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Bewegte Zeiten. Die Aufbruchsstimmung in den urbanen Zentren der Zwanziger Jahre ist aktuell wieder von großem Interesse (im Bild ein Aquarell des Hotel Adlon im Jahr 1928) – genauso wie die Weimarer Republik als Werkstätte freiheitlicher Lebensformen.
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Die Ambivalenz der Weimarer Republik: Vom Wegbereiter der Katastrophe zum Sehnsuchtsort

Zwischen Aufbruch und Scheitern: Die erste deutsche Republik wird jetzt auch von Historikern neu entdeckt und gedeutet.

Die Vergangenheit, so sah es Walter Benjamin, ist offen, immer in Bewegung. Von einer sich wandelnden Gegenwart aus, wird sie fortlaufend anders betrachtet. In jedem Moment bilden Gestern und Heute eine eigene „Konstellation“. Die Geschichtlichkeit der Betrachtenden selbst beeinflusst den Blick auf die Geschichte. Was vormals eher nebensächlich war, rückt auf einmal in den Fokus.

Aufbruch und Emanzipation

Deutlich wird diese Einsicht am jüngst erwachten Interesse an der Weimarer Republik, das mit den Erinnerungsroutinen zum hundertjährigen Jubiläum keinesfalls hinreichend erklärt ist. Der Hype um die Serie „Babylon Berlin“ und mediale Warnungen vor „Weimarer Verhältnissen“ zeugen von der neu entfachten Aufmerksamkeit.

Als Sphäre des Aufbruchs und der Emanzipation, als Werkstätte freiheitlicher Lebensformen stellt die Weimarer Republik einen Sehnsuchtsort dar. Gleichzeitig gilt das erste deutsche Demokratieprojekt vielen als Menetekel und wird als Chiffre des Scheiterns und Mündung in die Katastrophe erinnert. Was aber bedingt das gesteigerte Interesse an Weimar, das in der deutschen Erinnerungskultur lange keine nennenswerte Rolle spielte?

Mit dieser und anderen Fragen im Gepäck hat Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Geschichtsprofessor an der HU, zusammen mit Andreas Nachama, dem Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, eine öffentliche Ringvorlesung zu „Weimars Wirkung“ organisiert. In deren Verlauf diskutieren namhafte Zeithistorikerinnen und -historiker das Nachleben der kaum 14 Jahre währenden Phase bis in die Gegenwart hinein.

"Bonn ist nicht Weimar"

In der frühen Bonner Republik galt Weimar vor allem als Negativfolie. Das Mantra „Bonn ist nicht Weimar“ diente der Selbstvergewisserung eines noch unsicheren Demokratieexperiments im Anschluss an den Zivilisationsbruch. In Abgrenzung zur Weimarer Republik beschwor man nun die eigene demokratische Festigkeit. Weimar sei seinerzeit vornehmlich als Fluchtpunkt auf die Ereignisse seit 1933 hin, als „Vorspiel des Nationalsozialismus“ gelesen worden, sagt Sabrow.

Die Rezeption habe sich besonders auf die defizitäre Verfassung und auf die berüchtigten Artikel 25 und 48 konzentriert. Diese gaben dem Reichpräsidenten das Recht, den Reichstag gegebenenfalls aufzulösen und mittels Notverordnungen zu regieren. Im Wesentlichen ging es also darum, den Demokratiefortschritt der erfolgreichen zweiten Republik gegenüber der „gescheiterten“ ersten zu markieren.

Von den linksliberalen und marxistischen Perspektiven der 60er und 70er Jahre und erst recht von den Blickwinkeln der DDR-Geschichtswissenschaft aus, stand dann die „erstickte Revolution“ von 1918/19 im Zentrum. Die Spaltung der Arbeiterbewegung, die blutige Zerschlagung der Räterepubliken, die unrühmliche Rolle der Sozialdemokratie bei der Ermordung Liebknechts und Luxemburgs seien hier besonders von Interesse gewesen. „Mit der immer intensiveren Fokussierung auf den Holocaust seit den 80er und 90er Jahren wurde die erste deutsche Demokratie in Deutschland dann beinahe vergessen“, sagt Sabrow.

Die näher rückende Vergangenheit

Noch vor zehn Jahren hätte eine Ringvorlesung über „Weimars Wirkung“ wohl kaum das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit geweckt, meint der Historiker. Nun müsse man die Veranstaltungen teils mehrfach wiederholen, weil der Andrang gewaltig sei. Was genau ist geschehen? Wieso wird Weimar wieder neu rezipiert?

Folgt man Martin Sabrow hat das öffentliche Interesse an Weimar zunächst mit den gewaltigen Umbrüchen im politischen, ökonomischen und sozio-kulturellen Gefüge der Gegenwart zu tun. Die Wirren der Globalisierung, die Verkapselung in digitalen Echokammern, das radikale Gegeneinander unversöhnlicher Positionen, der drohende Zerfall des europäischen Projekts, die in manchen Teilen der Gesellschaft unverhohlen zur Schau gestellte Verachtung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die massiven Landgewinne einer rechtspopulistischen Partei – all dies hat das lange Zeit selbstverständliche Vertrauen in die Sicherheit der Demokratie grundstürzend ins Wanken gebracht. Wir spüren stärker als früher die Fragilität unserer Lebensweise. So scheint die Vergangenheit plötzlich doch näher zu sein als geahnt.

