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Um das Internet der Nachbarn anzuzapfen kriechen Ki-jung (Park So Dam) und ihr Bruder Ki-woo (Choi Woo Shik) in die entlegensten Ecken ihrer Behausung..
© Koch Films

Sechs Nominierungen für „Parasite“ bei den Oscars 2020: Komische Gestalten in einer traurigen Existenz

Bong Joon-ho erzählt in „Parasite“ die Geschichte einer koreanischen Hochstaplerfamilie. Bei den Filmfestspielen von Cannes gewann er dafür die Goldene Palme.

An einem Wäschekarussell in der Souterrainwohnung hängen Socken zum Trocknen. Richtig sauber sind sie nicht geworden, grau und schlaff bilden sie den Blickfang des ersten Bildes in Bong Joon-hos „Parasite“. Durch die dreckigen Fenster sieht man die schmale Straße, ein Fahrrad kommt auf Augenhöhe vorbei, im Hintergrund arbeiten Lieferanten. In einer einzigen Einstellung wird deutlich: Diese Wohnung ist das Ende einer Sackgasse. Dann folgt die Kamera in einer Plansequenz dem jungen Ki-woo (Choi Woo-sik). Auf der Suche nach dem Gratis-Netz der Nachbarn durchkreuzt er mit hochgehaltenem Handy die vollgestellte Wohnung, bis er neben der Toilette, auf halber Höhe, endlich Empfang hat.

„Parasite“ ist ein Film der Räume und topografischen Anordnungen. Unten im Tal von Seoul liegen die Viertel der Armen, hier haust die vierköpfige Familie Kim. Mutter und Vater liegen am Boden herum, zu faul, um aufzuräumen oder auch nur einen Funken Energie in das eigene Leben zu investieren. Es sind tragikomische Gestalten in einer traurigen Existenz. Als Ki-woo einen Job als Englischnachhilfelehrer findet, kommt Hoffnung auf.

Nach und nach schleust er Schwester, Vater und Mutter als Dienstpersonal bei der reichen Familie Park ein, Diplome und Visitenkarten, die seine Schwester Ki-Jung (So-dam Park) fälscht, sind die Türöffner zur Villa. Mit fiesen Tricks schalten die Kims das langjährige Dienstpersonal der Parks aus, ein hinterhältiger Klassenkampf unter Gleichen.

Was sozialrealistisch als Familiendrama beginnt, wandelt sich bald zu einer Hochstaplerkomödie, die Bong mit schwarzem Humor durchsetzt. Auch im Gespräch während des Filmfests München, wo „Parasite“ nach der Goldenen Palme in Cannes im August seine Deutschlandpremiere hatte, bricht er immer wieder in Lachen aus. „

Hinter unserem Lachen wird das Schicksal der Familie noch bitterer, es zeigt die ganze existenzielle Tragik“, sagt er. Der schwarze Humor und die Verzweiflung der Familie gehören für ihn ganz natürlich zusammen. Später eskaliert dieser Überlebenskampf nach einer überdrehten, horrorartigen Wendung sogar noch, wenn die Eindringlinge die Villa gegen eine weitere Familie verteidigen müssen. „Parasite“ ist ein kluger Genre-Mix.

Die Villa einer reichen Familie als Schauplatz des Bösen

Bong nennt ihn einen „Film der Türen und Treppen“. Die Villa ist großzügig angelegt, mit vielen Treppen, die in die oberen Stockwerke führen, aber auch in den Keller – das Reich der Haushälterin. „Jede Tür öffnet sich auf ein Geheimnis“, sagt Bong. Darum hat er die erste Haushälterin, die nach einer Intrige ihren Job bei den Parks verliert, Moon-gwang genannt: Ihr Name enthält das koreanische Wort für „Tür“. Sie kennt alle baulichen Geheimnisse der Villa, sie sind auch für die Architektur des Plots essenziell.

Die soziale Kluft ist das Thema von „Parasite“, mit dem sich Bong als politisch wacher und kritischer Regisseur zu erkennen gibt. Er wurde als erster Südkoreaner mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, im Vorjahr galt bereits sein Landsmann Lee Chang-dong mit der Murakami-Adaption „Burning“ als starker Anwärter.

Beides sind Filme über die sozialen Unterschiede in Korea, beide fotografiert von Kameramann Hong Kyung-pyo, mit dem Bong seit „Mother“ (2009) zusammenarbeitet – seinem letzten in Korea gedrehten Film. Nach der dystopischen Gesellschaftsparabel „Snowpiercer“ (2013) und der Satire „Okja“ (2017) um ein genmanipuliertes Riesenschwein ist er mit „Parasite“ und einem kleinerem Budget nach Seoul zurückgekehrt. Es sollte wieder eine Geschichte über eine Familie sein, sagt Bong, die Idee trug er lange mit sich herum.

