Mariah Carey live in Berlin: Dingelingling
Klassisch, silbrig, trashig: Maria Careys Konzert in Berlin – und Weihnachtspop von John Legend bis William Shatner.
Vorfreude ist die schönste Freude. Mariah Carey hat das verstanden. Die satte Stunde Wartezeit, bis sich am Mittwochabend in der Arena am Ostbahnhof der rote Vorhang ihrer Weihnachtsshow öffnet, lässt die Diva nicht durch eine dieser überflüssigen Vorbands vertreiben. Das verschlingt bloß Geld und lenkt vom Hauptact ab. Der Popstar mit der fast 30 Jahre währenden Karriere hat stattdessen einen munteren DJ eingestellt, der die Halle mit Weihnachts- und R’n’B-Klassikern samt eingestreuten Hip-Hop-Samples beschallt. Er hat vorab Studien landestypischer Weisen angestellt und fordert verzweifelt zum Mitsingen des Rolf-Zuckowski-Hits „In der Weihnachtsbäckerei“ auf.
Als dann endlich die Bescherung der kindlichen Königin Mariah Carey beginnt, ist sie nach einer guten Stunde des Auswickeln und Bestaunens auch schon wieder vorbei. Die 48 Jahre alte, im US-Bundesstaat New York geborene Sängerin gehört mit 200 Millionen verkauften Tonträgern zu den erfolgreichsten Musikerinnen der Welt. Sie spielt regelmäßig in Las Vegas und weiß, dass optimales Zeitmanagement gepaart mit einer maximalen Freundlichkeitsdusche ein zufriedenes Publikum gebiert. Das nach Careys Superhit „All I Want For Christmas Is You“ benannte einzige Deutschland- Konzert gleicht einer Schneeflocke. So flüchtig wie schmelzend.
Das beginnt schon mit der Bühnendeko in Mama Mariahs Weihnachtsstube. Sie ist komplett weiß ausgeschlagen und strahlt auf Knopfdruck in Bonbonfarben. Rüschenvorhänge, die die Projektionen einrahmen, Festtagsgirlande, Tannenbaum, Stern und Geschenkeberge – alles ist da. Nicht wie üblich auf LED-Würfeln digital animiert, nein, richtig aufgebaut.
Ein Rauschgoldengel, statuarisch, fast matronenhaft
Mariah Carey, die mit „Caution“ (Sony) gerade ein solides und in der Fülle der Mid-Tempo-Nummern ebenso angenehm altmodisches R’n’B-Album herausgebracht hat, schwört zum Fest auf klassischen Zauber. Die Tänzerinnen und Tänzer im Rentier-, Wichtel- und Zinnsoldaten-Look, den Weihnachtsmann mit Sack und eine Liederauswahl, die von „Hark! The Herald Angels Sing“ über Charlie Browns Weihnachtsthema von den „Peanuts“ bis zu eigenen in zwei Weihnachtsalben 1994 und 2010 erschienenen Nummern reicht. In Berlin dargeboten von einer unauffällig agierenden Klavier-Drums-Bass-Keyboard-Band, die die für eine Weihnachtsshow unverzichtbare Melange aus Glöckchen, Percussion, Kinderchor und Streichern bei Bedarf als Konserve beimischt.
„Weihnachten ist meine liebste Jahreszeit, voll von Liebe, voll von Freude“, ruft Mariah Carey, deren kernige Sprechstimme in angerautem Alt in reizvollem Kontrast zu ihrem naiven Augenaufschlag steht. Wenn sie Monroe und Moroccan, ihre beiden mitsingenden Kinder, ermahnt, sich beim Publikum artig für den Applaus zu bedanken, ahnt man, dass Carey nicht nur die Musikalienhandlung, sondern auch den Familienladen fest im Griff hat. Für sich hat sie die einzig denkbare Position reserviert – den Rauschgoldengel. Eine in wechselnde Glitzerroben gehüllte statuarische, fast matronenhafte Erscheinung, die sich nur an der Hand eines Tänzers ein paar Schritte treppab bewegt.
Soulige Arabesken schrauben sich in die Höhe
Was Mariah Careys nach R’n’B-Sängerinnenmode plastikhaft hochgetuntem Körper und Gesichtszügen an Lebendigkeit fehlt, macht ihre unverändert großartige Stimme wett. Gekonnt windet sie sich in Nummern wie „The Star“ oder „When Christmas Comes“ in souligen Arabesken vom Kontra-Alt zum kieksenden Falsett-Sopran hoch. Dass die Arrangements keine originellen Glanzpunkte drauf setzen – geschenkt. Die Songschreiberin Mariah Carey hat immer noch was drauf. Das belegt die vor dem Hit-Finale aus „We Belong Together“, „Hero“ und „All I Want For Chrismas“ als Kostprobe von „Caution“ eingestreute Nummer. „The Distance“ ist eine sexy Ballade mit groovendem, fetten Beat. Von diesem heutigen und zugleich retrospektiven, die Geschichte der schwarzen US-Musik durchdeklinierenden Sound ist es nur eine kleiner Schritt zur in Berlin samt Chor zelebrierten Gospelseligkeit.