Die Sichtung der strukturellen Probleme und der verpassten Chancen der ersten deutschen Republik könne helfen, unsere eigene Zeit besser zu verstehen, sagt Michael Wildt. Der Blick in die Erfahrungsräume der Vergangenheit sei für Gegenwartsanalysen unabdingbar. Anders als Vergleiche führten Gleichsetzungen aber letztlich in die Irre, so der Berliner Historiker, der im Rahmen der Vortragsreihe an diesem Montag über die „Volksgemeinschaft“ als „Antwort auf die fragmentierte Republik von Weimar“ spricht.

Denn trotz gewisser Parallelen seien wir von einem neuen 1933 weit entfernt. Zwar sitze mit der AfD auch heute eine explizit völkisch argumentierende Partei im Parlament. Auch seien demokratiefeindliche Positionen mitunter in staatstragenden Institutionen wie Polizei, Justiz, Verfassungsschutz und Militär zu beobachten. Erst kürzlich offenbarte die „Hannibal-Recherche“ der „taz“ ein auf Umsturz geeichtes rechtsextremes Netzwerk in der Bundeswehr.

Bei allen alarmierenden Signalen müsse man aber auch die Unterschiede sehen. So sei die AfD trotz ihrer teils expliziten Anknüpfung an rechtsextreme Diskursstränge nicht mit der NSDAP gleichzusetzen. Auch die politischen Institutionen seien heute gefestigter. „Zu Weimarer Zeiten gab es in der Reichswehr unter den Offizieren praktisch keine Demokraten“, sagt Wildt. Überhaupt fehlten der Republik – anders als heute – weitgehend die Republikaner.

Weimars Errungenschaften

Auch Martin Sabrow ist der Überzeugung, dass sich die Geschichte nicht einfach wiederholt. Gegen uninformierten Alarmismus setzt er auf bedachte Analyse. So sei es ein wesentliches Anliegen der Ringvorlesung, von der perspektivischen Verengung loszukommen, die Weimar lediglich als Korridor zur Schreckensherrschaft der Nazis begreift.

Vielmehr müsse man die Republik auch „von ihren eigenen Voraussetzungen her“ begreifen. Der ausschließlich negative Bezug auf ihre Geschichte verstelle den Blick auf wesentliche Errungenschaften Weimars, die teils bis heute nachwirkten, sagt Sabrow. „Wer erinnert sich an Erzbergers Finanzreformen, die die Grundlage unserer Steuergesetzgebung bilden, oder an die damals revolutionäre Einführung des Frauenwahlrechts? Auch die schon im November 1918 durchgesetzte Tarifpartnerschaft und die gesetzliche Einführung des Achtstundentages sind in den gängigen Weimar-Diskursen bis heute unterrepräsentiert.“ Überhaupt habe die Weimarer Verfassung ein vergleichsweise starkes sozialpolitisches Gepräge besessen – wenn dieses von reaktionärer Seite her auch massiv torpediert wurde.

Die Bonner Lesart vom Scheitern Weimars an der Last des Versailler Vertrags und seiner Verfassung gilt in der heutigen Geschichtswissenschaft als überholt. Sabrow ist es wichtig zu betonen, dass Weimar eben nicht an seinen schlechten äußeren und inneren Bedingungen zugrunde gegangen ist – sondern in 14 Jahren von seinen Gegnern zur Strecke gebracht wurde.

Auch Michael Wildt ist der Auffassung, dass der Weg in den Untergang keine Einbahnstraße war. Hätten die bürgerlichen Parteien die SPD nicht systematisch ausgebootet, wäre es vielleicht anders gekommen. „In einer SPD-geführten Regierung wäre man der Weltwirtschaftskrise statt mit Brünings Deflations- und Austeritätspolitik womöglich auf keynesianische Weise begegnet.“ Dass die NSDAP bei einer besseren wirtschaftlichen Gesamtsituation deutlich an Schwung verloren hätte, sei zumindest nicht ausgeschlossen. Das seien aber nur Mutmaßungen. Festzuhalten bleibt, dass die Republikfeindschaft in Weimar von Anfang an stark ausgeprägt war, dass es in Sachen Liberalität ein massives Stadt-Land-Gefälle gab, und weite Teile des Bürgertums letztlich keine Demokraten waren.

Bleibende Ambivalenz

Wie aber kann Weimar bei all seinen Schwierigkeiten und den gesellschaftlich-politischen Verwerfungen heute zum Sehnsuchtsort taugen – zumal die besagten Errungenschaften ja öffentlich kaum erinnert werden? Martin Sabrow erklärt, dass die aktuelle Angst vor einer ungewissen Zukunft eben nicht nur die Sorge vor vermeintlich wiederkehrenden „Weimarer Verhältnissen“ – also einen negativen Rückbezug – verstärkt.

Zugleich bewirke jene Unsicherheit, die Abwesenheit einer großen Zukunftserzählung, ein gesteigertes Interesse an der Aufbruch-Stimmung in den urbanen Zentren der 1920er-Jahre. Dabei müsse Weimar als Bezugspunkt freilich ambivalent bleiben. So gilt es im Sinne Walter Benjamins, die verschüttgegangenen Potenziale der Vergangenheit zu bergen und dabei zugleich im Kopf zu behalten, dass, auch wenn Geschichte sich nicht wiederholt, die Demokratie kein Selbstläufer ist.

Das Programm der Ringvorlesung findet sich unter anderem auf https://zzf-potsdam.de. An diesem Montag spricht Michael Wildt über „Die ’Volksgemeinschaft’ als Antwort auf die fragmentierte Republik von Weimar“. Topographie des Terrors, Niederkirchnerstraße 8; ab 18.15 Uhr.

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