Über Ki-woo, den Nachhilfelehrer, kommt die Oberschicht in Kontakt mit dem Prekariat

Mit seinem noch überschaubaren Gesamtwerk von sieben Filmen verleiht der Autorenfilmer Bong dem südkoreanischen Kino seit dessen Boom Ende der 1990er Jahre eine wichtige Stimme. Der überraschende Erfolg von „Parasite“ brachte das Arthousekino in seiner Heimat nach Bongs internationalem Durchbruch mit „The Host“ (2006) schon zum zweiten Mal in Blockbuster-Dimensionen.

Die Mischung der Genres und Tonlagen macht den speziellen Bong- Touch aus. Seine Filme vermeiden Eindeutigkeiten, auch „Parasite“ bleibt moralisch ambivalent. Die arme Familie ist durchtrieben, die reiche Familie bemüht, das Richtige zu tun. „Niemand ist nur gut oder nur böse“, sagt Bong. Er lässt auch offen, wer mit dem titelgebenden Parasiten gemeint ist, die Eindringlinge oder die Ausbeuter: „Aus Sicht der Arbeiterklasse können auch die Reichen als Parasit gelten, da sie auf Kosten der Armen leben.“

Die Familie Park steht für den wirtschaftlichen Aufschwung Südkoreas, der Vater ist Unternehmer in der IT-Branche, Englisch zu sprechen, ist ein Distinktionsmerkmal. Das bringt Stress in das Luxusdomizil – und eher aus Zufall den Nachhilfelehrer Ki-woo.

So kommt die Oberschicht in Kontakt mit dem Prekariat. Die Mittelschicht, das Bindeglied zwischen beiden Klassen, verschwindet, bemerkt der studierte Soziologe Bong. „Das ist ein globales Phänomen. Mein Film spielt zwar in Südkorea, aber er greift eine Entwicklung auf, die sich in allen kapitalistischen Staaten abspielt.“

Gestank als Symbol für die Misere der unteren Klassen

In diesem Clash ist der Stallgeruch des Lumpenproletariats nicht mehr zu ignorieren. Businessman Park bemerkt ihn zuerst an seinem neuen Chauffeur Kim (Bongs Stammschauspieler Song Kang-ho). Dieses olfaktorische Charakteristikum droht die Familie zu entlarven. Die detailreichen Bildkompositionen machen den Gestank sehr anschaulich.

Regisseur Bong Joon-ho.
Regisseur Bong Joon-ho.
© Koch Films

Es ist ständig feucht, die Abwässer treten aus der Kanalisation an die Oberfläche, schwarze Kloake wird im Souterrain mit Wucht aus der Kloschüssel gedrückt. Familie Kim findet sich in einer Notunterkunft wieder. Ein anderes Mal dringen toxische Insektiziddämpfe in ihre Wohnung. So sieht die Misere der Unterschicht aus. „Das reale Leben“, findet Bong.

547 Jahre müsste der Sohn arbeiten, um in einer Villa zu leben

Der Ekel der Oberschicht kulminiert schließlich in einem furiosen Showdown auf einer Gartenparty. In einem Akt der sozialen Notwehr entlädt sich gegen Vater Park eine brachiale Gewalt. „Diese Explosion bricht aus angestauten Gefühlen hervor, der Trigger ist die Demütigung“, erklärt Bong.

[ab Donnerstag, 17.10., zu sehen im fsk am Oranienplatz, 18 und 20.30 Uhr]

Sie könne auch nur vom Vater ausgehen, die junge Generation trage diese Wut noch nicht in sich. Ki-woo träumt eher davon, selbst mit seiner Familie in einer Villa zu leben. 547 Jahre müsste der Sohn dafür arbeiten.

„Der Aufstieg ist ausgeschlossen, das ist reines Phantasma“, resümiert Bong. Diese Kluft zwischen Arm und Reich in Südkorea stimmt ihn nachdenklich. Das Gefährliche daran sei, dass die Spaltung immer größer werde. Am Ende, als die Credits schon über die Leinwand laufen, singt Ki-woo davon, wie er sich als Tagelöhner verdingt. Bong hat das Lied über die Widerstandsfähigkeit der Benachteiligten selbst geschrieben. Es ist nicht sehr optimistisch, aber doch lakonisch und auch ein wenig heiter. Also eigentlich wie im wahren Leben.

Dunja Bialas

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