Buch über BE-Intendant: Peymanns gesammeltes Wirken, leicht gekürzt
Zu seinem Abschied feiert ein dicker Band den Theatermann Claus Peymann. Über 50 wilde Jahre voller „Mord und Totschlag“ auf über 500 Seiten.
Man vergisst ja manchmal, dass Claus Peymann neben seiner Karriere als Berufspolterer auch eine ziemlich imposante Theaterlaufbahn hingelegt hat. Voller wogenschlagender Uraufführungen von Handke, Bernhard, Müller. Befeuert von einem Ego, um das ihn vermutlich noch Donald Trump beneiden würde. Flankiert von Interviews, die an Unterhaltungswert schwer zu überbieten sind. Wäre der Mann Fußballer geworden, sie würden die alte Stan-Libuda-Weisheit auf ihn umschreiben: An Gott kommt keiner vorbei – außer Peymann.
Jetzt, nach fast 18 Jahren, neigt sich seine Ära in Berlin dem Ende zu. Weswegen im Alexander-Verlag ein voluminöser Band erscheint, der in Selbstzeugnissen, Fremdbeschreibungen und vielen Bildern einen Überblick über das wilde Theaterleben des Regisseurs und Direktors gewährt.
Peymanns gesammeltes Wirken, leicht gekürzt. In der Hauptstadt ist die Patriarchen-Dämmerung angebrochen, auch Frank Castorf wird ja die Volksbühne verlassen. Ihm hat der gleiche Verlag bereits das Buch „Republik Castorf“ gewidmet. Das Peymann-Werk trägt den kaum weniger anspruchsvollen Titel „Mord und Totschlag“. Daran merkt man schon, welche Generation von Theater-Totalitaristen hier abtritt.
Er wächst in Bremen auf
„Mord und Totschlag“ arbeitet sich mit zur Sache passendem preußischen Fleiß auf über 500 Seiten und für nur 26 Euro mehr oder weniger chronologisch durch die Vita und Wirkstationen Peymanns. Im Untertitel heißt das Werk „Theater? Leben“, so viel Trennung muss sein. Eins der ersten Bilder ist ein Nacktfoto. Gleich ein Skandal? Nicht ganz. Es zeigt Peymann als Knirps mit Sonnenhut. Und wer noch mehr über das Aufwachsen des Buben in Bremen wissen will, oder darüber, wie aus Klaus der Claus wurde, für den gibt es ein schönes Interview, das Peter von Becker und Michael Merschmeier über seine Jugendjahre geführt haben.
In gewohnter Selbstbeschwingtheit gibt der 79-jährige Hanseat darin Auskunft über die ideologische Mischehe seiner Eltern (er Nazi, sie Antifaschistin); einen irren Deutschlehrer und Nebenberufs-Theaterkritiker, der seine Schüler mit Kreide bewarf; seine Jugendgöttin Juliette Gréco und brotlose Afrikanistik-Studien. Sowie darüber, dass er gern Schriftsteller geworden wäre, „oder auch, zwei Etagen drunter, Journalist oder Feuilletonist“. Ach ja, Peymann, der inbrünstige Pressehasser! Ein Klassiker.
Fröhliche Skandale in Serie
Apropos. Natürlich ist der unaufhaltsame Aufstieg des Herrn P. nicht denkbar ohne die fröhlichen Skandale, die seine Karriere stets befeuert haben und die einen ähnlichen Rang im Kanon der deutschen Theatererzählungen besitzen wie die Stücke von Thomas Bernhard. Begonnen hat das schon in Frankfurt, wo Peymann ab 1965 das Theater am Turm prägte, unter anderem mit der Uraufführung von Peter Handkes intellektuellem Pöbelstück „Publikumsbeschimpfung“.
