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Auf zum Komplott. Susanna (Nadine Sierra,l.), die Gräfin (Elsa Dreisig) und Figaro (Riccardo Fassi) schmieden Pläne.
© Matthias Baus/Staatsoper

"Le nozze di Figaro" an der Berliner Staatsoper: Die Wut über die verlorene Liebe

Schrille Actionkomödie à la Almodóvar: Vincent Huguet inszeniert Mozarts „Figaro“ an der Staatsoper, mit Daniel Barenboim am Pult - als Streamingpremiere.

Wie Pistolenschüsse knallen die Akkorde, als der Musikmanager Almaviva die bisherigen Intrigen zu sortieren versucht. Zu Beginn des 3. Akts sitzt der Graf grübelnd am Schreibtisch, an der Wand hängen Platinplattten und Warhol-Porträts jenes Rockstars, dem er seinen Reichtum verdankt. Es ist die Gräfin, wasserstoffblond – Debbie Harry lässt grüßen. Ihr Ruhm ist verblasst, sollte auch seine Macht im Schwinden sein? Sicherheitshalber leiht sich der Graf die Autorität von der Musik, mit Pauken und Blech. Und wenn er in Zweifel verfällt, dann nur, um sich schnell wieder zu ermannen.

Dass er dazu noch mit einer Schusswaffe hantiert, wäre gar nicht nötig gewesen. Die Staatskapelle unter Daniel Barenboim verleiht Mozart schon genügend Entschlusskraft. Auch wenn das Orchester die Turbulenzen der libidinös verstrickten Figuren, das bange Pizzicato- Herzklopfen und die ins Ironische gewendeten höfischen Tanzrhythmen nicht unterschlägt: kaum zu glauben, dass so viele Sforzati in der Partitur stehen.

Oder liegt’s nur am Digitalsound bei dieser ausschließlich gestreamten Staatsopernpremiere von „Le nozze di Figaro“, nachdem die Aufführung vor Publikum im Saal im Rahmen des „Berliner Pilotprojekts Testing“ abgesagt wurde?

Es ist nicht leicht, ein Mann zu sein: Der junge Bariton Gyula Orendt verkörpert den Conte mit seinen cholerischen Anfällen und den Umschwüngen ins Sensible äußerst glaubwürdig als Macho in der Midlifecrisisis. Regisseur Vincent Huguet hat die Geschichte vom Grafen, der der Zofe Susanna nachstellt, noch am Tag ihrer Hochzeit mit dem Kammerdiener Figaro, in die 1980er Jahre verlegt. Mit Aerobic und Fitnesstraining zum Auftakt (Figaros Zählverse beziehen sich nicht auf die Vermessung des Ehebetts, sondern auf Push-ups) und schrillvergnügtem Wohndesign à la Pedro Almodóvar (Bühne: Aurélie Maestre), mit viel Gold, Lila und Glitzer.

Er habe die Inszenierung irgendwo zwischen Almodóvars "Das Gesetz der Begierde" und "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" angesiedelt, erklärt Huguet im Programmbuch. Kostümbildnerin Clémence Pernoud kleidet das Ensemble passend dazu in Neontöne: Leo-Look, stonewashed Jeans, übergroße Blazer. Cowboystiefel.

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Der Chéreau-Schüler Huguet will die Mozart/Da-Ponte-Trilogie als Legende von der sexuellen Befreiung und ihren Folgen verstanden wissen. „Così fan tutte“ als 68er-Aufbruchsstück, „Le nozze“ als Ehekrisen-Actionkomödie, „Don Giovanni“ als in der Gegenwart angesiedelte Altersbetrachtung – Teil 1 und Teil 3 stehen nächste Saison auf dem Spielplan.

Jetzt, in Teil 2, erweisen sich die insgesamt jungen Sängerinnen und Sänger als ungemein spielfreudige Darsteller. All die Irrungen und Wirrungen, Verwechslungs- und Verkleidungsszenen statten sie mit sichtlichem Vergnügen aus, mit Sinn auch für die konterkarierenden Nuancen und das doppelzüngige Beiseite-Sprechen in den Ensemblestücken. Alleine Katharina Kammerloher, die schon beim Staatsopern-„Figaro“ unter Regie von Jürgen Flimm die Marcellina verkörperte, Susannas eifersüchtige Nebenbuhlerin: Was für eine fabelhafte Buffo-Type, wenn sie sich mit Lockenwicklern und Wimpernklimpern in die durchgeknallteste Volte der Handlung stürzt und sich als Figaros Mutter entpuppt!

