Raubkunst-Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe: Vorbildliche Recherche
Über Jahrzehnte wurde die Provenienzforschung im Fall von NS-Raubkunst vernachlässigt. Eine Hamburger Ausstellung zeigt entzogenes Kulturgut - und klärt die Herkunft der Objekte auf.
Die „Schatten der NS-Diktatur fallen unmittelbar in unseren Museumsalltag!“, schreibt Sabine Schulze im Vorwort des von ihr herausgegebenen Katalogbuchs zum „Raubkunst“-Projekt des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe. Das Ausrufezeichen betont, worum es bei der Provenienzforschung zumeist geht: um „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, insbesondere aus jüdischem Besitz“, wie die juristische Definition lautet. Allerdings ist der Horizont der Herkunftsrecherche zu eng gesteckt, beschränkt man ihn auf die Jahre 1933 bis 1945. Eine Herkunft hat schließlich jedes Objekt, und sie zu klären, wo sie sich nicht eindeutig aus den Erwerbungsunterlagen erschließt, ist die Aufgabe des Museums – unabhängig von rechtlichen Komplikationen. So fragt Schulze denn auch: „Sind alle Sammlungsbestände rechtmäßig in unser Museum gekommen, gehört uns wirklich alles, was eine Inventarnummer trägt?“
Wird das unabsehbar große, über Jahrzehnte sträflich vernachlässigte Gebiet der Provenienzforschung auf diese Weise angegangen, bleiben die ideologischen Verengungen aus, die die Recherche bisweilen arg belastet haben. Denn es geht nicht immer nur darum, Objekte zurückzugeben – was mittlerweile ohnehin ein falscher Terminus ist, denn im Bereich der NS-Raubkunst sind es meist entfernte Verwandte und Erben, die ohne biografischen Bezug zum Objekt einen Herausgabeanspruch stellen. Was gut und richtig ist. Nur sollte man vorsichtig sein mit der emotionalen Dramatisierung des Themas, man denke nur an Kirchners Gemälde „Straßenszene“ aus dem Berliner Brücke-Museum.
Im Hamburger Museum stehen farbige Schnupftabakfläschchen
Provenienzrecherche ist generell vonnöten. Das Hamburger Haus macht mit einer Riesenvitrine voller Objekte im Foyer und einem Parcours durch die Dauerausstellung auf die Vielschichtigkeit der Forschung und der Kenntnislücken aufmerksam. Was Uwe Schneede, als früherer Direktor der Hamburger Kunsthalle so etwas wie der Doyen der dortigen Museumsszene, über das Handwerk der Forschung schreibt, gilt schließlich für alles, das in den Sammlungen eines so weit gespannten Hauses wie des Museums für Kunst und Gewerbe lagert.
„Es beginnt schon damit, dass Provenienzforscher sich weniger für die Gemälde als für die Rückseiten der Leinwände, mehr für die Bodenplatten als die Hauptansichten der Objekte interessieren. Denn dort finden sie (...) womöglich die entscheidenden Hinweise auf frühere Eigentümer: Aufkleber, Stempel, Siegel, Kennzeichen, Auktionsnummern. Sie wollen findig, mit Spürsinn und Aktenunterstützung entziffert, zum Sprechen gebracht und schlüssig verkettet werden.“ Wobei über die Frage nach jüdischem Eigentum der Bereich kolonialer Wegnahme in den Hintergrund gerückt ist.
Dabei waren die Jahrzehnte zwischen 1860 und dem Ersten Weltkrieg die Hoch-Zeit des Imports außereuropäischer Kunstgegenstände. „Eine Menge bisher in Privatbesitz verborgenen Materials und Bestände aus den kaiserlichen Schlössern (kam) auf den beweglichen Markt“, hieß es in der Eröffnungsrede des Asien-Kenners Carl Wegener zur China-Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste 1907. Nun sind im Hamburger Museum farbige Schnupftabakfläschchen des 18. Jahrhunderts zu sehen, die einem kaiserlichen Minister gehörten und aus dessen Nachlass in alle Winde verstreut wurden. Die Sammelleidenschaft hielt an: Der Tabakindustrielle Philipp Reemtsma erwarb ab 1934 rund 340 Ostasiatica, darunter auch jene Fläschchen, für die er 1938 den bemerkenswerten Betrag von 5000 Reichsmark zahlte.
Silberbesteck von der Hamburger Finanzbehörde
Das Ergebnis von Provenienzrecherche kann auch Entlastung sein. So veräußerte der Dresdner Arzt Friedrich Henry Hesse seine Asien-Sammlung über eine Auktion in Berlin, immerhin im Jahr 1940. Doch „das Auktionsergebnis war außerordentlich gut, und es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Hesse den Ertrag nicht erhalten hat“, resümiert der Katalog. Manchmal muss die Recherche aber auch ergebnislos abgebrochen werden, wie bei den Beständen an Silbersachen aus ehemals jüdischem Besitz deutlich wird. 1939 beschlagnahmt, sollten alle Gegenstände aus Silber, ob Besteck, Kerzenhalter oder Teekannen, eingeschmolzen werden. Das unterblieb, das Silber lagerte unter der Verwaltung der Hamburger Finanzbehörde. Die überwies es 1960 an das Museum. Die Stücke waren bereits inventarisiert, wenn auch nur nach Material und Gewicht. „Jegliche Hinweise, die vielleicht zu einer Identifizierung der Stücke und ihrer ehemaligen Besitzer hätten beitragen können, fehlen“, heißt es jetzt.
Dass das Begleitbuch nicht etwa trocken geschrieben ist, sondern höchst lebendig in das schwierige Thema einführt, ja geradezu Lust macht auf eigene Nachforschungen – viele Objekte ungeklärter Herkunft befinden sich in Privatbesitz –, ist ein weiteres Verdienst. Hamburg hat ein vorbildliches „Raubkunst“-Projekt vorgelegt, das unter den deutschen Museen hoffentlich zahlreiche engagierte Nachahmer findet.
Raubkunst? Provenienzforschung zu den Sammlungen des Museums für Kunst und Gewerbe, bis 1. November, Di–So, 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr, Begleitbuch (zur Zeit leider vergriffen): 19,90 €.
Bernhard Schulz
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