Während der zweiten Vorstellung soll es zu einer Prügelei zwischen dem Regisseur und dem Lyriker Wolf Wondratschek gekommen sein, von der es allerdings keine Bildzeugnisse gibt. Hier muss man Peymann im O-Ton einblenden: „Nachdem ich ihn schließlich umgehauen hatte, spielte das Publikum verrückt und solidarisierte sich mit dem Opfer Wondratschek. Bei meinem K.-o.-Schlag allerdings schwenkte das Fernsehen weg, wahrscheinlich um dem Publikum das Blutvergießen zu ersparen!“
Eine Überschriftensammlung zum ausgebuhten "Heldenplatz"
Dem legendären Geschrei um Peymanns Spendensammlung für Gudrun Ensslins Zahnbehandlung in Stuttgart anno 1977 widmet das Buch eine eigene Doku-Collage, von „Theater heute“ zusammengestellt. Schönes CDU-Verdikt von damals: „Als kulturelles Leitbild Stuttgarts fehl am Platze“. Aus der folgenden Bochumer Intendanz-Zeit sind dann nicht ganz so viele Aufreger überliefert, außer vielleicht dass man dem Theaterkurs des Gymnasiums Gavelsberg Asyl bot, nachdem dieser das Aufklärungsstück „Was heißt hier Liebe?“ vom Theater Rote Grütze nicht spielen durfte.
Dafür ging’s freilich in Wien, während der Burgtheater-Direktorenjahre 1986 bis 1999, umso höher her. Schön ist die Überschriftensammlung zur landesweit umbuhten Premiere von Thomas Bernhards „Heldenplatz“: „Peymanns Ende?“, „Mit Skandalen Pingpong spielen“, „Pferdemist und Brandanschlag vor der Burg“.
Klar, Claus Peymann hat den Vorwurf stets von sich gewiesen, Provokation aus Kalkül zu betreiben. Er sieht sich als notwendiger Watschenmann der Kunst. Wiederum O-Ton: „Wenn eine Gesellschaft vor sich hindämmert, sich nur noch selbst gefällt, sind Ohrfeigen das letzte Mittel!“ Aber wenn man so durch „Mord und Totschlag“ blättert, versteht man zumindest, welche Strafe die bleierne Skandalresistenz Berlins für den gegenwindverwöhnten Theatermacher bedeutet haben muss.
Für Peymann-Enthusiasten wie für Peymann-Hasser
Zumal seine Ära am Berliner Ensemble ja gleich mit einem Missverständnis begann. Mit einer Zahnersatz-Affäre auf Krankenkassen-Niveau. Peymann: „Kurz vor dem Beginn der eigentlichen Arbeit in Berlin ließ ich mich in sommerlichem Übermut zu einem Interview mit der Boulevardzeitung B.Z. in New York verführen. Daraus wurde unerklärlicherweise im Laufe der Jahre ‚der Reißzahn im Arsch der Mächtigen‘?! Dieser Satz wird mir wohl ewig nachhängen.“ Tatsächlich hatte Peymann ja nur gesagt: „Das Berliner Ensemble liegt ideal, wie ein Reißzahn im Regierungsviertel“.
„Mord und Totschlag“ ist also auch ein Aufklärungsbuch. Mal ganz abgesehen von der bis heute strittigen Frage, ob die Peymann-Jahre am Brecht-Haus der bissige Höhepunkt eines Theaterlebens oder doch eher das künstlerische Äquivalent einer Zahnprothese waren.
Die Herausgeber/innen Jutta Ferbers, Anke Geidel, Miriam Lüttgemann und Sören Schulz haben ein großartiges Buch zusammengestellt. Für Peymann-Enthusiasten wie für Peymann-Hasser. An Reibungsflächen mangelt es nicht. Und vor allem bietet das Buch, neben all den knalligen Preziosen, immer wieder auch lesenswerte, tiefer gehende Kapitel zu Peymann-spezifischen Themengebieten: Peter Handke, Uraufführungen, Thomas Bernhard, William Shakespeare, Bertolt Brecht, Weggefährten wie Peter Zadek, Robert Wilson oder Luc Bondy fallen.
Keine Frage, „Mord und Totschlag“ stimmt auch wehmütig. Die Zeit der Maulhelden im Theater ist endgültig vorbei. An ihre Stelle treten die Kuratoren und die Manager. Den alten Wilden wird kein Ende mit Donnerschlag vergönnt sein, kein rauschender letzter Vorhang. Es kehren überall Nüchternheit und Rauchverbot ein.
Schon 2010, und damit schließt das Buch, hat Peymann auf die Frage, ob er denn im Theater sterben wolle, entgegnet: „Warum nicht? Eben Theatermacher mit Leib und Seele“.
Patrick Wildermann