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Fast die Hälfte aller KI-Startups wird in Berlin gegründet.
© dpa

Künstliche Intelligenz: Eine industrielle Revolution aus Berlin?

Gut möglich, laut einer neuen Studie zu Künstlicher Intelligenz (KI). Heute wird fast jedes zweite KI-Startup in der Hauptstadt gegründet.

Wenn Käfer, Raupen oder andere Schädlinge eine Pflanze befallen haben, reicht das Handyfoto eines befallenen Blatts um den Verursacher zu identifizieren. Möglich machen das die Algorithmen der App Plantix. Entwickelt wird die Bilderkennungssoftware in der Kastanienallee, unweit vom U-Bahnhof Eberswalder Straße. Hier sitzt das Startup Peat mit 40 Mitarbeitern. „Jeden Tag werden zwischen 10 000 und 20 000 Fotos hochgeladen“, sagt Mitgründer Pierre Munzel. Dadurch lernt die Software beständig dazu und verbessert sich immer weiter. Insgesamt sind schon mehr als fünf Millionen Bilder in der Datenbank.

Inzwischen nutzen sogar Bauern in Indien die App. Sie können damit beispielsweise den Herbst-Heerwurm identifizieren. Die aus Amerika stammende Raupe hat sich erst in Afrika ausgebreitet und wurde in diesem Jahr erstmals auch in Indien eingeschleppt. Peat ist damit eines der deutschen Vorzeige-Start-ups bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI).

Sie gilt als wichtigste Technologie der kommenden Jahre. „KI wird unsere Welt so grundlegend verändern, wie die Dampfmaschine oder der elektrische Strom“, sagt beispielsweise der für Digitales zuständige EU-Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip. Selbstfahrende Autos, Roboter und womöglich ganze Fabriken werden damit gesteuert, doch auch jetzt schon stecken die selbstlernenden Algorithmen in unzähligen Smartphone-Apps und alltäglich genutzten Produkten. Sie sorgt schließlich dafür, das wir inzwischen mit zahlreichen Geräten sprechen können oder verbessert die Bildqualität in Smartphone und Fernseher. Doch wie ist die Berliner Wirtschaft im Bereich KI aufgestellt?

Standort der Wahl

Diese Fragen beantwortet eine Studie der Technologiestiftung Berlin, die am Dienstag Abend bei einer Veranstaltung des Tagesspiegels von Stiftungschef Nicolas Zimmer vorgestellt wurde. „Die gute Nachricht ist, dass Berlin auch bei KI ein extrem starker Standort ist“, sagt Zimmer. Das Ergebnis hat ihn dabei selbst etwas überrascht, schließlich wird KI vor allem im industriellen Umfeld eingesetzt, ob von den großen Autokonzernen und ihren Zulieferern oder in vernetzten Fabriken, bei der sogenannten Industrie 4.0. „Ich hatte daher einen höheren Anteil bei den Standorten in Süddeutschland erwartet“, sagt Zimmer.

So wurden insgesamt in Deutschland 458 KI-Unternehmen identifiziert, 28 Prozent davon sind Firmen aus Berlin-Brandenburg. Noch deutlicher ist der Anteil bei den Jungunternehmen. So wurden seit 2012 in Deutschland 139 KI-Startups gegründet, mit 48 Prozent jedes zweite davon in Berlin.

Dabei ist Peat hier noch gar nicht mitgezählt: Die Pflanzendoktoren haben ihr Unternehmen ursprünglich in Hannover gestartet. Das Gründerteam ist in der Stadt und den umliegenden Dörfern aufgewachsen, einige sind zusammen zur Schule gegangen, an der Uni entstand dann die Idee für die Pflanzenapp. Doch schon da war es schwierig, Experten für Bilderkennung und maschinelles Lernen zu finden.

Irgendwann öffnete Peat dann ein Büro in Berlin. „Wir haben dann beispielsweise einen KI-Spezialisten aus Frankreich eingestellt, der wollte lieber nach Berlin als nach Hannover kommen“, sagt Munzel. So wuchs das Büro immer weiter und die Gründer entschieden, den Standort komplett in die Hauptstadt zu verlegen. „Wir sind quasi unseren Entwicklern hinterhergezogen“, so Munzel weiter. Neben der leichteren Rekrutierung von Entwicklern habe Berlin noch weitere Vorteile. Wenn wichtige Investoren oder andere Kontakte nach Deutschland kommen, dann eben meist nach Berlin. „Da ist es vor Ort einfacher, die zumindest kurz auf einen Kaffee zu treffen“, sagt Munzel.

231 Millionen Euro an Wagniskapital sind in Start-ups aus der Region geflossen. Das entspricht einem Anteil von 45 Prozent der bundesweiten Finanzierung von KI-Unternehmen. Allein 40 Millionen Euro konnte das Gesundheits-Startup Ada im Vorjahr einsammeln. Das Unternehmen hat eine App entwickelt, mit der Patienten chatten können: Sie schildern ihre Symptome und bekommen nach etwa einem Dutzend Fragen eine mögliche Diagnose.

