Opernsängerin Elsa Dreisig im Porträt: Ich singe, wie ich atme
Als lyrischer Sopran ist sie ein Shootingstar. Jetzt präsentiert Elsa Dreisig ihre erste CD – und singt ab Sonntag an der Staatsoper in „Medée“. Ein Porträt.
Eine Stimme, die sofort aufhorchen lässt. Elsa Dreisig besitzt einen lyrischen Sopran mit schillernder Leuchtkraft und unendlich vielen Facetten. Trotz der schwebenden Leichtigkeit hat ihre Stimme eine vitale Kraft, die große Zukunft verheißt. Seit der Spielzeit 2017/18 ist Dreisig Mitglied des Ensembles der Berliner Staatsoper, sie hat dort Hauptrollen wie Pamina und Euridice gesungen. Die nächste Gelegenheit, sie zu erleben, kommt schon sehr bald: Ab Sonntag übernimmt Elsa Dreisig die Rolle der Dircé in Cherubinis „Medée“ an der Seite von Sonya Yoncheva. Ab 25. November singt sie Diane in Rameaus „Hippolyte et Aricie“, ab 13. Januar dann Natascha bei der Uraufführung von Beat Furrers „Violetter Schnee“.
Elsa Dreisig imponierte im Sommer 2017 in Aix-en-Provence in „Carmen“ von Georges Bizet als stimmstrahlende Micaëla, die so gar nichts Braves an sich hatte und in der Deutung von Dmitri Tcherniakov zur echten Konkurrentin der Titelheldin aufstieg. Spricht man sie auf diese konzeptionell eher sperrige Inszenierung an, verteidigt sie vehement das Konzept: „Für mich war es perfekt, denn die Micaëla kann sehr langweilig sein, hier war sie ausgesprochen manipulativ! Ich bin froh, dass das meine erste Micaëla war, so hatte ich die Langweilige noch gar nicht gelebt.“
Sie fühlte sich schon immer als Opernsängerin
Die 27-Jährige hat französisch-dänische Wurzeln und wuchs in einer Opernfamilie auf. Ihre Mutter ist Opernsängerin, ihr Vater war es auch, Opernsängerinnen sind außerdem ihre Tante und Cousine. Schon mit sechs Jahren sang sie in Kinderchören, den Maîtrises der Opéra royal de Wallonie und der Opéra national de Lyon, zehn Jahre lang. „Aber mit 17 dachte ich, jetzt muss ich meine Frauenstimme finden. Mein Kehlkopf war noch sehr hoch eingestellt. Es war eine Menge Arbeit, auch mich selbst zu finden als Frau. Aber gesungen habe ich immer. Es war nie die Frage, ob ich Opernsängerin bin. Ich war es einfach, seit ich fünf war.“
Dreisig hat am Conservatoire de Paris und an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig studiert, 2015 gewann sie den zweiten Preis beim Königin-Sonja-Wettbewerb in Oslo und den ersten sowie den Publikumspreis beim „Neue Stimmen“- Wettbewerb. Dann ging es Schlag auf Schlag: 2016 Siegerin beim „Operalia“- Gesangswettbewerb, Gesangsentdeckung bei den „Victoires de la musique classique“, Nachwuchskünstlerin des Jahres in der Zeitschrift „Opernwelt“. Von 2015 bis 2017 war sie Mitglied des Opernstudios der Staatsoper, bevor sie festes Ensemblemitglied wurde.
Klassische Stimmfächer ignoriert sie
Der scheinbar so gradlinige stimmliche Werdegang von Elsa Dreisig ist tatsächlich ungewöhnlich für einen lyrischen Sopran: „Tief in mir wusste ich, dass ich Sopran bin, aber ich habe bewusst angefangen als Mezzosopranistin. Ich wollte ja meine Frauenstimme finden, also in den Körper gehen, um die ganze Sensualität in der Stimme aufzuspüren und nicht nur die Intellektualität.“ Frappierend für eine so junge Sängerin ist auch die Breite ihres Repertoires, das vom Barock bis in die Gegenwart reicht: „Im italienischen Belcanto und der französischen Romantik habe ich wirklich etwas zu geben. Massenet, Donizetti, früher Verdi. Im Februar hatte ich mein Rollendebüt in „La traviata“, und da habe ich mich wirklich zuhause gefühlt.“
Die klassischen Stimmfächer ignoriert sie mit dem Charme der ihr eigenen Natürlichkeit, wenn sie wie etwa bei der brandneuen Einspielung „Miroirs“ eine verrückte Mischung präsentiert, die von Mozarts Gräfin über Gounods Juliette bis hin zum mörderischen Schlussgesang von Strauss’ Salome reicht. Die wird zwar in einer von Strauss autorisierten, abgespeckten Version präsentiert, aber dennoch bleibt Salome auch hier eine Partie, die dramatische Attacke verlangt. Die Frage, wie sich das mit ihrer lyrischen Veranlagung verträgt, kontert Dreisig souverän: „Weil es hier auf Französisch ist, geht es. Auf Deutsch hat man Birgit Nilsson oder Nina Stemme im Kopf. Im Französischen gibt es keinen Vergleich.“
Neue Musik spielt eine große Rolle in ihrem Repertoire
Der emotionale Gehalt und der Charakter der Figur sind ihr wichtiger als die Konventionen der Stimmfächer. „Es geht nicht nur um das Fach. Ich frage mich immer: Ist das eine Partie für mich als Mensch, als Frau? Es gibt Partien, die ich nicht singen möchte, wie etwa die Mimì, weil ich merke, dass ich mich in dieser Musik verlieren kann. Verismo ist für mich jetzt zu gefährlich, gefährlicher als Strauss, denn Strauss kann ich wie ein Lirico Spinto singen.“ Eines ihrer stimmlichen Vorbilder ist Birgit Nilsson, die unerreichte Diva der Hochdramatischen: „Sie ging nie in die Breite, sie hatte immer diese kleine Trompete! Und ich denke, dahin wird auch meine Stimme gehen. Ich versuche, mich jetzt noch als lyrischer Sopran zu halten, das ist gesund für die Stimme und richtig für mein Alter. Ich möchte singen, wie ich atme. Nicht mit zu viel Gewicht, nicht in zu hoher Lage, ich möchte mit meinem ganzen Instrument singen. Ich hoffe, ich gehe ins Spinto-Fach (eine Stimmlage zwischen lyrisch und dramatisch, die Red.), denn von der Energie her bin ich ein Spinto-Typ.“
Neue Musik spielt eine große Rolle in Dreisigs ungewöhnlich abwechslungsreichem Repertoire: „Das ist ganz wichtig, man kann mit dem Komponisten arbeiten, das ist etwas Besonderes. Bei einer Uraufführung weiß man am Anfang gar nichts! Alles ist noch ganz leer und man muss alles aus sich selbst heraus konstruieren, peu á peu. Man findet sich aber auch selbst mit der Musik.“
Regine Müller