Premiere am BE: "Endspiel" von Robert Wilson: Echo einer Welt in Aufruhr
Robert Wilson verabschiedet sich vom Berliner Ensemble mit einer famosen Inszenierung von Becketts "Endspiel".
Die Schreie gehen durch Mark und Bein. It’s finished nearly finished ... So fängt es an. Erschreckend. Gewitterschläge, Erdbebengetöse, wer weiß. Aber schon früh steht fest: Der anderthalbstündige Abend wird zu einem elementaren Erlebnis von Licht und Klang, Raum und Sprache. Mag sein, dass gerade die letzten Exemplare der Menschheit draufgehen. Vielleicht sind es aber auch die Prototypen, die Ersten unserer Art, die sich lieber gleich wieder verabschieden, um nicht noch größeres Unheil anzurichten. Jedem „Endspiel“ wohnt ein Anfang inne. Der Anfang vom Ende ...
Samuel Becketts Humor ist speziell, leicht zu verwechseln mit der grauenvollen Ernsthaftigkeit seiner Stücke, die bald nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und im Grunde auf die nächste Katastrophe warten. Nicht viel anders liegt der Fall bei Bertolt Brecht. Galten die beiden Dramatiker im Kalten Krieg als Antagonisten, so überwiegen die Ähnlichkeiten. Sie haben in Berlin (Brecht im Osten, am BE, Beckett später im Westen, am Schiller-Theater) ihre Stücke kanonisiert und Musterinszenierungen hinterlassen.
Und eines Tages kam Robert Wilson, um sie davon zu befreien. „Endspiel“ ist seine vorerst letzte Arbeit am Schiffbauerdamm, nach achtzehn Jahren. Zum Ende der Saison gibt Claus Peymann die Direktion auf. Wilson war seine stärkste Kraft, prägend wie kein Anderer. Das zeigt sich im „Endspiel“ klar.
Lange hat es das nicht gegeben, auch bei Robert Wilson nicht. Diese Eindringlichkeit und Geschlossenheit. Diese Konzentration. Diese Härte. Diese Komik. Helle Lämpchen rahmen die Bühne ein. Ja, die Show muss weitergehen. Wir sind Vaudeville-Artisten, Unterhaltungskünstler: Das ist der Gestus von Clov, der wie ein Goldoni-Diener seinem Herrn die letzten Dinge apportiert. Giorgios Tsivanoglou genießt seine verzweifelte Slapstick-Existenz. Wenn die Tür zu niedrig ist, haut man sich eben den Kopf an, jedes Mal. Gesetz ist Gesetz. Martin Schneiders Hamm, auf dem hohen Rollstuhl-Thron, sucht wie ein King Lear nach Worten für das Unabwendbare. Die Lügen sind aufgebraucht, die Drogen aus. In einer Szene bleibt die Jalousie ewig unten, wilde akustische Erschütterungen übernehmen den Saal, Hamm ist kaum noch zu hören. Endzeitgefühl. Wenn man mit Beckett lacht, wird es gefährlich.
Der Beckett-Mensch dehnt die Gegenwart
Es macht sich der unangenehme Gedanke breit, dass alles von einem Moment zum anderen aufhören könnte. Und so ist es auch. Das Licht verlöscht, die zarte Musik bricht ab. Das finale Spiel beginnt von vorn. Robert Wilson und der Komponist Hans Peter Kuhn haben sich nach vielen Jahren wieder einmal zusammengetan und etwas Großes geschaffen. Raum und Zeit geraten in Schwingung. Das Licht changiert in Tönen, die man zu hören glaubt. Kuhn spielt zarte Reminiszenzen ein, die es ja bei Beckett immer gibt, dieses Gestern, bei dem es sich um eine Fiktion handelt. Aber so ist der Beckett-Mensch: Er dehnt die Gegenwart, weil das Vergangene nicht wiederkommt und die Zukunft begreiflicherweise Angst macht. Becketts Hauptrollen heißen eben nicht Hamm und Clov (oder Wladimir und Estragon oder Krapp), es ist die Zeit selbst, die mit sich und uns spielt. Darin liegt die Radikalität dieser Inszenierung. Ohne jede kitschige Verspieltheit machen Wilson und Kuhn das Ticken der Uhr fühlbar.
In diesem Endlichkeitsspiel haben die beiden, die eigentlich schon tot sind, Nell und Nagg, den wichtigsten und komischsten Part. Das uralte Paar haust in der Beckett-Tradition in Mülltonnen. Wilson steckt sie in den Boden. Sie ploppen auf mit ihren weiß geschminkten Köpfen und setzen ein Gespräch fort, das wohl Adam und Eva begonnen haben. Jürgen Holtz und Traute Hoess als talking heads. Paar, bei dem der Bibelsatz „Die Liebe höret nimmer auf“ zum Fluch geworden ist. Und doch haben sie nichts anderes als – den Witz vom Schneider und der Hose, den Holtz jetzt noch einmal erzählen muss. Genervt unterbrochen und vergnügt begleitet von Traute Hoess, die jede Silbe dieses Witzes im Tiefschlaf kennt. Heute wird Nagg ihn schlecht erzählen, er weiß es. Er versucht, Nell zu küssen. Sie sind aufgedreht, neckisch und zänkisch. Im Wilson-Fantasy-Land leben die Alten wie Kinder.
Hier erklingt das Echo einer Welt in Aufruhr
Die kleine Szene entwickelt sich grandios. Man ist tief gerührt. Nur Robert Wilson vermag mit älteren Schauspielern, um die sich sonst keiner mehr richtig kümmert, solche Schätze zu heben. In seiner „Dreigroschenoper“ war es Walter Schmidingers Auftritt, bei dem die Show stoppte. Weil man in einem solchen Augenblick versteht, wie kostbar die Zeit ist, die Schauspieler und Zuschauer im Theater gemeinsam totschlagen. Und wie unersetzlich die Erfahrung, die eine Traute Hoess, ein Jürgen Holtz in sich tragen. Der Schneider-Witz hat auch eine Pointe, oder auch nicht. Es geht darum, wie schlecht die Welt von Gott gemacht ist, im Vergleich zu einer fehlerhaften Hose. Da fällt einem Claus Peymann ein, der anekdotische Hosenkäufer, aber um ihn geht es hier nicht, auch wenn es sein Haus ist, das sich im Abschiedsmodus befindet. Kürzlich feierte Robert Wilson in Berlin 75. Geburtstag. In diese Begegnungen mischt sich Wehmut, die Helden sind nicht mehr jung. Alles so winterlich.
Da aber zeigt sich die entscheidende Stärke dieser Beckett-Partie. Keine Sentimentalität, sondern das Echo einer Welt in Aufruhr. Die meisten Theateraufführungen, die man so sieht, haben eine Dramaturgie. Wilsons und Kuhns „Endspiel“ hat einen Rhythmus. Beklemmend, befreiend. Vertraut und fremd zugleich: Da atmet etwas, das größer ist als die Anzahl der Akteure auf der Bühne und die Licht- und Toneinstellungen auf dem Computer, mit dem die fabelhaften Techniker diese Vorstellung fahren.
Bald ist der neue Direktor da. Oliver Reese führt ab Sommer 2017 das Haus. Reese, übernehmen Sie! Übernehmen Sie einige Produktionen der Peymann-Zeit. Das „Endspiel“ zum Beispiel.
Wieder am 23. und 25. Dezember sowie am 5. und 6. Januar.
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