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Mensch und Maschine. In der Tanzperformance von Huang Yi und Roboter KUKA siegt (noch) die humane Eleganz.
© Jörg Gläscher

Digitale Revolution: Die Zukunft ist jetzt

Künstliche Intelligenz, Rechtspopulismus und Killerroboter: Das Goethe-Institut erkundet in Weimar die Umbrüche der Zeit.

Toby Walsh isst keinen Oktopus mehr. Der australische A.I.-Forscher stieß bei seinen Studien über künstliche Intelligenz auf die Jahrmillionen alten Kopffüßler, deren immense Gehirnmasse in den Krakenarmen steckt und die beweisen, dass nicht nur der Mensch ziemlich schlau ist und Intelligenz anders aussehen kann, als unsereins sie sich vorstellt.

Wer sich mit der Zukunft befasst, der stößt schnell auf die Vergangenheit. Was lehren uns Tintenfische über das selbstständige Denken? Können wir von der industriellen Revolution etwas für die digitale Revolution lernen? Und von den 1920er Jahren über den Populismus und den jetzt wieder propagierten neuen Menschen? Es passt jedenfalls gut, dass das dreitägige Symposium des Goethe-Instituts „Die Route wird neu berechnet“ über die aktuellen Umbrüche in der Stadt angesiedelt war, wo vor 100 Jahren die Weimarer Republik ausgerufen und das Bauhaus gegründet wurde.

Der Mensch liebt lebendige Interaktion

Wie orientieren wir uns angesichts der grassierenden Verunsicherungen? Wie verändert sich die menschliche Autonomie durch die künstliche Intelligenz? Wie sieht die digitalisierte Arbeitswelt von morgen aus? Was tun angesichts der erstarkenden Nationalismen und sich spaltender Gesellschaften? Rund 70 Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt diskutierten in Weimar, praktisch alles außer dem Klimawandel, der aus Gründen der schieren Themenmenge nicht explizit auf der Agenda stand und dennoch omnipräsent war. Und am Abend tanzte Huang Yi aus Taiwan mit dem Industrieroboter KUKA einen pas de deux – was einem die beruhigende Erkenntnis bescherte, dass eine noch so raffiniert programmierte Maschine es mit der Anmut eines Menschen so schnell nicht aufnehmen kann.

Toby Walsh hatte zunächst eher fröhliche Aussichten skizziert, von der Vier-Tage-Woche dank automatisierter Arbeit bis zur Tatsache, dass unsere Fahrräder weiter von Menschen repariert werden, weil der Homo sapiens die lebendige Interaktion liebt und bislang kein A.I.-Labor weltweit die zeitintensive Entwicklung eines Radreparatur-Roboters auch nur angedacht hat. Gleichzeitig gehört er jedoch zu den Mahnern seiner Zunft.

Viele werden ihre Arbeit verlieren

„2062“ heißt Walshs kürzlich auch auf Deutsch erschienenes Buch, in dem die Risiken des Homo digitalis ebenso ausführlich verhandelt werden wie die Chancen. Es wird hart, sagt er im Gespräch am Rande des Symposiums, viele werden ihre Arbeit verlieren. Und schon jetzt sei es mittels Deepfake und Stimmcomputern möglich, dass etwa Donald Trump jeden einzelnen US-Bürger „anruft“ und mit ihm ein persönliches Gespräch führt. Walsh ist sich sicher, dass in sehr naher Zeit wichtige Wahlen durch Deepfakes manipuliert werden und die Täuschung zu spät auffliegt, um am Wahlausgang noch etwas zu ändern. Gleichzeitig ist er skeptischer als die 300 von ihm befragten Kollegen. Deren Durchschnittsprognose, wann die Intelligenz digitaler Maschinen der menschlichen ebenbürtig ist, läuft auf das Jahr 2062 hinaus. Er glaubt, es dauert eher noch 100 Jahre. Die Zukunft ist weit weg – und gefährlich nahe.

Am anderen Morgen sitzt Walsh auf dem Panel zum Thema Killerroboter und wird wütend, als Kara Frederick vom CNAS, einem US-Thinktank für nationale Sicherheit, ein weltweites Verbot autonomer Waffensysteme für schwierig hält, weil es keinen Konsens über deren Definition gebe. Bislang scheitert ein Bann in der UN am Veto von vier Ländern: USA, Russland, Israel, Australien. Kontroversen sind selten auf diesem Symposium, auf den Podien sitzen meist Gleichgesinnte. Dabei gilt es doch eigentlich, sich dem „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ zu beugen, wie Thüringens Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) bei der Eröffnung den Jubilar Habermas zitierte.