Leo-Look: Marcellina (Katharina Kammerloher), Figaro (Riccardo Fassi), Susanna (Nadine Sierra) und Bartolo (Maurizio Muraro).
Leo-Look: Marcellina (Katharina Kammerloher), Figaro (Riccardo Fassi), Susanna (Nadine Sierra) und Bartolo (Maurizio Muraro).
© Matthias Baus /Staatsoper Berlin

Ein Poser voller Ungeduld und gekränktem Stolz in der Stimme: Auch Riccardo Fassis Figaro hat mit seiner Virilität zu kämpfen, genau wie der Graf. Seine frauenverächtliche Arie im 4. Akt – die einen ja um so mehr wurmt, als da Ponte damit ausgerechnet Figaros Revolutionsrede in Beaumarchais’ Theatervorlage ersetzt, und das am Vorabend der Französischen Revolution – ist als Karikatur einer Männerfantasie angelegt. Trotz gelegentlicher Steifheit seiner Gesangslinien überzeugt auch Fassi als verunsicherter Mann.

Und die Frauen, stehen sie tatsächlich am Rande des Nervenzusammenbruchs? Nein, in diesem Labyrinth der Identitäten, in dem Emily d’Angelo als Tomboy Cherubino anrührend möchtegerngroß zwischen den Geschlechtern irrlichtert, sind sie die haushoch Überlegenen.

Elsa Dreisig wünschte man sich bei der ersten großen Arie der Gräfin „Porgi amor“ zwar etwas weniger kühl-depressiv – wobei ihr leicht metallischer Sopran zum Image des Rockstars passt. Aber ihre „Dove sono“-Klage über die verlorene Liebe wird zu einem der beiden großen utopischen Momente dieser „commedia per musica“. Mitten in all dem Klamauk steht die Zeit plötzlich still.

Das heimliche Zentrum: Nadine Sierra als souveräne Susanna

Ebenso straft Susannas Rosenarie die Groteske des Schlussakts Lügen, den Vincent Huguet mittels Tiermasken überdeutlich zur Mittsommernachtssexkomödie persifliert. Die US-Amerikanerin Nadine Sierra nimmt sich alle Zeit der Welt.

Überhaupt ist Susanna die heimliche Heldin des Abends: Sierras dunkel timbrierter, glutvoller Sopran, die souveräne Geschmeidigkeit und Raffinesse ihrer Stimme, ihre Vitalität und Natürlichkeit bei jedem ihrer Auftritte hätten bei einem vollen Saal gewiss Ovationen provoziert. Und es hätte wohl Szenenapplaus gegeben, als Sierra und Dreisig sich auf der Bühne ans Cembalo setzen (der Cembalist Lorenzo Di Toro wird gleich mehrfach ins Geschehen involviert) und sich ihre Stimmen beim Verfassen des Rendezvous-Billets an den Grafen ununterscheidbar ineinander verschlingen. Zwei Frauen auf Augenhöhe, der Standesunterschied wird ausgehebelt: Es steht schon so in den Noten.

Von der Staatskapelle wünschte man sich mitunter mehr kongeniale Empathie, einen auch mal seidig schimmernden, weniger sportlichen Mozart. Aber vielleicht verbieten sich Urteile über einen Klang, der zuhause aus gewöhnlichen Lautsprechern tönt. Apropos Pandemie: Der Chor tritt mit Mundnasenschutz auf, zieht die Masken auch beim Singen nicht ab. Ein Lockdown-Kommentar, ähnlich trotzig wie die Wendung am Ende des versöhnlerischen Finales. Das Happy-End, weiß Regisseur Huguet, ist fauler Zauber: Die nächste Generation wird es bei der Liebe nicht besser machen.
Online verfügbar auf medici.tv und mezzo.tv

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