In der Region der Forscher

Fast die Hälfte aller KI-Startups wird in Berlin gegründet.
Fast die Hälfte aller KI-Startups wird in Berlin gegründet.
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Der vergleichsweise bessere Zugang zu Investoren und Entwicklern zeichnet generell den Startup-Standort aus. Auch Rasmus Rothe, Gründer des Startups Merantix, hat es deswegen nach Berlin gezogen. An der ETH Zürich hat er neuronale Netze und maschinelles Lernen studiert. Als er dann mit dem Schweizer Adrian Locher Merantix gründen wollte, gingen sie nach Berlin. „Das hat gar nichts mit KI zu tun, sondern Berlin ist einfach ein guter Standort, um ein Start-up aufzubauen“, sagt Rothe. „Wir entwickeln KI-Anwendungen im Bereich Medizin, autonomes Fahren und Finanzen“, sagt Rothe. Merantix arbeitet dabei mit größeren Unternehmen und Kliniken zusammen. Vor wenigen Monaten hat Rothe mit anderen Unternehmen den KI-Bundesverband gegründet, der inzwischen auf 80 Mitglieder angewachsen ist. Der Verband fordert beispielsweise eine Aufstockung von Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten von mindestens fünf Milliarden Euro pro Jahr. „Es wäre auch gut, wenn mehr KI-Lehrstühle geschaffen würden“, sagt Rothe.

Schließlich findet gerade ein Wettrüsten beim Thema KI statt. US-Unternehmen wie Google, Facebook und Uber investieren massiv und werben Spitzenforscher von den Universitäten ab. China hat das Ziel ausgegeben, bis 2030 zur führenden KI-Nation aufzusteigen und investiert Milliardenbeträge. Auch die Bundesregierung hat die Bedeutung inzwischen erkannt und arbeitet gerade eine KI-Strategie aus. Zudem wird über ein neues großes KI-Forschungszentrum gesprochen, das gemeinsam mit Frankreich gegründet werden könnte. „Berlin sollte dort offensiver sein Interesse bekunden“, findet Stiftungschef Zimmer. Schließlich hätten auch Saarland und Bayern schon für das eigene Land als Sitz geworben. „Überall wo es nötig und möglich ist, werden wir die Hand heben“, sagt Christian Rickerts, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft. Allerdings sei vieles bei den Bundesplänen noch sehr allgemein.

Gemeinsame Strategie

„Berlin und Brandenburg brauchen auch eine gemeinsame KI-Strategie“, fordert Zimmer. Doch auch hier will der Senat zunächst das Konzept der Bundesregierung abwarten, die bislang nur Eckpunkte formuliert hat. „Wir werden aber ein eigenes Handlungsfeld KI in das Cluster ’IKT, Medien und Kreativwirtschaft’ aufnehmen“, sagt Rickerts.

Denn obwohl es sich bei den 223 KI-Firmen der Region zum Großteil um kleine und junge Firmen handelt, sind sie bereits ein wirtschaftlicher Faktor: Sie beschäftigen insgesamt 4900 Mitarbeiter und erzielen gemeinsam einen Umsatz von 490 Millionen Euro. Der Großteil wird dabei im B2B-Bereich erzielt: 80 Prozent der KI-Unternehmen arbeiten für Geschäftskunden.

Auch als Wissenschaftsstandort hat Berlin-Brandenburg gute Voraussetzungen. In der Region forschen 50 bis 65 Professoren zu KI-relevanten Themen. In jüngster Zeit sind zudem verschiedene Forschungsinstitute und Einrichtungen entstanden, an denen teilweise auch hochschulübergreifend gearbeitet wird. So zum Beispiel das Berlin Big Data Center, das Dahlem Center for Machine Learning and Robotics oder das Distributed Artificial Intelligence Laboratory. So ist auch die Zahl der Forschungsprojekte im Bereich Künstliche Intelligenz deutlich angestiegen.

Wo müsste sich die Stadt noch verbessern? „Berlin könnte vor allem einen Beitrag dabei leisten, Unternehmen, Universitäten und andere Akteure zu vernetzen und sichtbarer zu machen“, sagt Verbandsvorstand Rothe. Auch ein KI-Beauftragter beim Senat wäre eine Möglichkeit. „Berlin sollte Orte zur besseren Vernetzung schaffen“, fordert auch Zimmer. Auch verschiedene Experten mit denen die Macher der Studie gesprochen haben, nannten mehrfach einen „KI-Campus“.

Zudem könnte die Stadt versuchen, beim Einsatz von KI zur Modernisierung der Verwaltung ein Vorreiter zu werden und Forschern sowie Unternehmen den Zugang zu anonymisierten Daten zu vereinfachen. Auch von diesen Empfehlungen will der Senat einiges aufgreifen. So soll den Bezirken und Behörden weiter geholfen werden, ihre Datensätze zu öffnen und anwendbar zu machen. Dazu wurde beispielsweise kürzlich die „Open Data Informationsstelle“ (ODIS) eingerichtet. „Bei der Nutzung von Spracherkennung für die Interaktion mit Bürgerinnen und Bürgern sehe ich auch viel Potenzial“, sagt Rickerts. Mit dem Virtuellen Bürger-Service-Assistenten gibt es bereits einen Chatbot für die Verwaltung. Der soll besser werden und könnte künftig noch virtuelle Kollegen bekommen.

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