Der britische Robotik-Experte Noel Sharkey ist ein Meister dieses „zwanglosen Zwangs“. In Sachen Killerroboter reist er durch die Welt und versucht die auf sanftere Diplomatie setzenden Politiker auch in Deutschland von der Gefährlichkeit der immer schnelleren, billigeren Waffen zu überzeugen. Maschinen, die per Algorithmus über Leben und Tod entscheiden und auch Grenzen sichern sollen, verstoßen massiv gegen die Würde des Menschen, fügt der südafrikanische Anwalt Thompson Chengeta mit beeindruckender Präzision hinzu. Alleine das Werbevideo eines Waffenherstellers mit Schwärmen von Mini-Drohnen, die zielsicher Dutzende vermeintliche bad guys niedermähen, war die Reise nach Weimar wert. Ein Horrorszenario? Diese Zukunft ist jetzt. Toby Walsh hat 30 000 Experten- Unterschriften dagegen gesammelt.

Die Männer reden, die Frauen reden schneller – und handeln. Dankenswerterweise hat das Goethe-Institut nicht nur Diskurs-Stars wie den Inder Pankaj Mishra („Zeitalter des Zorns“) oder den US-Historiker Timothy Snyder („Der Weg in die Unfreiheit“) eingeladen, sondern auch zahlreiche Gäste, deren Namen zu Unrecht weniger geläufig sind. Kulturschaffende, die in Polen, Brasilien oder auf den Philippinen schikaniert werden und weitermachen, Exil und Gefängnis riskieren. Energische, mutige, gewitzte Frauen, die so manchen der Männer alt aussehen lassen.

Es lohnt sich zu kämpfen

Zum Beispiel Sarah Chen, die in Amerika den „Billion Dollar Fund“ für Start-ups von Frauen ins Leben gerufen hat. Geld ist Macht, Frauen brauchen Geld: Nicht der Gender Pay Gap ist das größte Übel, sondern die Tatsache, dass Frauen in den USA nur zwei Prozent des Risikokapitals bekommen. Das ändert sie nun. Oder die Schriftstellerin Panashe Chigumadzi aus Zimbabwe. Mit nur einem Satz erhellt sie den komplexen Zusammenhang zwischen Kolonialismus und Migration: „Die Flüchtlinge sind hier, weil ihr dort wart.“

Die griechische Politologin Daphne Halikiopoulou kritisiert die fatalistische Geschichtsblindheit angesichts des Rechtspopulismus. Dessen Vertreter haben in den letzten Jahren Wahlen durchaus wieder verloren, siehe FPÖ, siehe Jean-Marie Le Pen. Ende Gelände bei der Rettung der Demokratie? Es lohnt sich zu kämpfen. Halikiopoulou glaubt nicht an die schlichte These von den abgehängten Globalisierungsverlierern. Sie will wissen, warum die Narrative der Rechtspopulisten auch für den Mainstream attraktiv sind. Und warum so wenig andere attraktive Narrative kursieren.

Oder die Journalistinnen Olga Yurkova und Lina Attalah, aus der Ukraine und Ägypten. Yurkova hat mit der regierungsunabhängigen Website stopfake.org in fünf Jahren mehr als 3000 russische Fake News enttarnt, die Seite erscheint inzwischen in elf Sprachen. Attalah trotzt als Chefredakteurin der Online-Zeitung „Mada Masr“ dem Schweigen in ihrem Land, dem Verschwinden der Öffentlichkeit. Jüngstes Beispiel: die kurze Meldung über den mysteriösen Tod von Ex-Präsident Mursi im Gerichtssaal.

Zuvor hatte der Historiker und Bestseller-Autor Timothy Snyder über die Kolonisierung der Zeit gesprochen. Ob Putin, Trump oder Bolsonaro, sie kapern die Zukunft, indem sie ihren autokratischen Status Quo verewigen wollen. Snyder verneigt sich vor der Kärrnerarbeit der Frauen. „Flutet die Zone mit Fakten“, ruft er und fordert die demokratischen Gesellschaften auf, den Preis dafür zu bezahlen. Fiktionen gibt es umsonst, Fakten kosten Zeit, Arbeit, Geld, Leidenschaft.

Snyder hat ein paar praktische Vorschläge, wie die Zukunft sich befreien ließe. Er möchte die kognitive Dissonanz auflösen, die Tatsache, dass der Mensch sich so leicht von Algorithmen täuschen lässt und sich ihnen zunehmend anpasst, mit binärem Denken und der Verwechslung von Quantität mit Qualität. Alle Schulkinder sollen in der dritten Klasse ein Jahr lang nichts anderes machen, als investigativ zu recherchieren. Dort wo sie leben, in der analogen Welt, ohne Internet. Einmal im Jahr ist Hammer-Tag. Dann dürfen alle elektronischen Geräte in der Klasse kurz und klein geschlagen werden. Es wäre die anarchische Methode zur Wiederherstellung der Autonomie. Kassandrarufe können auch heiter sein.

Hinweis: Die Recherche wurde vom Goethe-Institut unterstützt.

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