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"Parasite"-Regisseur Bong Joon-ho mit zwei von seinen vier Oscars.
© imago images/UPI Photo/John Angelillo

„Parasite“ bei Oscars 2020: Ein Augenblick, der Filmgeschichte schreiben wird

Das Kino hat sich globalisiert – das zeigen die Oscars für „Parasite“. Den Makel des Unzeitgemäßen konnte die Gala aber nicht ganz wettmachen. Ein Kommentar.

Die Überraschung ist perfekt. "Parasite" gewinnt den Oscar für den besten Film 2020, und drei weitere dazu, für die beste Regie, fürs Drehbuch und als bester internationaler Film. Zum ersten Mal in der Geschichte der Academy Awards geht der wichtigste Filmpreis der Welt an eine nicht-englischsprachige Produktion.

Die Sieger, die sie sich in der Nacht zu Montag am Ende der Oscar-Gala auf der Bühne des Dolby Theatre in Los Angeles versammeln, sprechen Koreanisch – ein Augenblick, der Filmgeschichte schreiben wird.

Auch deshalb, weil Bong Joon-hos Psychohorrordrama über Klassenunterschiede und die Rache der Armen an den Reichen eines der drängenden Themen der Gegenwart anspricht: die immer größere soziale Kluft, überall auf der Welt. Und weil Bong Joon-ho sich schon bei seiner Dankesrede für den Regie-Oscar an den mitnominierten – und für "The Irishman" komplett leer ausgehenden – Martin Scorsese wendet, als einen, dem er viel verdankt, von dem er gelernt hat.

Er bedankt sich auch bei Quentin Tarantino – der sich für "Once upon a Time in Hollywood" mit zwei Trophäen für Nebendarsteller Brad Pitt und das Szenenbild begnügen muss –, weil der seine Filme schon auf dem Schirm hatte und als Favoriten nannte, als ihn außerhalb Koreas noch kaum jemand kannte.

Das Kino hat sich globalisiert. Es ist das eine Weltkino, das bei der Gala gewürdigt wurde, Bong Joon-ho wurde von den Gästen im Saal mit Standing Ovations gefeiert. Möglich wurde dies nicht zuletzt dank der in letzter Zeit deutlich vergrößerten, internationaleren, diverseren Mitgliederschar.

Dass das Kino selbst auch diverser werden muss, dem trug die 92. Verleihung der Oscars allerdings kaum Rechnung, wie im Vorfeld kritisiert worden war. Keine Regie-Nominierung für eine Frau, nur eine nominierte schwarze Hauptdarstellerin – Cynthia Erivo (den Preis trug Renée Zellweger als "Judy" Garland davon): Den Makel des Unzeitgemäßen konnte die Gala nicht ganz wettmachen. Schöner Kontrapunkt: der Präsentatorinnen-Auftritt von Sigourney Weaver, Brie Larson und "Wonderwoman" Gal Gadot. "Alle Frauen sind Superheldinnen", rief Weaver in den Saal.

Oscars für „Parasite“: Immerhin kein Männerfilm

Immerhin gehört "Parasite" nicht zu den Männerfilmen über männliche Heldentaten, welche die Nominierungen dominiert hatten. Nur drei Oscars (Kamera, Ton, visuelle Effekte) für "1917", obwohl Sam Mendes' Kriegsfilm zuvor fast sämtliche wichtigen Preise in dieser Award Season abgeräumt hat; wenig bis nichts für Tarantinos und Scorseses cineastische Beschwörungen der guten alten Studiozeiten – ein deutliches Zeichen.

Selbst wenn die Netflix-Produktion "Marriage Story" lediglich einen Oscar für Laura Dern als beste Nebendarstellerin davonträgt: Die befürchtete sture Selbstvergewisserung des Hollywoodkinos angesichts der Streamingdienste als neue Player und der Revolutionierung der Filmindustrie ist nicht eingetreten.

"And the Oscar goes to ... Korea": Die goldene Statuette für den Cannes-Sieger "Parasite", der seit Mai 2019 übrigens schon über 150 weitere Preise errungen hat, es ist womöglich der Anfang einer Zeitenwende.

Die politischste Rede dieser Oscar-Nacht 2020 war auch die bewegendste. Joaquin Phoenix, als bester Darsteller für "Joker" ausgezeichnet (Todd Philipps' Psychothriller gewann sonst nur den Filmmusik-Oscar, trotz Top-Nominierung in elf Kategorien), sprach drei Minuten.

Was ist alles in der Oscar-Nacht passiert? Hier unser Liveblog zum Nachlesen.

Über den Zustand der Welt. Über den notwendigen Kampf für Gleichberechtigung, gegen Rassismus, für Gendergerechtigkeit, queere Rechte, Tierrechte, die Rechte der indigenen Bevölkerungsgruppen. Über den Kampf gegen den Irrglauben, dass "eine Nation, ein Volk, eine Spezies, ein Geschlecht, eine Rasse glaubt, andere dominieren, kontrollieren und auszubeuten zu dürfen".

Joaquin Phoenix – ihm brach am Ende die Stimme

Darüber, dass wir Menschen Mutter Natur nicht länger ausplündern dürfen. Und er bedankte sich bei den vielen im Saal, die ihm selbst eine zweite Chance gaben, obwohl es oft schwer war mit ihm. Die zweite Chance, "dann sind wir am besten, wenn wir einander unterstützen". Zuletzt zitierte er ein Gedicht seines jung gestorbenen Schauspieler-Bruders River Phoenix, und ihm brach die Stimme.

Die Erinnerung an die Existenz eines anderen, besseren Amerika, sie gehört zu den besseren Traditionen der Oscar-Verleihung. Donald Trump? Weit weg an diesem Abend. Nur Brad Pitt erwähnt ihn kurz, als er meint, seine 45 Sekunden Redezeit seien 45 Sekunden länger als die von Ex-Sicherheitsberater John Bolton, der beim Impeachment gegen den US-Präsidenten nicht aussagen durfte.

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