Sie zeichnete in beispielhafter Sorgfalt die Wege von Kunstwerken nach, die von den Nazis verfemt waren und schließlich im Berner Haus eine sichere Heimat fanden. Auch dies ist ein Teil der unsäglichen NS-Geschichte – nicht der „Verfallskunst“, sondern des Kulturverfalls.
Kunstmuseum Bern, bis 4. März. Bundeskunsthalle Bonn, bis 11. März. Gemeinsames Begleitbuch, Hirmer Verlag, 344 S., 480 Farbill., 29,90 €. Alle Ausstellungsinformationen: bestandsaufnahme-gurlitt.de