Nostalgie, Sentiment, Selbstvergewisserung und die Prägekraft sturer Wiederholung. Darauf hat nicht nur die Mariah Carey ein Patent. Das ist das Wesen der Weihnachtsmusik, die in dieser Saison wieder erstaunliche Sumpfblüten treibt. „Shatner Claus“ (Cleopatra) nennt sich eine trashige Compilation, mit der sich der bekennende Nichtsänger William Shatner als sprechsingender Märchenonkel empfiehlt. Captain Kirks Horrorversion von „Silent Night“, auf der Rockreptil Iggy Pop den Refrain jault, ist offensichtlich nach dem Ausgluckern eines Fasses Eggnogg zustande gekommen. Auch Ian Anderson, die alte Querflöte, hat scheint’s einen Nikolaus gefrühstückt, sonst würde er sich genieren bei einer Schmonzette wie „Silver Bells“ mitzuspielen. Immerhin: Die Idee, das nervige Schellenring-Lied „Jingle Bells“ in Begleitung von Henry Rollins in einer Punk-Version zu zerschreddern, ist eine super Aktion von Shatner Claus. Trekkies, aufgemerkt, als nächstes verbricht er ein Blues-Album.
Eric Clapton hat den Blues
Blues zum Fest, das hat sich ein anderer Altmeister vorgenommen. Eric Clapton ist in seiner 45 Jahre umfassenden Karriere als Rockgitarrist bislang nicht mit einem Weihnachtsalbum hervorgetreten. Nun aber. Für „Happy Xmas“ (Universal) hat er sogar den Mützenmann auf dem Cover gezeichnet und die hübsch sentimentale Ballade „For Love On Christmas Day“ komponiert. So richtig dreckigen Rumpelblues zu spielen, traut er sich dann aber doch nicht. Nur „Lonesome Christmas“ kommt in seiner Schwärze und dem heulenden Gesang an das Ideal des Briten heran. Viel mehr als der seichte Poprock von „Home For Holidays“ rührt die mitunter brüchige Stimme der 73 Jahre alten Gitarren-Ikone. Und „Jingle Bells“ in die Tonne treten kann Clapton auch – in Form eines öden, dem im Mai gestorbenen DJ Avicii gewidmeten Elektroinstrumentals.
Und wo jetzt gerade die Seniorenklasse unter den Musikanten dran ist, sei festgestellt, dass beim als Album erschienenen Weihnachtskonzert der Fernsehshow „Sing meinen Song“ (Music for Millions) Schlagersängerin Mary Roos mit ihren Interpretationen von „Home For Christmas“ und „Let It Snow“ jüngere Kollegen wie Rea Garvey, Mark Forster und Judith Holofernes deutlich in den Schatten stellt. Mehr Weihnachtsfeste auf dem Buckel zu haben, verstärkt – wenn’s gut läuft – dann doch das Charisma.
Weihnachts-Camp können Amis einfach besser
Apropos Ausstrahlung. Über die verfügt die in Thüringen geborene Jazzsängerin Lyambiko eigentlich reichlich. Ihr gepflegtes, aber sturzlangweiliges Akustik- Album „My Favourite Christmas Songs“ (Okeh) ist ein Beispiel dafür, dass die tolle amerikanische Tradition des Christmas Swing und Jazz Deutschen selten so flockig gelingt. Weihnachts-Kitsch und Weihnachts-Camp können Amis einfach besser. Mariah Carey macht es mit ihrem zuckersüßen Weihnachtszirkus vor. Und auch die jüngeren Genrekollegen Aloe Blacc mit dem Album „Christmas Funk“ (Aloe Blacc Recordings) und John Legends „A Legendary Christmas“ (Columbia) lassen sich hören.
Diese vom Neo-Soul-Produzenten Raphael Saadiq facettenreich und elegant arrangierte Platte ist mit das Beste, was dieses Jahr auf dem Pop-Gabentisch zu finden ist. Hoffentlich schickt der hinreißende Soul-Crooner John Legend dem Shatner Claus mal seine goldschimmernde Easy-Listening-Version von „Silver Bells“ zusammen mit einer Bad-Taste-Rute rüber. Obwohl, besser nicht. Beim heimatlichen Singen unterm Tannenbaum und im Weihnachtsgeschäft der Musikindustrie sind zum Fest der Liebe alle Mittel erlaubt.